Kapitel 19

64 3 0
                                    

Entfernt hörte ich das Rauschen der Wellen. Der Wind war zwar warm aber das änderte nichts daran, dass es mich fröstelte. Heute Morgen war das Meer recht wild. Überrascht stellte ich fest, dass alle schon wach waren, als ich aus der Küche kam und die weiß gepflasterte Terrasse betrat. Ich wünschte ich hätte die vergangene Nacht nur geträumt, dass all die Worte nur ein Albtraum waren aber als ich in die fremden Gesichter meiner Familie schaute, wusste ich es besser. Die Blicke der Jungs waren weniger beißend und abgebrüht, als die meiner Mutter. Mir lag ein richtiger Stein im Magen.
„Morgen", brach Xavier als erster die Stille und bemerkte wohl die unheilvolle Stille in der Luft.
„Morgen", erwiderte ich und war bemüht, ein Lächeln aufzusetzen, dass meine Angst nicht gleich verriet.
Im Grunde erwartete ich jede Minute, dass irgendwer das Schauspiel beendete aber das taten sie natürlich nicht.
Ich wünschte, ich hätte mein Zimmer in dieser Nacht nicht verlassen. Ich wünschte, das Unbehagen, dass sich tiefer in meinen Magen fraß, würde nicht hauptsächlich meiner Mutter gelten. Diva löste sich von ihrem Platz am Pool und schlich mir um die Beine. Ich hockte mich zu ihr und kraulte sie ausgiebig, vor allem um noch etwas Zeit schinden zu können. Sie schmuste ihren Kopf an meiner schwarzen Latzhose, sodass ich fast einen Satz nach hinten machte. „Unglaublich. Der Hund hängt wie eine Klette an dir. Vorsicht Taylor, du bekommst Konkurrenz." Als Xavier den Namen seines Sohnes aussprach, erschauerte ich innerlich.
„Wenn sie mich so kraulen würde wie den Hund, wäre ich auch handzahm Dad." Ein seltsames glühen, legte sich auf meine Wangen. Innerlich schreckte ich richtig zusammen. Meine Mutter schnaubte wütend.
„Taylor...", warnte Xavier. Insgeheim, war ich neugierig. Ich wollte wissen, was ihn dazu brachte mir einen derartigen Vorschlag zu machen. Er und seine Brüder. Macht war es nicht und ganz sicher auch keine Geste der Dominanz. Die Jungs waren kernig, sie hatten Temperament. Oft waren sie sehr direkt und durchaus stark, wie ihr Vater aber niemand von ihnen wirkte dominant. Wieso ließ mich dieser Gedanke innerlich so zittern? Ich war hin- und hergerissen. Während ich Diva ansah, fühlte ich Angst, Wut, Verzweiflung aber irgendwas an dem Ganzen gab mir auch Hoffnung.

Auch als ich mich auf den Platz zwischen Marie und Xavier gesetzt hatte, hielt dieser Schwindel in meinem Kopf an. Meine Mutter war gut gelaunt und brabbelte immer wieder irgendwas von Events und dass sie gerne mehr zuhause wäre. Sie sprach auch mit mir aber ich hörte ihr gar nicht zu. Ich lächelte bloß und schaute wiederholt in die Ferne. Die Royal Söhne waren ebenfalls gut drauf aber viel ruhiger als üblich. Als ich den Blick zum ersten Mal an dem Morgen hob und sie ansah, wusste ich, dass sie warteten. Sie warteten auf eine Entscheidung und meine Kooperation. Sie zweifelten nicht an den Absichten von Silvia aber an meinen. Jeder von ihnen dachte, dem anderen ein Stück voraus zu sein. Ich wusste, ich musste irgendwas tun, damit diese Bilder von mir und Xavier nicht an die Öffentlichkeit gerieten. Xaviers Söhne, hatten zufällig dasselbe Ziel wie ich, auch wenn es für mich wohl heißen würde, dass ich am Ende auf dem sinkenden Schiff gefangen war und die Scherben meiner Mutter aufsammeln durfte, um mich einmal mehr daran zu verletzen.
Silvia hatte einen entscheidenden Denkfehler, zu glauben, dass sie alleine schlauer wäre, als Taylor und seine Brüder, die noch vor mir ihren Plan erahnten. Vor allem Taylor war wachsam. Mein Blick schweifte heute zum ersten Mal genauer von einem zum anderen. Miro war genauso groß wie sein Vater, ebenso breitschultrig und muskulös. Durch den Sport den er machte, hatte er richtige Pranken. Er rasierte sich die Haare immer komplett ab und ließ seine Kopfhaut lieber von Tattoos zieren. An seinen Ohren trug er jeweils schwarze Tunnel in unterschiedlichen Größen. Am Kinn trug er nur einen kleinen Streifen als Bart. Das markanteste an ihm war durchaus seine Muskelmasse und die braunen Augen. Wenn er lachte, verrieten sie seine Wärme. Dann wirkte er nur halb so furchteinflößend. Er war bestimmt um die 1,90 m. Leo und Taylor waren kaum merkbar kleiner aber gleichgroß und schmaler. Auch sie hatten den typischen, breiten Oberkörper und die Schultern ihres Vaters. Aber sie boxten nicht. Leo war schmaler als Taylor und hatte unglaublich viel Humor. Er war Rockmusiker und spielte Schlagzeug wie ein Gott, zumindest soweit ich das beurteilen konnte. Die Tattoos und das lange braune Haar passten gut zu ihm und seiner rebellischen Art. An der Lippe trug er ein Piercing, einen Ring. Wenn er grinste blitzte es richtig. Den halben Tag, trug er dieses schwarze Cappi mit einem goldenen R und dem Löwenkopf drauf. Das Familien Wappen, das Wappen, was Xavier auf allen seinen Sachen trug, die er zum Training oder den Kämpfen anzog.
Noah war etwa 1.80 m von Kopf bis Fuß sportlich und durchtrainiert, genau wie Taylor. Beide surften und das sah man auch an dem sonnigen Hautton und der Bräune. Er war der einzige von den Jungs der blond war, hellblaue Augen hatte und vermutlich nach ihrer Mutter kam. Sie musste blond gewesen sein, anders konnte ich mir das nicht erklären. Noah war deutlich sanfter und richtig warmherzig. Er war ruhiger aber frech. Irgendeinen Streich spielte er immer irgendwem und er eiferte Taylor nach, sah zu ihm auf. Seltsamerweise hörten alle auf ihn und nicht auf Miro, wie man vermuten sollte. Unter den Brüdern, hatte Taylor das sagen, so viel stand fest.
Kaum hob ich den Kopf und ließ meinen Blick zu ihm schweifen, wurde mir klar, wie selbstbewusst er war und ihn niemand daran hindern würde, seinen Vater zu verteidigen. Sie alle. Seit ich die Terrasse betreten hatte, musterten sie mich und er ließ keinen Versuch aus, irgendwelche Andeutungen zu machen. Ich schaute ihn an und er erwiderte meinen Blick.

Shy - Deep PainWhere stories live. Discover now