Kapitel 26

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Das Dorm zu betreten fällt mir schwerer, als es tatsächlich ist. Obwohl ich nun über zwei Stunden mit Seungmin bei Starbucks gesessen habe, kommt es mir so vor, als wäre meine Flucht erst vor wenigen Minuten gewesen. 

Als wir reinkommen, herrscht in der ganzen Wohnung komplette Stille. Vielleicht schlafen ja alle schon? Aber nein, kann nicht sein, im Wohnzimmer brennt noch Licht.

"Haruka...?", vernehme ich dann auf einmal eine leise Stimme von der Treppe. Sie gehört Jeongin. Sofort renne ich hoch zu dem Schwarzhaarigen und falle ihm um den Hals. Ich weiß nicht genau, warum ich auf einmal das Verlangen hatte, ihn zu umarmen, doch bei seiner Niedlichkeit ist das kein Wunder, denke ich.

"Jeongin..." 

Seine Arme legen sich um meinen Körper, mein Gesicht vergräbt sich in seiner Halsbeuge.

"Ich habe mir Sorgen gemacht...", sagt er, in seiner Spur ein Hauch von Vorwurf.

"Seungmin war bei mir", erkläre ich. "Alles okay."

"Nichts ist okay", bringt der Jüngste auf den Punkt. "Felix hat seine Kommode kaputt gemacht", murmelt er dann und ich lasse einige Sekunden verstreichen, bevor ich antworte.

"Ich will gerade nicht über-"

"Haruka." 

Ich zucke zusammen und drehe mich im gleichen Moment um. Unten an der Treppe steht Felix, die Körperhaltung so selbstbewusst wie immer, doch die Augen voller Scham, Trauer und einem minimalen Rest von Wut. 

Ich weiß nicht, was ich sagen soll und eigentlich will ich auch gar nichts sagen. Aber ich fühle mich etwas seltsam, wie ich so hier neben Jeongin hocke und ihn nur anstarre. 

Felix' Blick huscht zu Seungmin, der noch in der Nähe steht. Von hier aus kann ich nicht erkennen, was er tut, doch Felix scheint sich bestätigt zu fühlen. 

Er hält mir seine Hand hin. "Bitte...", krächzt er mit seiner tiefen Stimme, in seinen Augen steht noch immer dieser Cocktail aus Emotionen. 

Einen Moment lang stehe ich nur da und starre seine Hand an, weiß nicht, ob ich sie ergreifen oder reinspucken soll. Er hat so verletzende Dinge zu mir gesagt und es jagt mir immer noch die Tränen in die Augen, darüber nachzudenken.

Ich gehe eine Stufe runter und lege ganz, ganz zögerlich meine Hand in seine. Ein leichtes, erleichtertes Lächeln schleicht sich auf Felix' Lippen. Er zieht mich sanft zu sich und für einen Moment setzt mein Herz aus. Unsere Gesichter sind nur wenige Zentimeter voneinander entfernt.

"Es tut mir so leid...", sagt er leise, wobei sich sein Blick auf den Boden heftet. "Ich hätte diese Dinge niemals zu dir sagen sollen, Haruka."

Obwohl ich noch immer sauer bin, obwohl er noch immer einen Schlag ins Gesicht verdient, kann ich nur daran denken, wie wunderschön mein Name aus seinem Mund klingt. Ich sehe in seine Augen, auch, wenn er diesen Blick nicht erwidert. 

"Ich- hasse nur den Gedanken, ein Anderer könnte dich als ein Mädchen ansehen, das man sich einfach so krallen kann." Zusammen mit diesen Worten schwingt ein wenig Wut in seiner Stimme mit. 

"Davor kannst du einen Single nicht schützen", kontere ich leise und sehe auf seine Hand, die noch immer meine hält. 

Endlich hebt er seinen Blick. Seine blonden Haare fallen ihm strähnchenweise ins Gesicht und seine braunen Augen fixieren mich nun ganz genau. Doch steht in seinen Augen keine Trauer mehr, kein Scham, nicht mal mehr Wut. Nur ein Ausdruck von etwas, das ich nicht genau definieren kann.

Und dann geht alles ziemlich schnell. Felix zieht mich an der Hand an seinen Körper, aus Reflex lege ich die Hände auf seine Brust und in der nächsten Sekunde fühle ich seine vollen, pinken Lippen auf meinen. In meinem Bauch kribbelt es, eine Gänsehaut überzieht meinen Körper, doch alles, woran ich denken kann, ist das Gefühl seiner Lippen, diese perfekte Harmonie. Die Welt um uns herum scheint bedeutungslos geworden zu sein, alles verpackt in einen Statisten in einem Actionfilm, der beispielsweise auf einem Flughafen durchs Bild rennt.

Erst nach einer gefühlten Ewigkeit lösen sich unsere Lippen wieder voneinander. Dann sehe ich mich auch um.

Der Maknae sitzt noch immer auf der letzten Treppenstufe. Ihm ist die Kinnlade heruntergeklappt und seine Augen sind vor Schreck weit aufgerissen.

An die Sofalehne gelehnt steht Seungmin, auf seinem Gesicht das gleiche, wissende Schmunzeln, welches auch Chan heute Abend bereits auf den Lippen trug.

Dieser steht übrigens im Türrahmen zur Küche hin und grinst über beide Ohren. Eine Weile wird geschwiegen, Felix' Hände liegen auf meinen Hüften und er hält mich noch immer nah an sich gedrückt, wogegen ich natürlich nichts habe. Nein, obwohl ich noch immer sauer sein sollte, fühlt sich seine Nähe einfach richtig an.

"Du schuldest mir ein Softeis in Sydney", sagt Chan dann uns bricht das Schweigen, bevor er auf dem Absatz kehrt macht und wieder in der Küche verschwindet.

"Ja doch", murrt Seungmin geschlagen, doch verblasst das Lächeln auf seinem Gesicht kein Stück.

Felix' raues Lachen lässt mich ihn wieder ansehen. Auch seine Augen heften sich wieder an meine. Und nun kann ich auch den Gesichtsausdruck von eben deuten.

Es war Begierde.

Dance With Me » Stray KidsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt