4. Kapitel

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»Sag mal, Light-kun, vermisst du nicht langsam die Nähe deiner Freundin?«
Augenblicklich verschluckte der Brünette sich an seinem Kaffee; er saß mal wieder in aller Hergottsfrühe mit L auf dem Sofa ihres Hotelzimmers und genoß das süße alltägliche Frühstück. Aber mit Genießen war es jetzt vorbei, da ihm auffiel, die letzten Tage nicht einen einzigen Gedanken an diese Blondine verschwendet zu haben. Mehr noch, er hatte sich ganz auf den teuflischen Detektiv neben sich konzertriert, mit dem er schlafen, essen und aufs Klo gehen musste. Aber wenn er das jetzt so sagte, würde L das wieder irgendwie verdrehen und ihn als verrückten Mörder beschuldigen, worauf er getrost verzichten konnte.
»Nun, klar vermisse ich es... mit Misa zu kuscheln und eben das ganze Pärchen-Programm, aber es ist einfach wichtiger, Kira zu fangen und meine Unschuld zu beweisen«, antwortete er deshalb so ruhig wie möglich und setzte ein verlegenes Grinsen auf. Eigentlich gelüstete es ihm so überhaupt gar nicht nach der Gesellschaft seiner Freundin, da er sie im Nachhinein sogar ziemlich laut und nervtötend fand; er hatte keinen blassen Schimmer, warum er noch mal ihr fester Freund war. Was könnte er in ihr so tolles gesehen haben?
»Heißt das, du würdest sie sehen wollen, wenn es möglich wäre?«
Der Detektiv beugte sich interessiert näher zu dem Studenten hin und musterte ihn mal wieder unverholen; Light bekam kein Wort heraus und musste aus unerfindlichen Gründen wieder an ihre Duschorgie gestern denken. Er spürte förmlich, wie er rot anlief und trank zur Ablenkung schnell einen Schluck Kaffee. Warum war er nur so nervös? L war ein Mann und er auch, wieso also kam er einfach nicht damit klar? Tjah, wenn er das wüsste, wäre er mit allem schon viel weiter.
Aber er musste sich jetzt anderweitig konzentrieren und L klar machen, dass er diese Misa mochte, damit das Thema jetzt ein für alle Mal vom Tisch war! Ganz egal, ob er nun wirklich was an ihr fand oder nicht, langsam hasste er es, wie L mit allem stichelte und Light's Reaktion beobachtete.
»Natürlich würde ich sie sehen wollen... Aber dann kann ich nun mal an nichts anderes mehr denken als an sie und dann renn ich noch gegen eine Tür oder so. Was ich meine ist, dass ich mich, wenn sie in der Nähe ist, einfach nicht mehr konzentrieren kann.«
Light zuckte mit den Schultern und sah verlegen zu Boden; irgendwie hatte er damit die Situation zu L beschrieben, anstatt zu Misa. Immerhin dachte er fast die ganze Zeit an diesen Exzentriker hier neben sich und konnte sich nicht mal mehr auf seine Freundin konzentrieren, auch wenn er das unter normalen Umständen wohl auch nicht täte.
»Mhm. Das ist also für dich so richtig Liebe?«, fragte L wieder und rutschte noch ein Stück näher an Light heran, so dass sich fast ihre Schultern berührten.
»Ja... Also ich denke schon, zumindest kenne ich es nicht anders.«
»Und du vermisst sie und ihre körperliche Nähe, willst sie aber nicht sehen, weil du dich dann nicht mehr kontzentrieren kannst?«
Light wurde etwas unbehaglich und er rutschte unwillkürlich ein Stück von L weg. Das hier war ihm nicht so ganz geheuer.
»So ungefähr ist das. Aber worauf willst du hinaus?«
»Auf nichts. Aber beeinflusst es dich denn nicht auch, wenn du kaum körperliche Nähe zu deiner Freundin hast?«
Langsam wurde es Light unbehaglich und er registrierte angespannt, wie sehr sein Herz klopfte und sich anfühlte als würde es ihm gleich aus der Brust springen; es hörte sich nicht gerade an als würde L ›auf  nichts‹ hinaus wollen.
»Nun, ich denke nicht, dass mich das so sehr beeinflusst, immerhin haben wir vor meiner halben Verhaftung hier schon genug körperliche Nähe für die nächsten Jahre genossen.«
»Heißt das, ihre Anwesenheit wäre dir im Moment eher überdrüssig?«
»Nein, so ist das dann auch nicht. Weißt du, sowas ist eben schwer zu erklären. Man muss nicht immer mit dem jenigen, den man liebt, auf engstem Raum zusammen sein; es reicht auch für eine Zeit, wenn man sich nur an denjenigen erinnert und ihn sozusagen im Herzen hat«, faselte Light sich hastig zusammen und tat damit alle seine übrigen Liebeskenntnisse aus seinen BL-Manga kund. So ein Gesülze würde er sich also, wenn das nächste Mal sowas von L kam, und das würde es sicher, selbst ausdenken müssen. Tjah, aber in Sachen Liebe hatte der Brünette selbst eben null Erfahrung - in Misa war er ja offensichtlich nicht verliebt und ansonsten hatte er keine weiteren Beziehungen oder Liebschaften vorzuweisen. Generell hatte Light sich auch nie richtig für die Liebe interessiert; warum auch? Ihm reichten ja schon ein guter Job, eine eigene Wohnung, genug Geld zum Leben und geregelte Arbeitszeiten. Und außer Geld hatte er, Student im ersten Semester, noch gar nichts von dieser Liste.
»Verstehe schon«, holte L ihn aus seinen Gedanken.
»Du bist hier wohl eindeutig der Experte, Light-kun. Obwohl ich das bei deinem Auftritt in Sachen Duschen eigentlich nicht glauben kann. Aber ›der Genuss körperlicher Nähe‹ spricht da schon für sich.«
Light zuckte nur wieder mit den Schultern, da ihm darauf nichts einfiel und trank seinen inzwischen kalten Kaffee aus; was für Spielchen spielte L hier nur wieder mit ihm? Langsam hatte Light wirklich genug von der täglichen Gefühls- und Gedanken-Achterbahnfahrt, die L ihm damit täglich bescherte. Konnte er hier nicht mal mehr ganz in Ruhe frühstücken, ohne mit Beziehungs- oder anderen intimen Fragen konfrontiert zu werden?
In ihm brodelte es und den Rest des Frühstücks über herrschte tiefes Schweigen. Erst als sie die Tassen und Geschirr vor die Tür stellten, damit der Zimmerservice sie nachher abholten, sprach L leise wieder:
»Light-kun, wie ist es eigentlich, wenn man körperliche Nähe spürt oder sie direkt spüren will?«
Der Brünette schloss verwundert und mal wieder mit klopfendem Herzen die Zimmertür.
»Wie meinst du das?«
»Na ja, ich glaube man nennt sowas auch ›körperliche Lust‹ oder ›Wollust‹. Wie fühlt sich das an?«
»Oh...«, brachte Light nur hervor und zog L mit sich zurück aufs Sofa; vor ein paar Minuten hatte er den Detektiv noch köpfen wollen, aber jetzt herrschte wieder diese unschuldige Stimmung, von der Light nicht so recht wusste, ob man ihr trauen konnte. Das Ganze war aber auch verzwickt!
»Um es mal simpel zu sagen: es heißt einfach nur, dass du willst, dass jemand, bestimmtes oder auch unbestimmtes, dich berührt, mit dir kuschelt oder dir sonst irgendwie körperlich nahe ist. So steht es aber auch auf Wikipedia, da hättest du mich nicht extra fragen müssen.«
Light versuchte sich an einem kleinen Lachen, auch wenn ihm nicht ganz danach zumute war; könnte es etwa sein, dass L sich ganz eventuell auch solch eine körperliche Nähe wünschte und mit dieser normalen Neigung nur nicht recht umzugehen wusste? In jedem Fall machte es die Sache hier nicht gerade leichter.
»Nein, ich meine wie es sich anfühlt, das zu wollen, Light-kun. Und wie man herausfindet, ob man sich danach sehnt.«
L klang irgendwie leicht verunsichert, was Light hellhörig machte; versuchte der Detektiv gerade etwa  herauszufinden, ob er sich körperliche Nähe überhaupt wünschte? Light schaute in dessen große Kulleraugen und unwillkürlich tat ihm der Schwarzhaarige irgendwie leid. Er wollte L zumindest ein bisschen helfen, auch wenn er dabei jetzt über seinen Schatten springen musste.
»Testen wir das einfach mal aus«, schlug er also vor und setzte sich näher zu L heran, so dass ihre Schultern sich definitiv berührten und ihre Gesichter auch kaum von einander entfernt waren.
»Ich lege dir jetzt die Hand aufs Knie und wenn es dir gefällt, sehnst du dich wohl wirklich nach Nähe. In diesem Fall aber ist es dir egal, wer dich so berührt. Aber wenn du die Augen schließt und dir leidenschaftlich vorstellst, dass eine andere bestimmte Person dich so berührt, sehnst du dich nach der. Okay?«
Der Detektiv nickte etwas zögerlich und auch Light war etwas flatterlich, aber das überbrückte er schnell, in dem er ohne Umschweife seine Hand auf L's Oberschenkel legte; der Schwarzhaarige hatte sich nämlich extra dafür normal hingesetzt, damit es auch funktionierte.
Sofort wurde Light etwas warm ums Herz und er spürte L's kalte glatte Haut durch den dünnen Jeansstoff. Irgendwie so berrauschend. Er wusste nicht, wie es dazu kam, aber irgendwann verschwand der Abstand zwischen ihren Gesichtern, ihren Lippen und ihn umschlang eine alles ausfüllende Wärme, bis ihm klar wurde, was das hier war: Ein Kuss. Mit L.

Liebe in KettenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt