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«Geht schon mal rein, ihr zwei. Eure Mama und ich kommen gleich nach.» Dina hielt ihnen die Tür auf. Sofia machte, dass sie weg kam.

Antonio blieb vor Dina stehen den Rucksack fest an sich gedrückt. «Sei Mama bitte nicht böse. Wir konnten Oscar doch nicht allein lassen.»

«Das konntet ihr wirklich nicht», pflichtete Dina ihm bei und schob ihn sanft zur Tür. «Lass Sofia nicht warten, sonst isst sie alle Kekse ganz allein.»

Er ging nur zögerlich, den Blick besorgt auf seine Mutter gerichtet, die ihn bemüht zuversichtlich erwiderte.

Dina öffnete die Tür des Wagens bis zum Anschlag, als er weg war. «Raus.»

Beatrice glitt aus dem Wagen und brachte sofort allen Abstand zwischen sich und Dina, den sie finden konnte. An die Werkbank gepresst, nah bei der Tür, wagte sie es, ihr in die Augen zu sehen. «Lass mich erklären.»

Dina dachte nicht daran. Sie schlug die Tür zu, die letzte für heute, und nahm hin, dass Beatrice zusammenzuckte. «Was willst du mir denn erklären, hm? Dass du jetzt endgültig von allen guten Geistern verlassen bist? Dass dir entfallen ist, dass ihr genau aus diesem Grund aus der Bude raus seid?»

«Woher sollte ich denn wissen, dass sie sofort anrücken? Es sollte doch nur ein ganz kurzer Besuch werden, damit wir Oscar holen, aber dann sind uns noch ein paar Dinge eingefallen ... Und gerade, als wir gehen wollten ... Ich verstehe aber gar nicht, was die von uns wollen. Wir wissen doch überhaupt nichts.» Darauf hatte sie während all der Jahre geachtet, bloß nichts damit zu tun zu haben, was Vincenzo abseits der Bäckerei so trieb. Als würden die Dinge, die ihr nicht gefielen, nicht passieren, wenn sie nur wegsah.

Dina konnte dieses Ausmaß an Naivität nicht fassen. «Aber Vince weiß etwas.» Es fiel ihr schwer, das Zittern aus ihrer Stimme zu verbannen. «Und wenn ich jemanden wie meinen Bruder zum Reden bringen wollte, wüsste ich genau was ich zu tun hätte.»

Beatrice wurde bleich.

«Du verlangst von mir, deine Kinder nicht in Gefahr zu bringen, aber kaum schau ich eine Minute weg, bringst du sie an den gefährlichsten Ort der Stadt

«Wir reden hier von meiner eigenen Wohnung!», fuhr Beatrice sie an. «Ich bin in meiner eigenen Wohnung nicht mehr sicher und muss meine Kinder vor der Polizei verstecken!» Sie warf Dina die Worte vor die Füße, als wäre das ihre persönliche Schuld, als hätte sie ihren Bruder eigenhändig auf die schiefe Bahn geschleift, ganz plötzlich vor einer Woche, und als wäre sie, Beatrice, gänzlich zufällig und unwissend mitten hineingeraten. Dabei musste auch sie es besser wissen.

«Ja!» Dina breitete die Arme aus und registrierte sehr wohl, dass Beatrices Hand suchend über die Werkbank wanderte. «Und dafür bist du auf die Hilfe einer Schlägerin angewiesen, weil du nicht selbst in der Lage bist, sie zu beschützen. Das mag dir alles nicht gefallen, aber es ist so und nicht erst seit gestern.»

Beatrice sah aus, als wollte sie etwas erwidern, doch sie schwieg. Natürlich war Vincenzo nicht mit der Tür ins Haus gefallen, aber er hatte ihr lange vor der Hochzeit gesagt, was Sache war. Bei aller Scheiße, die er gern baute und aus der Dina ihn herausholen durfte, war er doch ein guter Kerl, der die Frau, die er liebte, nicht darüber belog, was er für einer war.

«Aber du dachtest natürlich, du könntest ihn ändern», fuhr Dina fort. Wenn sie einmal dabei waren, Offensichtlichkeiten auszusprechen, konnten sie auch gleich zum Kern der Sache kommen. «In deiner Vorstellung hätte deine zarte, unschuldige Liebe ihn aus dem Sumpf gezogen und zu dem braven Bäckergesellen gemacht, den du gern in ihm sehen würdest. Aber wir sind genauso seine Familie wie du und die Kids. Mittlerweile könntest du begriffen haben, dass ihn niemand dorthin gezwungen hat, wo er jetzt ist.» In den Knast schon, natürlich, aber nicht zu dem, was ihn in den Knast gebracht hatte. Schon immer war er voll darin aufgegangen, was – zuerst subtil, später deutlicher – von ihm erwartet worden war. Mit oftmals zu viel Begeisterung hatte er sich in alles gestürzt, was Bestätigung und Anerkennung verhieß, erst von ihren Eltern, dann von Dina. Dabei hatte sie ihre Zuneigung niemals an irgendwelche Bedingungen geknüpft.

«Ich weiß!», schrie Beatrice. «Ich weiß das und bin trotzdem noch hier, oder nicht? Aber wenigstens meine Kinder ...»

«Was aus den Kindern wird, ist nicht deine Entscheidung!» Nun wurde Dina doch laut, obwohl sie es hatte vermeiden wollen. «Willst du sie ewig über ihre Familie belügen? Sie sind Martellis und werden als Martellis erzogen. Auch das hast du von Anfang an gewusst.»

In Beatrices Augen standen Tränen. «Dina. Du machst mir Angst.»

Mit einem tiefen Seufzer ließ sie die Schultern hängen und trat einen Schritt zurück. «Du gehörst zur Familie. Und mach dir keine Sorgen wegen der Kinder», fügte sie an, bevor Beatrice Gelegenheit hatte, anzumerken, dass es nicht automatisch Sicherheit bedeutete, zur Familie zu gehören. «Sie sind noch so klein. Für eine ganze Weile soll ihre einzige Sorge sein, dass ihre Kuscheltiere genug Liebe bekommen und was sie am Wochenende unternehmen.» Nach dem Tod ihrer Eltern war für sie und ihren Bruder alles viel zu schnell gegangen. Eine normale Pubertät war schon beschissen genug. «Du kannst den Schraubenschlüssel übrigens loslassen, der würde dir eh nicht helfen.»

Ertappt zog Beatrice die Hand aus der Schublade, sank zu Boden und fing an, zu weinen.
Dina ließ sie, legte ihr ein Päckchen Taschentücher hin und legte die Decke auf ihrer Rückbank ordentlich zusammen. Als sie damit fertig war, weinte Beatrice immer noch, also setzte Dina sich ihr gegenüber und lehnte sich an die Stoßstange ihres Wagens. «Ich werde Andrea und Rudolpho hinschicken, dass sie sich mal ein Bild von der Lage machen. Falls dir noch etwas einfällt, das ihr vergessen habt, können sie es euch mitbringen. Du fährst keine eigenmächtigen Aktionen mehr. Hast du mich verstanden?»

Beatrice sah sie bitterböse an.

«Sehr schön. Und jetzt sagst du mir, ob dir irgendwas in der Wohnung aufgefallen ist. Kam es dir vor, als wäre jemand dort gewesen?»

Den Blick zur Decke gerichtet schniefte Beatrice in ein Taschentuch. «Nichts. Nicht, dass ich was gesucht hätte, aber auf den ersten Blick, nein. Die Stimmen an der Tür hab ich auch nicht erkannt. Natürlich kenn ich die städtische Polizei nicht so gut wie du. Gale Crowfield war jedenfalls nicht dabei. Aber einen haben sie Callahan genannt.»

Dina war sich nicht sicher, ob sie den Namen schoneinmal gehört hatte. Auf jeden Fall hatte sie gerade kein Gesicht dazu vorAugen. Trotzdem, eine Spur war eine Spur. Sie stand auf und hielt Beatrice eineHand hin. «Wird es gehen?» So oder so war alles besser, als hier länger auf demkalten Betonboden zu sitzen.

Die Kinder, Oma und Oscar hatten es sich am Küchentisch um ein großes Blech Kekse herum gemütlich gemacht. Im Vorbeigehen zog Dina einen Stuhl für Beatrice zurück und schwang sich auf die Arbeitsplatte. Von hier aus hatte man die Einfahrt gut im Blick. Im Moment sah sie nur die Spiegelung des Kühlschranks, aber Scheinwerfer draußen würden ihr sofort auffallen. Jetzt, wo aller Dampf abgelassen war, blieb nur noch die Sorge um Luigi. Sie hätte ihm einen Fluchtplan anbieten sollen.

«Luigi hat angerufen», sagte Oma, die ihr die Gedanken natürlich ansehen konnte. «Maria bringt ihn mit, sie sollten bald da sein. Nimm schon.» Das und das auffordernde Klappern des Blechs waren an Beatrice gerichtet.

«Sollte ich?», fragte die Angesprochene skeptisch.

Die Unterstellung, Oma könnte ihr vergiftete Plätzchen anbieten, brachte Dina fast schon wieder auf die Palme, doch es waren Kinder anwesend. Darum gab sie sich damit zufrieden, weiter aus dem Fenster zu starren und den Rand der Arbeitsplatte zu umklammern.

«Nur nicht zu viele», antwortete Antonio. «Sonst kriegst du doch Bauchweh.»

Die Scheinwerfer von Marias Chevrolet tauchten endlich draußen auf. Dina rutschte von ihrem Platz, nahm im Vorbeigehen einen Keks vom Blech und ging zur zweiten Garage hinter dem Haus. Gerade wurde die Tür geöffnet und Luigi trat in den Flur, die sonst immer perfekt sitzende Frisur notdürftig nach hinten gekämmt, die Krawatte gelockert. Er erstarrte mitten in der Bewegung, als er sie sah.

Dina nahm ihn in den Arm, weil kein Danke der Welt ausreichen konnte. Ohne ihn wäre die gesamte Angelegenheit wesentlich komplizierter geworden. Niemanden sonst hätte sie darum bitten können.

«Ich darf meine Milz also behalten.» Er legte zögerlich die Arme um sie. «Wenn du den Rest auch ganz lassen würdest, danke.»

«Gute Arbeit, Mann. Sie ließ etwas lockerer, damit er frei atmen konnte. «Du musst mir alles erzählen und dann erfährst du auch, was das alles soll. Diesen Keks hast du dir schon mal verdient. Und Maria, du natürlich auch. Das heißt, wenn in der Küche noch welche übrig sind.»

Kinder ihrer ElternOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz