Teepause

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Es war ein amüsierender Anblick zuzusehen, wie einem erbosten Keiran von einer Frau der halben Größe die Tür vor der Nase zugeschlagen wurde. Was ein Idiot. Lillith konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Vorhin hatte er gemeint, dass sie diejenige gewesen sei, die ihn mit irgendeinem klebrigen Zeugs beworfen hätte. Auf einmal war ihr der Moment in Prag wieder eingefallen und sie war so von sich selbst überrascht gewesen, dass sie versehentlich für eine Sekunde ihre Defensive hatte fallen lassen. Sie rügte sich dafür Schwäche gezeigt zu haben, immerhin hatte sie kein einziges Wort mit ihm reden wollen - doch der Kerl hatte sie tatsächlich Esel genannt! Lillith schnaubte. Wer behält denn da schon die Nerven? Wer sagte so etwas überhaupt noch? Die Diskokugel stammte wirklich von einem anderen Stern.

Lillith sah zu Altheia hinüber, die wild gestikulierend versuchte Keiran aus dem Türbogen zu verscheuchen. Ihr ging nicht aus dem Kopf, wie er sich bei ihr entschuldigt hatte, als er ihre Hände verkühlte. Nach allem was sie hatte durchmachen müssen, hatte sie diese Entschuldigung am meisten überrascht.
Es war ihr klar gewesen, dass sie für den Erzengel nur ein Mittel zum Zweck darstellte um an Informationen zu gelangen. Auch wenn Lillith der Affront gegen ihre Privatsphäre bis ins Mark erschüttert hatte. Zumal ihre Gedanken, ihr klarer Verstand, das einzige gewesen war, der allein ihr gehört hatte und sie zudem abgehalten hatte in der Einrichtung wahnsinnig zu werden. Es war auch zu verstehen, warum die anderen Engel ihr so misstrauten. Sie war immens verdächtig, scheinbar gut ausgebildet und ihrem Gefängnis entkommen. Doch Keirans Entschuldigung hatte in dem Moment aufrichtig betroffen geklungen, fast beschämt. Dabei glich dieser Engel eher einem aufgeplustertem Pfau, der aus Stolz niemals eigene Fehler zugeben würde. Aus diesem Grund machte es keinen Sinn, dass-

Das Geräusch der ins Schloss fallenden Tür riss sie aus ihren Gedanken. Mit raschelnden Flügeln wandte Altheia sich um und schaute Lillith mit ihren Adleraugen an. Es schien ihnen nicht das kleinste Detail zu entgehen.
Zu einem anderen Zeitpunkt wäre Lillith fasziniert von dieser Frau gewesen, doch nun saß sie mit einem immer noch blutenden Bein, eisigen Handgelenken und einem schwirrenden Kopf inmitten eines verhasst weißen Krankensaals und wurde das Gefühl des Hasses auf Akira, sowie eine gewisse aufsteigende Panik nicht los. Heute war zu viel passiert und nun war sie mit diesem Engel alleine. Sie wusste nicht wie sie entkommen konnte. Sie wusste nicht was da gerade auf sie zu kam. Ihre Nerven lagen blank und sie lief auf Sparflamme.
Schon vorhin hatte sie kaum noch die Kraft zum Stehen gehabt. Mithilfe des Adrenalins war es ihr noch gelungen es zu verstecken, um vor Keiran keine Schwäche zeigen zu müssen. Genau genommen hatte sie alles versucht um von ihm loszukommen. Sehr zu seinem Leidwesen. Aber natürlich hatte die Wirkung des Adrenalins nachgelassen, sodass sie igrendwann hatte einsehen müssen, dass sie ihr Kräfte benötigte um sich darauf zu konzentrieren einen Fuß vor den anderen zu setzen und halbwegs mitzubekommen wo sie war. Somit hatte sie Keirans Gezetere wortlos über sich ergehen lassen bis sie bei der Heilerin angekommen waren.

Kurz musterte Altheia sie stumm, dann ging sie bedachten Schrittes auf Lillith zu - fast so als wäre jene ein kleines verschrecktes Rehkitz. Sie lag gar nicht so falsch. Lillith war am Ende.

"Leg dich mal richtig hin, Kleines. Du musst ja völlig erschöpft sein." sagte sie besorgt als sie sich langsam zu ihr auf die Bettkante setzte. Ihre Flügel hatte sie hinter sich zusammengefaltet und an der Seite des Bettes drapiert, sodass sie nicht zerknickten.

Lillith zuckte zurück und schüttelte den Kopf. Es reichte schon aus auf diesem weißen Bett zu sitzen. Es gelang ihr nur sehr schwer all den damit assoziierten Horror von sich zu schieben. Sie musste klar denken! Sie wusste nicht wer diese beflügelte Frau war und ob sie ihr etwas tun würde. Der Saal war so weiß!
Anteilnahmsvoll lehnte sich Altheia vor und blickte Lillith offen an. Diese kam nicht umhin zu bemerken, was für eine innere Ruhe die Frau vor ihr ausstrahlte, während jene zugleich nicht still sitzen konnte. Irgendetwas schien an Altheia immer in Bewegung zu sein. Gerade wippte sie mit ihrem Bein auf und ab, schon raschelten ihre Flügel. Trotz allem schien sie ehrlich besorgt zu sein.

Midnight WhispersWhere stories live. Discover now