Nachts in Prag [Zwischensequenz]

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Prag, Tschechische Republik. 3:52 Uhr.

Sie rieb ihre Hände aneinander und hauchte ihnen warmen Atem entgegen in dem Versuch die beißende Kälte von ihren Fingern fernzuhalten. Sie zog den Kragen ihres Mantels höher.
"Sakra, je studená", fluchte sie leise über die Kälte, die sich an ihren Beinen bereits bis zu den Knochen durchgefressen hatte. Sie erschauerte.

Prag war im Winter immer kalt, das wusste sie. Sie hatte sich daran gewöhnt. Jedoch wunderte sie sich, dass es heute Abend zu so eisigen Temperaturen kam, da es noch mitten im Herbst war. Ungewöhnlich. Fröstelnd rieb sie noch einmal die Hände an einander, während sie in eine kleine Seitenstraße abbog. So spät in der Nacht hing eine unheimliche Stille über der Gasse, auf der sie nun entlang zitterte. Einige wenige Laternen beleuchteten spärlich das Kopfsteinflaster auf dem sie versuchte nicht umzuknicken, obwohl sie noch nicht einmal hohe Schuhe trug. Kopfschüttelnd ging sie weiter, als sie erneut erzitterte. Hätte sie doch nicht ihre Handschuhe vergessen! Vorhin in der Kneipe war es ein warmer, geselliger Abend gewesen. Nun hielt sie nicht einmal mehr der wohlige Brand des Becherovka warm. Sie war mit ein paar Freunden unterwegs gewesen, bis die Karaokemaschine, welche sie in der letzten Kneipe entdeckt hatten, heiß gelaufen war. Irgendwann wurde es dann selbst dem Bartender zu spät, sodass er sie, nachdem er sämtliche Stühle hoch auf die Tische gestellt hatte, die Gruppe von Studenten mürrisch vor die Tür geschoben hatte. Mit einem sanften Lächeln dachte die junge Frau an den entnervten Blick des Bartenders zurück. Der alte Mann war immer freundlich zu ihnen gewesen, doch es war wirklich spät geworden. Sie alle hatten seine mürrischen Kommentare verdient als er sie buchstäblich auf die Straße gesetzt hatte.

Plötzlich sah sie aus dem Augenwinkel einen undefinierbareren Schatten an ihr vorbei huschen. Schnell wandte sie sich ihm zu, doch was sie vor Sekunden noch meinte gesehen zu haben war bereits wieder verschwunden. Verwirrt blickte sie sich um, während sie langsam weiter die Straße entlan ging. Was war das gewesen? Nichts regte sich. Sie schüttelte den Kopf und straffte die Schultern. Bis zu ihrer kleinen Wohnung war es nicht mehr weit, versicherte sie sich. Bald würde sie es geschafft haben und nach diesem langen Abend einfach nur noch ins Bett fallen können. Es gab überhaupt keinen Grund zur Beunruhigung.
Doch das Gefühl, dass sich in der Dunkelheit etwas verbarg und sie beobachtete, ließ sie nicht los. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit und ließ sie ihre Schritte beschleunigen. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken und hinterließ am ganzen Körper Gänsehaut. Erneut blickte sie über ihre Schulter zurück auf die Straße hinter sich. Nichts. Da war rein gar nichts! Trotzdem blieb das Gefühl beobachtet zu werden und haftete an ihr wie klebriger Sirup.

Wie aus dem Nichts nahm sie erneut eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr. Ruckartig blieb sie stehen und riss sie den Kopf herum. Im selben Moment zuckte sie erschrocken zusammen als in einer Nebengasse eine Mülltonne umfiel und sich eine Katze lautstark über den Lärm beschwerte. Warte, eine Katze? Erleichtert richtete sich die Frau auf und strich sich mit immer noch zitternden Fingern eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Es war alles in Ordnung, sprach sie sich Mut zu und setzte sich wieder in Bewegung. Straßenkatzen auf der Jagd nach Mäusen. Das war alles. Sie bildete sich alles nur ein.

Wieder schaute sie über die Schulter hinter sich.

Nur Katzen, dachte sie. Nur Katzen. Nur Katzen.

Schneller, sie musste schneller gehen. Es war alles einfach nur der Becherovka, welcher ihr nun in den Kopf stieg und ihre Sinne benebelte. Kein Grund zur Beunruhigung. Nur noch bis zum Ende der Straße, dann rechts und wieder links in die kleine Gasse direkt zu der alten Holztür an der die weiße Farbe schon abblätterte. Sie war fast da.

Ein seltsames Geräusch ertönte. Fast hätte sie es überhört, doch da ertönte es erneut und brach in Angstschweiß aus. Ein Kratzen über Stein. Als würde jemand eine Kralle über den Klinker eines Gebäudes ziehen. Stetig. Ruhig. Beinahe gelassen. Es kam näher. Wieder beschleunigte sie ihre Schritte, sodass sie fast rannte, und schaute sie sich über die Schulter. Sie war allein und angetrunken. Irgendetwas war da draußen in den Tiefen der Nacht. Sie wünschte sich die Straße wäre besser beleuchtet. Ihr Atem begann schneller und kürzer zu kommen. Schneller, sie musste schneller gehen.

Midnight WhispersWhere stories live. Discover now