Den Sternen so nah

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Der Wind sauste durch Kieran's Haar als er durch die Lüfte mit dem Wind um die Wette sauste. Es war eine wolkenlose Nacht und er genoss die frische Kälte die an seiner Nase knabberte. Mit seinen Flügeln und der schwarzen Kleidung konnte man ihn vom Boden nicht erkennen. Nur sein kräftiger Flügelschlag verriet, dass ein Raubtier den Himmel durchzog.

Immer schneller und schneller flog er. Der Boden unter ihm ein Meer aus grün als er die Wälder und Berge um die Engelsstadt umflog. Er war froh, dass Menschen hier keinen zutritt hatten. Die Stadt war etwas besonderes und ein Zufluchtsort für allerlei Engel.

Er machte eine scharfe Wendung und lies sich tiefer Richtung Boden fallen. Dieser freie Fall. Dieser atemberaubende Adrenalinrausch. Er liebte fliegen. Es gab nichts besseres als die endlose Freiheit des Himmels. Nichts besseres als den Sternen nachzujagen. Hier oben im Nachthimmel hatte er keine Verpflichtungen. Hier war er an niemanden gebunden. Frei wie ein Vogel.

Am liebsten wäre er noch Stundenlang weiter geflogen, doch als die Müdigkeit ihn beinahe aus dem Himmel holte, gestand Kieran sich ein, dass auch er irgendwann Schlaf brauchte und landete auf dem Balkon seines Zimmers im Wohnhaus der Auserwählten. Als er in sein Zimmer eintrat nahm er direkt einen Geruch wahr, der sich hier nicht befinden sollte. Ein weiblicher sinnlicher Geruch. Izara. Seine Augen brauchten kein Licht um in der Dunkelheit zu sehen. Ruhig wie ein Raubtier vor dem Sprung auf der Jagd nach Beute lies er seinen Blick durch das Zimmer gleiten. Es war leer. Sie war allerdings definitiv hier gewesen. Er knurrte genervt und ließ seine scharfen Eckzähne im Mondlicht aufblitzen. Niemand außer ihm selbst war in diesem Zimmer willkommen. Es war seins und er teilte nicht. Er hatte Izara bereits ermahnt als sie das letzte mal plötzlich in seinem Bett gelegen hatte als er nach dem Training hereinkam. Er hatte sie prompt an den Flügeln gepackt wie ein störrisches Kind und im hohen Bogen vor die Tür gesetzt. Sie hatte eine Woche lang geschmollt, vor sich hin gebrodelt und Kieran keines Blickes gewürdigt. Gut so. Sie musste lernen, dass es Grenzen gab. Selbst eine Schönheit wie sie hatte Regeln zu befolgen.

Als Kieran sich ins Bett legte, übermannte der Schlaf ihn binnen Sekunden und seine Träume entführten ihn wieder in den Nachthimmel. In seinen Träumen war endlos frei - egal ob im Himmel oder auf dem Land. Nichts und niemand konnte ihm etwas sagen.

Nicht einmal ein Erzengel.


Am nächsten Tag beim Frühstück knurrte er Izara warnend an. Sie blinzelte leicht erschrocken und schenkte ihm ein unschuldiges Lachen. Frauen. Kieran verdrehte die Augen. Er würde ihr es im Training auf der Matte eh heimzahlen. Heute war er schlecht drauf und hoffte zu Gunsten der anderen, dass er nur gegen Izara kämpfen musste. Die anderen hatten seine schlechte Laune nun wirklich nicht verdient.


Garrison brüllte und meckerte was das Zeug hielt. Nichts passte ihm heute. Alles kritisierte er. Kieran lief der Schweiß von der Stirn als er und Cassian mit zwei Schwertern im Ring sich bekämpften. Ein rhythmischer Tanz aus Stahl, doch Garrison fand hier und da Fehler. Zu langsam mit der rechten Hand. Der linke Fuß nicht richtig auf dem Boden. Während Kieran weitestgehend verschont blieb, schien er Cassian förmlich zu zerpflücken. Sein Bruder atmete bereits schwer während sein T-Shirt schweißgetränkt an ihm klebte. "Cassian, deine Flügel!", brüllte Garrison erneut vom Rand. Kieran sah wie die Konzentration in den Augen seines Bruders verbittert gegen die Anstrengung kämpfte. Eine Pause. Cassian brauchte eine Pause. Mit jeder Kritik wurde Kieran wütender. Garrison wusste, dass Cassian noch nicht auf seinem Level war. Er wusste, dass der Junge noch nicht die Ausdauer und die Kraft besaß um so lange sich gegen Kieran zu behaupten. Sie waren nun seit vier Stunden im Ring.

Plötzlich ließ Cassian für eine Sekunde seinen Flügel schleifen und das war alles was es brauchte um den Sturz in Gang zu setzten. Er stolperte über seine blauen Flügel, verlor sein Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Garrison began wütend zu schimpfen. Kieran streckte eine Hand seinem Bruder entgegen, da fing eine weibliche Stimme an hämisch neben Garrison am Rande des Ringes zu lachen. Eine Melodie aus Schadenfreude, Bitterkeit und absoluter Überheblichkeit. Kieran gefror mitten in seiner Bewegung und drehte sich langsam um. "Oh Cassian, das war absolut erbärmlich", lachte Izara, doch eine Sekunde später begann sie um Luft zu ringen. Die Luft schien nicht mehr in ihre Lunge zu fließen. "Kieran", fauchte sie als sie sich an den Hals griff. Kieran ging einen Schritt auf sie zu. Neben ihr war Garrison verstummt. Der Waffenmeister trainierte sie zwar alle und hatte hier das Sagen, doch selbst er wagte es nicht Kieran anzusprechen wenn dieser wütend wurde. Er faltete seine grauen Flügel hinter seinem Rücken zusammen und trat einen Schritt von Izara weg. Wut kochte durch Kieran's Blut heißer als Izara's Blitze, seine dunkel blauen Augen wurden eisig und sein Körper ganz ruhig. Cassian rappelte sich hinter ihm auf, blieb jedoch ganz still. Izara begann zu keuchen und zu husten. Sie sank auf ihre Knie während sie versuchte gegen Kieran's Kraft anzukämpfen, doch er ließ nicht locker. Ihre Augen weiteten sich als sie verstand, dass sie eine Linie bei weitem überschritten hatte.

"Noch ein Fehler von dir, Izara Storm, und selbst dein Blitz kann dich nicht mehr retten." Kieran's Stimme war ruhig, tief und versprach endlose Qualen. Das Gesicht des Engelmädchens verzehrte sich vor Wut und wurde so blass wie ihre schneeweißen Flügel. Er zog seine Kräfte zurück und sie japste nach Luft. Kieran verzog angewidert seinen Mund. Sie war so wunderschön und meist konnte er sich bessere Szenarien mit ihr vorstellen in denen sie vor ihm kniete, doch manchmal musste selbst die sinnlichste Sünde in ihre Schranken zurückgewiesen werden. In ihren Augen glitzerten Tränen wie kleine Diamanten, doch sie lies keine einzige fallen. Es war ein erbärmlicher Anblick und sicherlich würde sie ihn die nächste Woche dafür erneut ignorieren. Vermutlich würde er keine sanfte Stunde mit ihr in ihrem Bett mehr vor seiner Abreise verbringen, doch das war es ihm Wert. Niemand hatte das Recht über seinen Bruder zu lachen außer er selbst. Schon gar nicht Izara.

Kieran drehte sich auf seiner Ferse um und begann den Trainingssaal zu verlassen. Er hörte Cassian's hektische Schritte schnell hinter ihm folgen. Die anderen blieben still und wagten es nicht sich zu bewegen. Gut so. Kieran ließ seine Schultern beim gehen etwas kriegen um die Anspannung abzuschütteln. Seine Fähigkeiten brodelten in ihm. Sie wollten rausgelassen werden. Wollten ihre volle Kraft entfalten. Eis und Wind. Sie wirbelten stürmisch in ihm umher auf dem gesamten Weg zurück zum Wohnhaus. Still folgte Cassian ihm, bog dann jedoch in sein eigenes Zimmer ab.

In seinem eigenen Zimmer angekommen, ging Kieran zu seinem Balkon und schaute hinunter zum Wald hinter der Stadtmauer. In ein paar Tagen würde er zugeteilt werden und die Stadt verlassen müssen. Müsste den Blutschwur schwören und einem der regierenden Erzengel in der Menschenwelt dienen. Er würde Cassian hier zurücklassen müssen und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Der Junge war seine Familie. Frustriert ließ Kieran einen Luftstoß in die Ferne sausen wie ein Speer. Auf dem Balkon begannen Eiskristalle sich unter seinem Füßen zu bilden. Sein Frust war ein lebendiges Biest. Ein Biest, dass am liebsten alles verschlungen hätte. Kieran schaute auf seine Hand hinunter. Lies eine kleine Brise durch seine Finger tanzen. Seine Gedanken waren in tausend Richtungen verteilt. Er war jung und bereits gehörte er zu den besten Kriegern der Engel. Noch keiner wurde so früh für die Zuteilung auserwählt. Er war stark. Seine Fähigkeiten kraftvoll. Seine Sinne scharf wie die eines Raubtieres. Und dennoch fühlte er sich wie ein Löwe in einem Gehege.

Kraftvoll und dennoch an eine unsichtbare unzerstörbare Leine gebunden.

Midnight WhispersWhere stories live. Discover now