Kapitel 24

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Nachdem wir noch ein wenig gesprochen haben, gesellen Felix und ich uns auch zu den anderen Jungs in die Küche und sehen ebenfalls dem erbitterten Kampf zwischen Woojin und Chan zu. Es wird noch viel gelacht und anschließend auch gegessen. Anschließend waschen Chan und ich zusammen ab, während die Anderen etwas lesen, zocken oder einfach nur Zeit auf ihren Zimmern verbringen.

"Ich kann nicht glauben, dass du uns schon bald wieder verlässt", sagt Chan, nachdem er den letzten Teller wieder eingeräumt hat.

 Ich verstaue den Lappen wieder unter der Spüle.  "Wird mir nicht leicht fallen", gebe ich zu und seufze ein wenig traurig.

"Besonders Felix ist dir ans Herz gewachsen, nicht wahr?"

Sofort schnellt mein Kopf herum zu ihm, die Wangen hoch errötet. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, warum ich in letzter Zeit so schnell so extrem erröte. Aber es verrät mich und das ist nicht gut.

Ja, Felix ist mir ans Herz gewachsen. Sehr sogar. Seine tiefe Stimme, seine vollen, pinken Lippen und diese kleinen Macken, die er hat, die mir in den letzten Tagen aufgefallen sind. Das Ständige durch die Haare fahren, mit seinen Fingern spielen, das Schnarchen. Und auf einmal wird mir klar, dass es mir vor dem Fortgehen nicht nur wegen der Scheidung in Deutschland, sondern auch wegen dem Abschied graut. Meinen Onkel werde ich wohl nicht allzu sehr vermissen, schließlich kenne ich ihn kaum. Ein ziemlich trauriger Fakt, wenn man bedenkt, dass ich die ganze letzte Woche eigentlich mit ihm hätte verbringen sollen. Während meine richtige Familie nicht da war, sind mir die Jungs so wichtig geworden wie eine Zweite. 

Chans fürsorgliche Art, Woojins Tollpatschigkeit, Hyunjins Schlagfertigkeit, Jeongins Niedlichkeit, Seungmins Ehrlichkeit, Changbins leichte Perversion, Minhos Humor, Jisungs Fähigkeit, jede Situation in bodenlose Peinlichkeit zu stürzen... und dann ist da noch Felix. Und ich kann beim besten Willen nicht erklären, was ich diesem Jungen gegenüber empfinde. Ich kann es nur als unendliche Zuneigung betiteln, als blindes Vertrauen und ein Lächeln auf dem Gesicht, allein bei der kleinsten Erwähnung seiner Person.

"Haruka?", reißt Chan mich aus meinen Gedanken. "Ist dir die Frage unangenehm?"

"Nein, nein, habe nur drüber nachgedacht." Ein etwas trauriges Lächeln umspielt meine Lippen. "Ja, ich glaube, ihn werde ich ganz besonders vermissen. Er ist wirklich etwas Besonderes. Das seid ihr alle...-"

"...aber er hat es dir angetan." Chan grinst mich breit an. "Wusste ich es doch."

"Nun ja- das..."

"HARUKAA!", brüllt auf einmal eine tiefe Stimme von oben. Wenn man vom Teufel spricht.

"KOMME!", schreie ich zurück und lächle Chan dann entschuldigend an. Doch dieser trägt nur ein breites, wissendes Lächeln auf den Lippen, wie einer dieser klischeehaften asiatischen Großväter, die so viel Weisheit besitzen, dass sie diese in alle Richtungen ausstrahlen.

Ich poltere also die Treppe zu Felix hoch, reiße die Tür auf. "Alles noch heil, keine Knochenbrüche?", frage ich gespielt hysterisch, doch der Blonde scheint gar nicht zum Spaßen aufgelegt. Seine Augen sprühen fast über vor Zorn, seine Augenbrauen so eng zusammengezogen, dass sie zusammengewachsen aussehen, seine Kinnmuskulatur verhärtet. Er hat meine blaue Jeans in der rechten Hand, in der linken hält er ein kleines, weißes Zettelchen, von dem ich zuerst keine Ahnung habe, was es ist.

