10. Fliegen

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Wir luden Akuma am nächsten Morgen mit uns in die nun volle Kutsche ein. Weiterhin blieb mir die Motivation dafür ungewiss, doch ich war zumindest froh, dass er nicht noch einmal versuchte jemanden anzugreifen.

Youngjae war am Morgen gut gelaunt wie immer die Treppe hinab stolziert gekommen und hatte mich neckisch begrüßt, nur abgewunken, als ich ihn auf seine Verletzungen ansprach.

"Mir geht es schon wieder ausgezeichnet bei dem Gedanken, dass du dir Sorgen um mich gemacht hast, Bambi.", hatte er mit einem Zwinkern gesagt und augenverdrehend hatte ich das Thema fallen gelassen.

Sobald die ganze Truppe dann wach und gestärkt war, machten wir uns wieder auf den Weg. Wir waren inzwischen der Ostküste ziemlich nahe, würden bald die äußersten Grenzen von Yongguks Herrschaftsgebiet erreichen.

Ich hatte nichts von einer Fähre gehört, weswegen ich noch über unsere Weiterreise im Unklaren schwebte, aber das war in Ordnung, denn ich hatte begonnen die beiden Männer in meiner Gesellschaft hungrig über die Götter und deren Brut auszufragen, lernte ständig etwas neues dazu.

Ich wusste bereits, dass unterschiedliche Länder auch unterschiedliche Religionen und Gottheiten hatten. Wie Yongguk mir berichtete gab es von jeder Gottheit genau eine Reinkarnation irgendwo auf der Welt, sie waren nicht an ihr Herkunftsland gebunden, weil sie ja schließlich freie Seelen waren.

Ich erfuhr, dass Junhong eigentlich aus Ägypten kam, der Ort an den wir für unsere Mission reisen würden. Yongguk und Youngjae waren von den nördlichen Inseln und beriefen sich auf die alten Wikinger und die langen Nächte Schwedens. Jongup kam vom Festland und die anderen beiden aus Südostasien.

"Es ist üblich, dass die Götter sich egal welchen Körper aussuchen. Egal welcher Rasse oder Herkunft man abstammt. Nur beim Geschlecht sind sie ab und an wählerisch... Jedes Land hat seinen eigenen Verbund von 5-15 Götterfängern, je nach Größe des Landes und Anforderung. Es gibt einige seltene Ecken der Welt, an der fühlt sich keine Götterbrut wohl.", er zeigte mir das Ganze auf einer kleinen Weltkarte, die er mit sich herum trug, deutete auf größere und kleinere Orte.

"Es wird dazu geraten die Religionen innerhalb der Gruppen so gut wie möglich zu mischen. So hat jeder sein Spezialgebiet, wenn es dazu kommt. Wir konnten dank Junhong und Himchan Schlüsse ziehen, was dich vergiftet hat."

"Es gibt außerdem Religionen mit mehr Götterbrut oder weniger, oft hängt das mit der Zahl der Götter zusammen. Was Yongguk und mich angeht, so haben wir da wenige Sorgen, aber wenn du dich bei den Griechen oder Römern umschaust... Puh.", hängte Youngjae dramatisch an und zeigte mir die beiden Länder nochmals auf der Karte.

"Obwohl sie vergleichsweise klein sind, brauchen sie viele Jäger, weil die Mistviecher sich dort wohl fühlen. Hohe Gläubigkeit ergibt eine hohe Spititualität, die sie nährt."

Ich erfuhr auch, dass es jeden Gott zwar nur einmal gab, der Brut allerdings kein Ende gesetzt war, es sei denn sie war explizit nur als eine in der Geschichte aufgeführt.

"Nimm dir Fenris zur Auswahl. Der Mythos erzählt von dem Kind eines verräterischen Gottes, das Tyr die Hand abbiss, als sie ihn in Ketten legten. Ihn gibt es nur einmal auf der Welt und sein Schicksal ist es jedes Mal mit Tyr zu enden, zu beginnen und seine Hand abzubeißen. Die Sirenen aus der griechischen Mythologie hingegen wurden nie auf eine bestimmte Zahl begrenzt, wer weiß schon wie viele sie wirklich sind."

Außerdem gab es bei den meisten strenge Regeln, wie man sie zu töten hatte. Die Jäger studierten quasi dauerhaft ihre Märchenbücher.

"Multitheistische Religionen teilen die Aufgaben ihrer Götter auf. Wie Daehyun für den Mais - Youngjae unterdrückte ein Lachen - und Himchan für das schlechte Wetter. Gibt es dann auch allmächtige Reinkarnationen, die von monotheistischen Göttern abstammen?", erkundigte ich mich fasziniert und nach dem vielen Bücken über den Büchern mit einem steifen Nacken.

"Gibt es, ja. Aber sie halten meistens hohe Regierungsstellungen inne und sind nicht auf bürgerlichen Feldmissionen, so wie wir.", hatte Yongguk in seiner tiefen Stimme gelacht, mich mit einem sonnigen Lächeln bekannt gemacht.

"Aber gut, dass keiner von uns so einer ist, sonst hätte er den Genuss deiner Gesellschaft verpasst, Bambi.", hatte Youngjae an meiner Seite gesäuselt und einen Arm gefährlich nahe meiner Schulter auf der Lehne hinter uns abgestützt. Ich hatte ihm nur höflich zugenickt und mich dann wieder in das Buch vertieft.

"Himchan versucht schon seit ein paar Jahren alles zusammen zu tragen, aber man gräbt immer noch ältere Geschichten aus und findet noch unbekanntere Religionen im Urwald... Aber er kann dir vermutich helfen sie etwas zu studieren.", bemerkte Yongguk mit einer Hand in Akumas Fell, der Wolfshund schlief friedlich zwischen uns auf Boden und fiel in der Dunkelheit kaum auf.

"Ich werde ihn gleich morgen darauf ansprechen!", hatte ich begeistert angekündigt und dann ein neues Gespräch über die japanischen Oni und Hachiman (Zufall...?) angefangen, mein eigenes Land in den Fokus gezogen. Sie erzählten mir von einem Bekannten von ihnen, dem japanischen Gott des Wassers und welche enorme Fähigkeite er bereits zu Beweis gestellt hatte und ich lauschte mit leuchtenden Augen.

Vor allem Youngjae schien ebenfalls glücklich zu sein mit etwas prahlen zu können und erzählte mir mit herausgereckter Brust von den vielen Gefahren, die sie bereits bestritten hatten, von Naturkatastrophen und wilden Schlachten und sein persönlicher Favorit: wie er jedes Mal eine Maid in Nöten auf seinen Händen aus dem Gefecht trug, obwohl er schwer verletzt war.

Yongguk brummte nur augenverdrehend mit, wann auch immer Youngjae zu weit ausholte, bestätigte mir, dass ja, Youngjae rettete die Jungfrau in Nöten, aber er wäre an einer anderen Stelle mehr gebraucht worden.

"Über all die Jahre hätte ich nie gedacht, dass du so beschäftigt und wichtig für unser Land warst!", sagte ich irgendwann unbedacht und er sah halb gekränkt, halb geschmeichelt aus, dann begann er peinliche Geschichten über uns beide auszugraben, wie er sich damals vor neun Jahren auf einen Blick bei der Beerdigung eines fernen Onkels in mich verliebt hatte - geschmackslos - und seitdem versuchte mir den Hof zu machen.

Yongguk wirkte ehrlich überrascht von der langen Geschichte, die ich mit dem Lord teilte und schien unser Gezanke sogar halbwegs zu genießen, war den vertrauten Umgang miteinander wohl nicht gewohnt. Aber er hatte Spaß dabei uns wie Geschwister streiten zu sehen und regelmäßig neutrale Rollen einzunehmen, wenn Youngjae nach seiner Unterstützung verlangte.

Wir lachten mehr als zuvor, waren offener, nun, da ich mehr über sie wusste und Yongguk auch alles über meine Eigenart auf Bäume zu klettern gelernt hatte. Der Tag verging schnell und ich fand mich bald müde, scheuchte Youngjae auf die gegenüberliegende Bank, um meine Glieder zu strecken.

"Was ist eigentlich unser nächster Halt?", fragte ich mit einem Blick aus dem Fenster, wo nichts außer finstere Dunkelheit zu sehen war.

"Ägypten."

Konfus wandte ich mich zu Yongguk um.

"Wie sollen wir denn so schnell nach Ägypten gelangen? Ich meinte den Zwischenstopp. Werden wir über das Festland reisen?"

"Bambi, es ist tatsächlich Ägypten, wir werden es im Morgengrauen erreichen. Wir fliegen seit heute Morgen."

Ich sah in an wie ein Fisch im Wasser.

"Wir... fliegen?"

Yongguk deutete mit dem Kinn auf das Fenster. "Das schwarze Nichts da unten ist das Meer."

"Moment, warum fliegen wir?! Wie fliegen wir?" In der Tat bemerkte ich nun ein stetiges Schwanken der Kutsche, keinen schotternden Boden unter unseren Rädern und das leise Rauschen wie von Flügeln, das ich bisher kaum gehört hatte.

"Donnervögel, Bambi. Nicht alle Götterbrut muss getötet werden."

Sie brauchten noch eine Weile, bis ich den Gedanken verdaut hatte, dass ja, wir flogen in einer unglaublichen Geschwindigkeit über die Welt und würden bald in Ägypten landen.

Mein Abenteuer stellte sich als viel unglaublicher heraus als erwartet.

KawaakariTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon