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Flughäfen gehörten seit ihrer Kindheit zu Dinas liebsten Orten auf der Welt. Immer wieder aufs Neue spürte sie die Aufregung, die sie vor ihrer ersten Reise nach Rom gepackt hatte. Die war so lang her, dass Vincenzo nicht einmal dabei gewesen war. Auf dem Hinflug zumindest nicht, wie ihre Mutter jedes Jahr zu seinem Geburtstag schmunzelnd erzählt hatte.

An Flughäfen gab es immer etwas Interessantes zu sehen, egal ob der Betrieb erst langsam erwachte und die ersten Maschinen des Tages an ihren Platz gebracht wurden, oder ob man mitten im Trubel stand. Es waren Orte, ganz abgeschnitten vom Rest der Welt, nur miteinander verbunden. Egal, wo man sich befand, es war immer in gewissem Sinne gleich: Herden an Geschäftsleuten, die sich wichtig nahmen, Familien, die eilig zum Gate hasteten, und die, die sich voller Begeisterung auf ihren Urlaub freuten.

Am besten war die Ankunftshalle. Hier fielen die Leute sich zu jeder Zeit in die Arme und zu Weihnachten besonders herzlich.

Cousine Bernadette machte gern aus allem eine Show, deren Hauptdarstellerin sie selbst war. Die Menge, die sich um sie herum teilte, war die Kulisse, der Fliesenboden ihr Laufsteg, Dina, Oma und Luigi ihr Publikum. Den Koffer in der einen, den Mantel in der anderen Hand stolzierte sie auf die drei vor und nahm sie in die Arme. Für den Moment gab es nur krause, dunkle Locken und Kardamonduft.

«Moi ist wieder im Lande», nuschelte sie in Luigis Halsbeuge. «Und der Koffer ist voller Geschenke.» Das konnte sie mit Recht behaupten. Schon immer hatten sie einen voll bestückten Kleiderschrank in Omas Haus gehabt, dessen Inhalt sie über die Besuche hinweg sporadisch wechselte. Dadurch blieb genug Platz für Bücher und Malutensilien und theoretisch sogar das seltsame Stofftier namens Munkus, das auf ihrer Schulter lag und alle grimmig anguckte. Ein bisschen sah es aus, als hätte jemand einen Gargoyle zu einem Archaeopteryx ummodelliert.

Zusammen mit dem Inhalt ihrer monströsen Handtasche deckte all das ihren halben Hausstand ab.

«Hast du gegessen?», fragte Oma, die sich vorsichtig aus dem Knäuel löste, um sie von oben bis unten betrachten zu können. «Du warst so lang unterwegs und die haben doch im Flugzeug nichts Vernünftiges anzubieten. Wohin möchtest du?»

«An die frische Luft, vor allem. Wie ist das Wetter, sollte ich etwas überziehen?»

«Den Mantel würde ich dir schon empfehlen.» Luigi schüttelte sich und damit auch Dina und Bernadette. «Sind zwar nur minus fünf Grad, aber der Wind ist eisig.»

«Im Gegensatz zu den französischen Alpen ist das ja fast sommerlich. Aber gut, damit ich das Ding nicht umsonst eingepackt habe. Danke, du bist ein Schatz.» Sie lächelte Dina an, die ihr Munkus und den Koffer abnahm, dann Luigi, der ihr in den Mantel half.

Dina legte das Stofftier auf ihren Unterarm, ein Platz, der wie für es gemacht erschien. Vor ein paar Jahren hatte Bernadette den kleinen Kerl plötzlich mitgebracht. Er sah nach Marke Eigenbau aus, aber auf Fragen zu seiner Entstehungsgeschichte antwortete sie immer nur, er sei ihr ins Gesicht geklatscht. Seitdem war er eben ihr ständiger Begleiter.

Mit flinken Fingern schloss sie die Knopfleiste des Mantels. Wadenlang, schwarz und mit silbernem Besatz. Offen flatterte er wahrscheinlich episch im Wind.

«Es wäre aber auch nicht verkehrt, eine Kleinigkeit zu essen, was sagt ihr?» Sie streckte eine Hand nach Dina aus, die ihr jedoch nur Munkus zurückgab und ihr einen Arm anbot, anstatt sie den Koffer selbst tragen zu lassen. Augenrollend hakte sie sich bei ihr ein, auf der anderen Seite bei Oma.

«Dann würde ich vorschlagen, dass wir zum Park fahren.» Luigi ging voraus, breitete die Arme aus, als befehle er damit den Türflügeln, sich zu öffnen. «Das ist ein netter Spaziergang zu Rachel. Sie hat diese Woche so leckere Gemüsepfanne im Angebot.»

«Vorzügliche Idee.» Bernadette tat einen tiefen Atemzug, als sie ins Freie trat. «Hach, fühlt sich gut an, mal wieder hier zu sein.»

«Ist auch sehr schön, dich wieder hier zu haben.» Oma tätschelte ihren Arm. «In diesem Jahr ist das Zimmer, wo du sonst schläfst, belegt. Beatrice und ihre Kinder wohnen für eine Weile bei uns. Aber wir haben dir das Klavierzimmer zurechtgemacht.»

«Oh, dann kann moi euch ja die ganze Nacht mit schiefen Tönen wach halten!» Sie kicherte.

«Die Hunde werden begeistert sein.» Luigi öffnete den beiden Damen die Türen von Omas altem Mercedes und die Kofferraumklappe, damit Dina das Gepäck verstauen konnte. «Sie können dich ja mit Gesang begleiten.»

«Vielleicht auch lieber nicht.« Bernadette raffte ihren Mantel und rutschte in den Wagen. Oma ließ sich von Luigi hinein helfen. Dina nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Das war sie so gar nicht gewohnt. Die Straße sah von hier vollkommen anders aus. Seltsamer war es nur gewesen, als Andy einmal mit dem Toyota hatte fahren wollen.

Während der Fahrt brachten Oma und Cousine Bernadette sich gegenseitig auf den neuesten Stand, wie es hier und drüben in Frankreich lief. Dort versorgte Bernadettes Bäckerei ein ganzes Stadtviertel von Lyon im Alleingang mit Baguette und Croissants.

«Was hast du denn zu deinem Geburtstag vor, Dina?», fragte sie, als sie auf dem Parkplatz des Zoos ausstiegen. Von hier war es eine angenehme kurze Strecke durch den Stadtpark zum Serviervorschlag.

«In der Kunsthalle zeigen sie gerade Theaterrequisiten und Konzepte. Mit allem drum und dran, das wollte ich mir ansehen. Möchtest du mitkommen?», fragte sie ganz selbstverständlich. Dabei würde Jodie es vielleicht falsch verstehen, wenn sie nicht allein zu einem Date kam. Aber Bernadette liebte Skizzen und Kostüme, ganz zu schweigen von all dem Zusatzmaterial. Die Gelegenheit für eine gemeinsame Unternehmung war perfekt, weil Dinas Geburtstag der einzige Tag im Jahr war, an dem sie wirklich frei und Zeit für sich hatte. Damit da etwas dazwischenkam, musste die Luft schon echt brennen.

«Aber wolltest du nicht mit Jodie gehen?», fragte Luigi, der mit Oma ein Stück hinter den beiden ging.

«Wir gehen doch danach noch zusammen essen, allein», gab sie zurück. «Ich werde sie vorher einfach fragen.»

Zuerst hob Bernadette fragend die Brauen, schien sich den Kern der Sache dann aber selbst zusammenreimen zu können. «Oh, keine Sorge. Ihr werdet gar nicht merken, dass moi da ist, durch die Gänge wandelt, gegen das Bedürfnis ankämpft, dieses oder jenes Kostüm zu stibitzen. Ihr habt euch. Moi wird euch sogar einladen, wenn du möchtest.»

«Ich darf nicht hoffen, dass du dafür auf ein anderes Geschenk verzichtest?» Jedes Jahr versuchte sie, ihr die Schenkerei auszureden, nie hatte sie bisher damit Erfolg gehabt.

«Auf keinen Fall!», bestätigte sie Dinas Befürchtung grinsend. Sie übertrieb einfach zu gern. Einmal hatte kommentarlos ein gigantischer Karton vor Omas Tür gestanden, darin ein relaxoförmiger Sitzsack. Anfangs hatten Dina und Vincenzo zusammen darauf Platz gehabt, sich später darum gestritten, und nun lag er in Dinas Wohnung und wurde von Andy in Beschlag genommen, wann immer die zu Besuch war. Mit diesem Kaliber musste sie dieses Jahr hoffentlich nicht rechnen.

Kinder ihrer ElternWhere stories live. Discover now