"Wem gehört die?!", faucht er und wirft daraufhin meine Hose wutentbrannt aufs Bett, was mich zusammenzucken lässt. Was ist denn auf einmal in ihn gefahren?

"Was meinst du denn?", frage ich, noch völlig ruhig, doch mit einer Spur Angst und einem Hauch von Ehrfurcht in der Stimme.

"Wer ist er und WO bist du mit dem Bus hingefahren?!", blafft Felix mich weiter an. Und auf einmal geht mir ein Licht auf. In seiner Hand hält er gerade die Nummer des jungen Barkeepers, welche dieser mir noch zugesteckt hat. Ihn hatte ich irgendwie ganz vergessen. Unfreundlich von mir, ihn nicht anzurufen... Aber gerade habe ich ganz andere Probleme. Ein tollwütiges Kampfkänguru. 

"Die Nummer...", sage ich leise und mache einen Schritt auf Felix zu. Auch er tut dies. 

"Warum wühlst du in meinen Sachen?", frage ich entrüstet, was ihm gar nicht in den Kram passt.

"ICH wollte DEINE Hose von MEINEM Bett entfernen! Und dann fällt das hier da raus! Was ist das, Haruka, huh?! Hast du in dieser Bar eine Runde rumgehurt?!" Die Härte seiner Worte trifft mich gleich doppelt, weil er Englisch spricht. Sofort mache ich wieder einen Schritt zurück. Ich will ihn anschreien, was ihm einfällt, so etwas zu mir zu sagen, ich will ihn schlagen, ihn treten, doch nichts von alledem passiert. Mir steigen nur die Tränen in die Augen. 

"Felix..."

"Wie war das?! Eine Runde betrunkener, alter Säcke, die eine Pille eingeworfen haben und ein letztes mal ihren Schrumpfschwanz in deine Open-Hours Fotze gesteckt haben?! Sag mir, Haruka, war es so?!"

"Hör auf!", schreie ich. Dass ich meine Stimme erhebe, scheint ihn aus dem Konzept gebracht zu haben. 

"Was ist nur in dich gefahren?!", schreie ich weiter, meine Lautstärke steigert sich nur umso mehr. Ich merke, wie mir wieder die Röte in die Wange schießt, nur ist es dieses mal vor Wut und ich schäme mich kein Stück dafür, dass die Farbe meine Emotionen verrät. 

"Wohlgemerkt hast du mich an dem Tag wie Scheiße behandelt, deswegen bin ich abgehauen! Ich habe mich verlaufen, okay?!" Warum rechtfertige ich mich eigentlich vor ihm? Warum erkläre ich mich vor ihm?!

"Du verläufst dich in einem scheiß Bus?!", brüllt er. "Verfickte Lügnerin!"

"Ich bin im Bus EINGESCHLAFEN! Und dann kam ich irgendwo in Songpa wieder raus!"

"Bist du jetzt etwa auch zu dumm, um Buspläne zu lesen?!"

"ICH HABE IN EINER KNEIPE NACH DEM WEG GEFRAGT!!"

Stille. Der Blonde starrt mich noch immer wutentbrannt an, nicht anders ich. Wir beiden beben vor Wut und keiner scheint noch zu wissen, was man sagen könnte. 

Doch meine Wut und meine Verteidigung halten nicht lange an. Sein Blick scheint meine gesamte Haut niederzubrennen, so unerbittlich seine Miene, so vollkommen der Hass. Je länger diese Starre anhält, umso schwächer werde ich.

"Du bist erbärmlich", sagt Felix schließlich und bricht damit das lange Schweigen. Und diese drei Worte reichen vollkommen aus, um mich zu brechen. 

Die Wut weicht aus meinem Gesicht, die Maske verrinnt, wie Regen, der die Fensterscheibe herunterrennt. Ich fange an, stumm zu weinen. Und im nächsten Moment renne ich auch schon wieder fort. Fort von diesem Ort der Demütigung, der Trauer und dem Gefühl, von jemandem verletzt worden zu sein, für den ich so etwas wie Liebe entwickelt habe.

Dance With Me » Stray KidsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt