Vom Jäger zur Gejagten

Start from the beginning
                                    

Grimmig sah sie ihnen entgegen, während die Schattenschwingen hinter ihren Rücken in den abendlichen Sonnenstrahlen Farbe annahmen. Die Frau, dessen orangefarbendes Haar ihr bis in die Kniekehlen hing, hatte wunderschöne anthrazitfarbende Flügel, während der Mann, dem vereinzelt blonde Strähnen ins Gesicht hingen und versetzt rechts neben ihr ging, wunderschöne weiße Flügel hatte, die im Licht der untergehenden Sonne golden glänzten. Als Lillith den Blick auf den anderen Mann richtete geriet sie kurz ins Stocken. Er ging leicht versetzt hinter den beiden anderen und hatte die beeindruckensten Flügel, die sie je gesehen hatte. Seine nachtblauen Schwingen ragten stolz hinter seinem Rücken empor, jede Feder war ein Kunstwerk für sich. Übersäht mit unzähligen kleinsten Silberpartikeln, die glänzten wie Mini-Supernovas, funkelten sie in der Sonne. Es war als sähe man zum Sternenhimmel hinauf. Seidiges schwarzes Haar fiel ihm in die Augen, welche - Lillith wich weiter zurück und wurde kurz geblendet durch einen Sonnenstrahl, der in einem der umliegenden Fenster reflektiert wurde. Die kurze Desorientierung nutze die Frau, die scheinbar die Anführerin der Truppe war, aus. Blitzschnell zückte sie zwei Dolche und machte einen weiteren Schritt auf Lillith zu.
"Stehen bleiben! Dein kleiner Marathon ist vorbei", befahl sie mit bedrohlich ruhiger Stimme, "Für wen arbeitest du?" Lillith schwieg und ließ die drei Engel nicht aus den Augen. Es war klar, dass sie in der Unterzahl war und zudem gegen Engel deutlich schlechtere Chancen hatte. Dennoch schob sie routiniert das gesunde Bein hinter sich und nahm eine defensive Kampfhaltung ein, die es ihr ermöglichte das verwundete Bein zu entlasten. Sollten sie nur kommen. Sie würde nicht einfach kampflos aufgeben.
In dem Moment grinste der Mann mit den dunklen Flügeln schief und sagte süffisant: "Richtig gesprächig heute." Langsam zog er eines der hinter seinem Rücken gekreuzten Schwertern hervor und ließ es in den letzten Sonnenstrahlen funkeln. Die orangehaarige Frau warf spielerisch einen ihrer Dolche in die Luft. Gekonnt fing sie ihn wieder auf. Mit einer gespielt dramatischen Geste warf sie dann ihre langen Haare über die Schulter und grinste Lillith diabolisch an.
"Wie wäre es mit ein bisschen Motivation?", säuselte sie. Ihre Stimme und das Funkeln in ihren Augen versprachen kreative Arten von Qualen. Sie wusste wie man Gemüter brach. Nein, nicht brach - zertrümmerte. Doch Lillith ließ das kalt und sah ihnen einfach nur weiterhin abwartend entgegen. Sie kannte Schlimmeres.
Da meldete sich der dunkelhaarige Mann erneut zu Wort: "Vielleicht ist es ja taubstumm oder zu dämlich dich zu verstehen, Cineris. Sehr klug wirkt es zumindest nicht."

Lillith dachte sich verhört zu haben. Es, ernsthaft?! War sie jetzt vollends zum Monster geworden, dass noch nicht mal normale Kleidung es verbergen konnten? Bastard, dachte sie frustriert, was wusste er schon. Ohne überhaupt darüber nachzudenken holte sie blitzschnell mit dem rechten Arm aus, zielte auf ihn und feuerte das klebrige Gebäckstück mit aller Kraft auf ihn zu. Und sie war immer noch stark, so viel stand fest.
Alle drei Engel, samt Lillith, schienen das kleine Gebäck, welches wie in Zeitlupe durch die Luft folg, mit ungläubigen Augen zu verfolgen, bis es dem Mann mit den dunklen Flügeln mit voller Wucht auf dem Brustkorb traf und zermatschte. Er wich keinen Schritt zurück, jedoch sah man wie er ungläubig und zugleich fasziniert auf seinen Brustkorb und die dort klebenden Teigstücke sah. Ist er noch nie mit etwas beworfen worden, fragte sich Lillith, während sie zufrieden ihre Hand an der Hose abwischte. Herausfordernd sah sie den Dreien entgegen. Ihr Puls beschleunigte sich als ihr Gehirn langsam registrierte was sie da gerade getan hatte. Was tat sie hier nur, war sie verrückt!?
Die Blicke der drei Engel schossen zurück zu ihr und sie meinte, sie hätte Wut in den Augen des Mannes mit dem Klebezeug auf seiner Brust aufblitzen sehen. Hatte wohl doch mehr getroffen als seine Brust. Gut so, dachte sie sich, nenn mich nicht nochmal es. Sie schüttelte den Kopf und fokussierte sich wieder auf die Anführerin. Cineris. Die war nun ungefähr zehn Schritte von ihr entfernt stehen geblieben und musterte sie eindringlich.

