10. Kapitel

442 36 9
                                    

Wieder aller unerfreulichen Erwartungen, die Light und der Detektiv heimlich gehegt hatten, gab es am nächsten Tag keinen Zirkus mit dem Höhepunkt, dass ihre kleine Affaire aufflog. Und das war nun wirklich überraschend - immerhin war hier die Rede von Taro Matsuda, der auf der örtlichen Polizeiwache sogar den Namen »Klatschtante« weg hatte. Allerdings schien dem jungen Polizisten - auch wenn er es kein wenig aussprach - die ganze Sache dennoch extrem peinlich zu sein. Er sah weder Light, noch L direkt an und wenn, dann zierte seine Wangen stets ein zarter Roséton, der eher einem Schulmädchen würdig gewesen wäre. Und das nervte nun wirklich, immerhin hatte die Sondereinheit heute endlich mal etwas richtiges zutun; immer noch war die Yotsuba-Firma bei ihnen ein heißes Eisen und sie durchforsteten buchstäblich alles, was sie darüber finden konnten. Besonders komisch jedoch kam Light, der teils gelangweilt durch die ganzen Akten blätterte, die Mogi beschafft hatte, der Vorstand selbst vor - klar, es waren alles sehr ambitionierte, mächtige Männer, dennoch rief diese Zusammenstellung bei ihm Zweifel auf. Ihre Lebensläufe, ihr Aussehen, alles was in Zeitungsberichten über sie stand … Der Brünette konnte sich einfach nicht vorstellen, dass diese Männer bei ihrer Arbeit auf einen Nenner kamen und das Geschäft klug nach oben leiteten. Nein, wenn dann musste einer die Macht ergriffen haben, traf allein die Entscheidungen, während die anderen stumm Folge zu leisten hatten; und dieser jemand war ganz sicher Kira. Denn mit was kontrollierte man wiederspenstige Angestellte schon besser als mit einer saftigen Morddrohung? So hielten ohne Zweifel alle von ihnen die Füße still, ob es ihnen nun missfiel oder nicht - nur wer von ihnen war hier der Massenmörder? Der Student hätte es wirklich jedem von ihnen zugetraut, generell gehörte er nicht zu denen, die Menschen gern mal unterschätzten. Apropo; an diesem Punkt angelangt konnte Light gar nicht anders als mit den Gedanken zurück zu Matsuda und L, der wie immer neben ihm saß, zu schweifen. Er konnte sich absolut nicht sicher sein, ob dieser Idiot nicht doch plauderte. Außerdem war er absolut ratlos, was dann zutun war. Immerhin, er mochte Ls süßen Duft, den Geschmack seiner Lippen, sein zaghaftes Stöhnen … Aber dann offiziell mit ihm zusammen sein? Das war nicht nur etwas überstürzt, nachdem sie gerade einmal miteinander geschlafen hatten, er wusste nicht mal, ob der Detektiv sowas wollen würde. Im Grunde war ihre Beziehung noch genauso ungeklärt und verwirrend, wie vor dem ganzen Schlamassel, wurde ihm klar und er seufzte innerlich auf. L schien diese Deprimierung - wie auch immer - zu bemerken und starrte ihn einen Moment aus dem Augenwinkel aus an. Sein Blick war ungerührt, kalt wie immer. Ob er sich auch Sorgen machte? Natürlich hatten sie das Thema gestern noch kurz angesprochen, aber es hatte nicht wirklich etwas ergeben, außer ein »schauen wir mal, was passiert«. Und jetzt passierte aber nichts, was Light im Grunde auch verrückt machte. Eventuell aber lag es wohl auch daran, dass er persönlich wissen wollte, was aus ihm und dem Schwarzhaarigen werden sollte. Das war nämlich die Frage, auf die er eine Antwort suchte, für sich, für sie beide. Denn ein trauriger, rationaler Teil in ihm wusste, dass es nicht für immer so weitergehen würde. Der Fall wäre beendet, der wahre Kira im Gefängnis und Light wieder frei … Wenn es tatsächlich so kam, waren L und er wieder Fremde. Hatten keinen Grund, sich zu sehen, keinen Vorwand. Der Brünette merkte gar nicht, wie er bei dem Gedanken die Faust zusammen ballte.
»Willst du auch Tee?«
Die kühle, aber bei ihm seltsam sanfte Stimme des Detektivs weckte ihn aus seinen Gedanken und er nickte kurz, ehe er ein kleines Lächeln aufsetzte.
»Gerne.«
Während er dies sagte, bemerkte gleichzeitig ebenfalls, wie Matsuda sie von seinem Platz aus anstarrte. Es war so lässtig, dass er sie jetzt mit anderen Augen zu beobachtete. Bestimmt machte er sich schon seine Gedanken darum, ob sie beide offiziell auf Männer standen und was nun eigentlich mit Misa war. Tjah, neugierige Menschen wie er konnten es eben einfach nicht lassen, sich überall einzumischen. Demonstrativ rückte Light also ein Stückchen mehr in Ls Richtung als jener ihm beiläufig den Tee rüber reichte und beobachtete fast geradezu belustigt, wie der junge Polizist sich daraufhin verlegen wieder seinem Computer zuwandte. Vielleicht würde es wirklich reichen, so wie jetzt weiter zumachen, damit er nichts ausplauderte. Vielleicht war die Sache ja so einfach erledigt. Aber wenn nicht … dann mussten sie sich eben einen anderen Plan ausdenken, um ihn am Reden zu hindern.

»Ich glaube nicht, dass außer ihm jemand etwas gemerkt hat.«
Der Detektiv gähnte und Strich sich ein paar wiederspenstige Haarsträhnen hinters Ohr, die seine Sicht auf den Laptop störten, den er kunstvoll auf seinen Knien balancierte. Auch heute war es mit der Arbeit mal wieder spät geworden und es war kurz vor Mitternacht gewesen, als endlich Lights Vater, der letzte der Ermittler, das Hotelzimmer verlassen hatte.  Und eigentlich wäre der Student jetzt auch gern ins Bett gefallen, müde wie er war, aber er wusste, das dies seine einzige Chance war, nochmal mit L über all das zu sprechen, über das er sich sorgte. Es war zwar nicht gerade so, dass er sich davon etwas versprach, aber es nagte immer noch an ihm. Da konnte er einfach nicht anders als nachzubohren, besonders da L ihm eben auf seltsame Art wichtig war.
»Trotzdem, es muss ja nichts heißen, dass er heute nichts gesagt hat … Ein schwacher Moment und die halbe Welt, eingeschlossen mein Vater, weiß von der Sache«, griff er seine Sorge also wieder auf. Denn mal im Ernst; selbst als Light mit seinen bloßen dreizehn Jahren mal auf der Polizeiwache seines Vaters zu Besuch gewesen war, hatte Matsuda ihm in fünf Minuten seine halbe Lebensgeschichte aufgetischt. Der brauchte bloß mal einen Schluck Whisky und schon war auch ihr delikates Geheimnis futsch.
»Gut, und was schlägst du stattdessen vor? Ich habe schon genug damit zutun, einen Massenmörder zu fangen, ich kann mich nicht auch noch um dieses Chaos kümmern.«
Der Detektiv seufzte leicht und klappte seinen Laptop zu, ehe er ihn auf den Couchtisch legte, der schon über und über mit leeren Kekstellern und Teetassen bedeckt war. Inzwischen hatte sich selbst Light an diese einseitige Ernährung gewöhnt und fand sie eigentlich nur noch halb so schlimm, wie vor fast noch einer Woche.
»Na ja …«
Der Student griff sanft nach Ls Hand und drückte sie kurz, unaufdringlich, als wollte er seinen Gegenüber unter keinen Umständen verschrecken. Einzig das altbekannte Klirren der Handschellen brach in diesem Moment die Stille.
»Ich glaube, ich … also wir müssen uns entscheiden. Entweder für diese komische - aber auch irgendwie traumhafte - Sache, die da zwischen uns ist, oder … dagegen.«
»Du meinst also, wir sollten es erzählen, bevor er es macht?«
L sah ihn kalt an und wirkte von diesem Plan so wenig überzeugt, dass es dem Brünetten glatt einen Stich ins Herz versetzte. L wollte das nicht. Und Light verstand das eigentlich, auch wenn es wehtat. Sie hatten keine Chance, sie konnten das nicht. Denn es würde alles kaputt machen, was sie sich aufgebaut hatten.
»Ich weiß selbst, wie bescheuert das ist.«
Er nahm seine Hand von der des Detektivs und schaute mit trübem Blick an jenem vorbei aus dem Fenster - andernfalls nämlich, wären ihm wohl die Tränen gekommen.
»Aber … Ich will nicht aufhören, wo es doch noch gar nicht richtig angefangen hat. Wenn ich daran denke, was wir beide noch alles tun könnten und wie viel Zeit wir miteinander hätten, kann ich das nicht einfach aufgeben.«
Schweigen. Egal, was L gedacht oder gesagt hatte, diese Worte mussten ihn getroffen haben, ebenso wie Light selbst, der jetzt doch angefangen hatte zu weinen. Und das war wohlgemerkt das erste Mal, soweit er sich überhaupt erinnern konnte; sein Leben war bisher eben einfach perfekt gelaufen. Zu perfekt. So, dass er jetzt, wo sich ihm zum ersten Mal ein dickes, fettes Problem in den Weg stellte, nicht ansatzweise wusste, was zutun war. Echt ungerecht, dieses verdammte Leben, dachte er bitter und bemerkte nur bruchstückhaft, wie sich ein Kopf mit flauschigen schwarzen Haaren auf seiner Schulter niederließ. Natürlich war es kein anderer als der Detektiv, aber auch wenn Light sein Gesicht nicht richtig sehen konnte, spürte er geradezu die Melancholie, ausgestrahlt von diesem teuflischen, mysteriösen, perversen und manchmal so verdammt idiotischem Typen, von dem er nie gedacht hatte, ihn auch nur ein bisschen mögen zu können. Dabei hatte doch schon eine Nacht gereicht, um das zu ändern.
»Hey …«
Der Brünette wischte sich mit seinem Shirtärmel die Tränen aus dem Augenwinkel und gewann langsam, aber sicher seine Fassung zurück - auch wenn das hieß, dass sich eine unglaubliche Trauer in seinem Herzen breit machte. Dennoch wollte er zumindest nicht, dass auch der Detektiv darunter litt.
»Ryuzaki, bitte vergiss, was ich eben gesagt habe«, meinte er deshalb verklärt und strich dem Schwarzhaarigen sanft über den Rücken; dabei war er ihm sogar nah genug, dass er seine Wärme spüren konnte und sein fast gleichmäßiger Atem, wie wenn sie gemeinsam im Bett lagen. Und irgendwie tat das nur noch mehr weh.
»Ich … Wahrscheinlich sollten wir einfach alles vergessen, was in den letzten Tagen passiert ist. Es hat ja eh keinen Sinn mehr, das wissen wir beide. Und … es war wahrscheinlich von Anfang an falsch, es zutun. Weil es eben so oder so nicht gut ausgehen wird. Es-«
»Nein«, unterbrach in der Detektiv leise, fast flüsternd. Doch Light stoppte trotzdem mit seiner wirren, dummen Ausführung, an die er doch eigentlich nichtmal selbst glaubte. Stumm beobachtete er, wie L von ihm abließ und sich wieder richtig hinsetzte, so dass sie sich beide ohne Umschweife in die Augen sehen konnten. Und was der Student da - zum ersten Mal in seinem Leben sah - war Schmerz.

Liebe in KettenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt