Nachts in Amsterdam [Zwischensequenz]

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Amsterdam, Niederlande. 02:54 Uhr.

Er war nun schon seit gestern nachmittag auf den Beinen und langsam machte sich der Schlafmangel bemerkbar. Kopfschmerzen und ein leichter Tinnitus waren seine Belohnung dafür, dass er sich die Nacht um die Ohren geschlagen hatte, in der Hoffnung seinen Fall zu lösen. Ein Junge von 10 Jahren wurde nun schon seit zwei Wochen vermisst und sorgte für Beunruhigung in der Bevölkerung. Er kam einfach nicht dahinter, wo der Junge sein konnte und ihm lief langsam die Zeit davon. Trotz Allem hatte er sich nach dem verstörenden Anruf sofort auf den Weg gemacht.

Nun stand er in einer verflucht kalten Herbstnacht am Rande eines abgesperrten Tatorts inmitten des Amsterdam'schen Rotlichtviertels und würde sich wohl in wenigen Minuten einer Gewalttat gegenüber sehen, welche er nur selten zu Gesicht bekam.
Das Blaulicht der Politie war schon von Weitem zu sehen. Seuzend bremste er ab und stieg vor dem gelben Absperrband vom Fahrrad. Es war einfacher sich in Amsterdam mit Fahrrädern zu bewegen. Vorsichtig duckte er sich unter dem gelben Absperrband hindurch und schob sein GMX Bike hinterher. Während er es auf der anderen Seite des gelben Bandes an einer der schäbigen Hauswände abstellte und abschloss kam ein Polizist auf ihn zu. Hoekstra stand auf seinem Namenschild und er erkannte ihn wieder von einer Ermittlung vor einem Jahr. Der Mann war ein in die Jahre gekommener Polizist, der aber mit seiner Erfahrung viel wettmachen konnte.

"Hallo", begrüßte er ihn und grinste als er sah wie der Detektiv den Kragen seines Mantels hochklappte.  "Behoorlijk koud vandaag, toch?", fügte er hinzu und der Detektiv nickte nur verdossen. Scheiße kalt, er hätte sich einen dickeren Pulli anziehen sollen.
"Wat is er nieuw?" fragte er den Polizisten und sofort wurde dessen Gesicht ernst. Es musste wirklich schlimm sein. Schnell bekam er eine kurze Zusammenfassung der Geschehnisse. Vor ungefähr einer halben Stunde hätte die Politie einen Notruf bekommen, mit der Aussage, dass in einem leergefegten Bordell direkt hinter einem Fenster eine Leiche liege. Sie hätten sich sofort auf den Weg gemacht und als sie sahen worum es sich handelte, hätten sie ihn angerufen.

Er runzelte das Gesicht, während er seinen Mantel enger um sich zog. Das angespannte Gesicht des Polizisten sah genauso müde aus wie er sich fühlte. In regelmäßgen Abständen wurde es in blaues Licht getaucht und somit erschien es noch bleicher. In was für einer Welt lebten sie nur...

"Ik zal een kijkje nemen." sagte er zu Herrn Hoekstra und nickte ihm zu, als er sich in Richtung der Mordszene aufmachte, um sich ein eigenes Bild zu machen. Vielleicht fand er ja Spuren, die auf den Täter hinweisen würden.
Als er vor dem Fenster stehen blieb und sah, was sich wohl dahinter abgespielt haben musste, musste selbst er schlucken.
"Wat in godsnaam..." begann er und riss den Blick von der Scenerie ab. Alles war voller Blut. Mit steifen Gliedern wandte er sich der Tür zu und nickte einem weiterem Polizisten zu, der ihn mit zusammengepressten Lippen hindurchließ, hinein in die Höhle des Horrors.

Es handelte sich tatsächlich um ein Bordell. Dieser Raum war vermutlich eine Art Foyer gewesen, in der die Gäste empfangen wurden und dann verteilt. Ein bisschen wie in einem Hotel. Das große Fenster hatte vermutlich für werbende Poster und Plakate gedient. Doch von derlei war weit und breit nichts zu sehen. Das Fenster bot freie Sicht auf einen Raum, welcher komplett mit Blut bespritzt schien, fast so als wäre er frisch rot gestrichen worden - nur dass der Maler einen miesen Job getan hatte. Es war grotesk. Am schlimmsten war jedoch der Geruch. Man roch nicht nur den süßlich, metalligen Geruch des Blutes, sondern auch etwas Weiteres, was seine Nackenhaare aufstellen ließ.
Erst als er die Stücke sah, wusste er worum es sich bei dem anderen Geruch handelte. Im gesamten Raum lagen sie verteilt und verströmten eine eigenen Dunst, der ihm, auch wenn es noch nicht stank, den Magen umzudrehen drohte. Er schluckte hart und zog sich schnell die Plastikschuhe über seine eigenen, um sich in dem Raum bewegen  zu können. Er wusste die Polizei hatte schon von Allem Aufnahmen genommen, sodass er keine Beweise zerstören konnte. Aber sicher war sicher.
Schweiß brach ihm auf dem Rücken aus, als er sich dem einem nicht identifizierbaren kleinen Klumpen nährte, der ihm am nächsten lag. Vorsichtig ging er in die Hocke und erkannte, dass es sich um ein Ohr handelte in dem noch ein Ohrring steckte. Der nächste Klumpen war ein halber Fuß, ein weiterer eine Schulter. So ging es weiter, bis er sich ein Bild einer Frau machen konnte. Wie vermutet. Jedoch konnte er nicht sagen wie alt. Ihre Innereien waren nicht mehr in den richtigen Körperteilen und ihm schwante Unaussprechliches.
Er hoffte, dass die Politie die Frau anhand ihrer Fingerabdrücke indentifizieren konnte. Sie musste eine der Prostituierten gewesen sein, doch das bedeutete noch lange nicht, dass sie nicht vermisst werden würde. Ihre Familie würde die Nachricht wie sie zu Tode gekommen war vermutlich nicht leicht aufnehmen. Niemand würde das. Zudem verdiente sie eine ordentliche Beisetzung.

Der Detektiv kratzte sich am Kinn und dachte nach. Er hatte keine Kleidungsstücke gesehen, also entweder war die arme Frau nackt gewesen, als sie in diesen Raum gekommen war, oder es gab noch welche in einem der Zimmer des Gebäudes. Er würde dies im Bericht später nachlesen. Langsam schritt er durch den Raum und untersuchte jedes kleinste Detail. Er spürte, dass ihm etwas entging.

Gerade wollte er die Suche aufgeben, da fiel ihm ein roter Fleck auf der Glascheibe des Fensters auf, als er noch einmal einen letzten Blick durch den Raum schweifen ließ. Er sah anders aus als der Rest. Er ging darauf zu und besah sich ihn. Es war eine Zeichnung! Eine Spirale aus Blut, welche dort an das Fenster gemalt wurde. War dies ein Hinweis des Opfers oder ein Deklaration des Täters? Was bedeutete diese Spirale? Hatte die Frau etwas gewusst, weswegen der Täter sie getötet hatte. War der Täter ein Mann oder eine Frau?
Erneut durchsuchte er das gesamte Zimmer nach Hinweisen, wurde jedoch nicht fündig. Keinerlei Fußspuren, Stoffetzen, oder ähnliches, welche auf den Täter hinweisen könnten. Dieser Mord ist sorgfältig kaschiert worden. Frustriert trat der Detektiv aus dem Gebäude, hinaus in die erbarmungslose Kälte.

Die kleine Zeichnung aus Blut ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.

Midnight WhispersWhere stories live. Discover now