"Bist du dir sicher dass sie es ist?" fragte sie zweifelnd an den Mann mit den dunklen Flügeln gerichtet. Der zuckte nur mit den Schultern. "Der seltsame Geruch klebt förmlich an ihr, aber warum löst du das Rätsel nicht selbst, Spürnase?", zischte er angespannt. Er wischte mit einer Hand über die an seiner Kleidung klebenden Reste des Gebäckstückes. "Ist ja mal voll eklig", grummelte er und seufzte.
Cineris verdrehte die Augen. "Echt jetzt, Kieran?", zischte sie frustriert. "Nächstes mal bist du die scheiß Diabetes-Zielscheibe", feuerte er zurück.
Keiran also, dachte sich Lillith. Die kleine Diskokugel mit dem klebrigen Resten auf der Brust hieß Kieran.
"Leute", knurrte nun der andere Mann mit den weißen Flügeln ermahnend, "Wir sollten sie trotzdem mitnehmen. Sie ist eine Spur und hat irgendeine Verbindung zu den Entführungen. Ich sage wir nehmen die Kleine mit und stellen ihr ein paar Fragen. Oder noch besser, wir schenken sie Akira." Er zuckte mit den Schultern und grinste, wobei schneeweiße Zähne zum Vorschein kamen.

Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Lillith die Truppe vielleicht ganz interessant gefunden, doch bei den letzten Wörtern hatten sich ihre Nackenhaare aufgestellt. Eine innere Stimme schrie alamiert auf, während eine andere verwirrt vor sich hin sabbelte. Geruch? Entführungen? Und wer zum Teufel war Akira? Dieser Name konnte nicht gutes verheißen, und das Wort schenken gefiel ihr schon gar nicht. Was wollten die Drei eigentlich von ihr? Lillith bekam immer mehr das Gefühl, dass es hier nicht mehr um irgendein schnödes Teigding ging. Das hier war größer. Und es sah immer mehr danach aus, dass die Drei sie mitnehmen wollten. In dem Moment schwang sich der weißgeflügelte Mann in die Luft, was vermutlich sehr beeindruckend war in dieser engen Gasse, und sank zwei Schritte hinter ihr zu Boden.
Lilliths Herz raste und sie fühlte, wie es die Lava immer weiter durch ihren Körper pumpte. Die Flammenhand von vorhin krallte sich tiefer in ihr Fleisch. Die beiden anderen Engel setzten sich nun auch in Bewegung und kamen immer weiter auf sie zu. Sie kreisten sie ein, wie ein kleines Kaninchen. Lillith wollte schon wütend herumwirbeln, als ihr ein Gedanke durch den Kopf schoss, der alles um sie herum in Zeitlupe verfallen ließ. Was wenn sie sie schickten? Was wenn sie wegen ihres Ausbruches hier waren und sie nun zurückbringen sollten? Sie wusste, es war zu einfach gewesen. Vielleicht war Akira eine von ihnen?
Lillith fiel das Denken schwer und nur mit Mühe und jahrelangem Training konnte sie den Händen des blonden Mannes ausweichen, welcher nach ihr griff. Sie versuchte die Wand in ihren Rücken zu bekommen um wenigstens dort geschützt zu sein, vergaß jedoch ihr verwundetes Bein. Scharf sog sie die Luft ein, als ihr nun von dort eine pochende Flut an Schmerz den Rücken hinauf kroch. Dieser kurze Moment der Ablenkung nutzte der Blonde gnadenlos aus und sezte dazu an ihr die Beine unter dem Körper wegzutreten. Doch Lillith hatte dies trotz ihrer vernebelten Sinne vorausgeahnt, denn sie hätte das Selbe getan. Man zielte immer auf  das schwächste Körperteil, wenn es sich bot. Sie war vollkommen umzingelt. Also wirbelte sie im selben Moment, in dem er ausholte, auf dem Absatz herum, sprang in die Luft und stieß sich mit dem gesunden Bein an der Hauswand ab. Sie flog auf Kopfhöhe direkt auf den Mann zu, der schon siegessicher angefangen hatte zu grinsen. Nun war sie es die spöttisch in ihren Schal grinste als sie mit den Beinen um seinen Hals und auf seinen Schultern landete. Ihr Bein flammte auf und ihr Kopf schwindelte. Nichtsdestrotrotz drehte sie mit beiden Händen seinen Kopf zur Seite und nutze die Drehbewegung seines sich mitdrehenden Körpers aus. Schwungvoll ließ sie sich zur Seite und gleichzeitig nach hinten fallen und zog mit ihren Beinen den Typen mit sich, sodass er auf der eigenen Achse herumgerissen wurde. Seine Flügel halfen ihm nicht fiel als sie sich schwungvoll auf der anderen Seite wieder nach oben zog. Der Schwerpunkt verlagterte sich nun zu ihrem Vorteil, immerhin saß sie buchstäblich auf seinen Schultern und fiel von oben auf ihn herab. Keuchend fand er sich unter ihr auf dem Boden wieder und starrte sie fassungsloss und mit weit aufgerissenen Augen an. Zufrieden funkelte sie ihn einen Augenblick an und sprang aus der Hocke hoch, sodass sie ihn aus ihrem "Bein-Käfig" befreite. Ihre Wunde war wieder aufgerissen. Flammender Schmerz ließ ihr die Sichfeld verschwimmen. Dennoch setzte sie zu einem Sprint an. Niemals würde sie kampflos wieder in ihr Zimmer gestopft werden. Niemals würde sie wieder kampflos auf den weißen Tisch gelegt werden. Da mussten sie sich schon etwas Besseres einfallen lassen. Angst und eine alles einnehmende Verzweiflung machten sich in ihr breit. Da sie von den drei Engeln vermutlich schon lange als kampfunfähig eingestuft worden war, ermöglichte es ihr die entstandene verdutzte Pause zum Sprint anzusetzen. Da zerriss die Flammenhand ihr entgültig das Herz und zerfleischte ihren Körper mit einer allgegenwärtigen Feuerbrunst. Ihr Bein gab unter ihr nach und sie taumelte -

taumelte mit voller Wucht gegen eine unsichtbare Wand.

Midnight WhispersWhere stories live. Discover now