6. Jinhwan

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Mit einem breiten Grinsen hüpfe ich den Gehweg entlang. Die Meisten werfen mir wütende Blicke zu. Aber im Moment ist mir das ziemlich egal. Ich meine: Hanbin, der Kerl, in den ich schon ewig verliebt bin, hat mich geküsst und mir neue Hoffnungen gemacht, dass das mit uns doch noch was werden könnte. Die Masse um mich schiebt Depressionen, Frust, Stress, Wut, Ärger und Traurigkeit vor sich her. Würde ich sie bildlich darstellen müssen, wären sie definitiv graue Regenwolken. Einige wenige Ausnahmen vielleicht sogar kleine Orkane. Im Vergleich zu ihnen steche ich aus der Masse wie ein bunter Punkt. Es scheint, als ob mir nichts die Gute Laune verderben könnte. Und ganz ehrlich: Es ist ein tolles Gefühl glücklich zu sein. Und seine Lippen waren auch noch so weich, allerdings ziemlich trocken. Aber nicht sie sind es, die mir nicht aus dem Kopf gehen. Es ist sein Blick. So verdammt nachdenklich und grübelnd. Als ob er irgendetwas festgestellt hat, dass ihn nicht zufrieden stimmt. Oder stimme ich nicht? Ich meine, immerhin habe ich auch nichts von dem gespürt, was sonst immer in Büchern beschrieben ist. Wenn man die große Liebe küsst, explodiert in einem ein gigantisches Feuerwerk und kleine Stromstöße durchfahren den Körper, während sich eine angenehme Wärme ausbreitet. All diese Empfindungen klingen so beeindruckend und so umwerfend aber eben war es anders. Ich kann es schlecht beschreiben. Aber es war halt anders. Da war ein Kribbeln, allerdings nur ganz schwach und auch das Feuerwerk war nur halb so atemberaubend, wie ich dachte. Trotzdem war es bisher mein schönster Kuss. Vielleicht kommt dieses intensive ja auch erst, wenn man zusammen ist und sich auch intimer begegnet ist? Hm, ich freue mich dennoch. Denn die Hoffnung, dass er doch ein kleines bisschen was für mich empfindet war immer verschwindend gering. Und jetzt? Jetzt kann es doch eigentlich nur noch bergauf gehen, oder?

"Jinhwan.", jemand hält mich am Arm zurück und wirbelt mich herum. Überrascht sehe ich in das besorgte Gesicht von Junhoe, "Ist alles in Ordnung?" Verwirrt nicke ich: "Ähm, ja. Wieso sollte es auch nicht?" Erleichtert atmet er aus, allerdings kaut er nervös auf seiner Unterlippe herum und scheint in seinen Gedanken gefangen zu sein. Was hat er denn? Vorsichtig lege ich meine Hände an sein Gesicht, wodurch seine Augen sofort wieder zu mir schießen und all seine Aufmerksamkeit nur auf mich gerichtet wird. Unweigerlich spüre ich die bereits gut bekannte Wärme auf meinen Wangen. Wieso schafft er es, mich so aus der Fassung zu bringen? Ich bin in Hanbin verliebt und bisher war er... nein, er war nie der Einzige, der mich regelmäßig in Verlegenheit bringt. Junhoe tut es ständig. Mit Worten, mit Gesten. Wieso fällt mir das erst jetzt auf?

"Lass uns zu mir gehen. Ich möchte mit dir über etwas reden.", seine ernste Stimme holt mich zurück in die Realität. Eindringlich sieht er mich an, während sein Kopf sich gegen eine meiner Hände fallen lässt, die ich an sein Gesicht legte, um ihn dazu zu zwingen mich anzusehen. Er erinnert mich an ein kleines verschmustes Kätzchen.

"Hast du irgendwelche Probleme oder Sorgen, Junhoe? Ist etwas passiert?", frage ich mit gedämpfter Lautstärke und laufe neben ihm her, als er langsam beginnt in Richtung zu Hause zu laufen. Also sein zu Hause.

Wieder nimmt er meine Hand, damit ich im Strom der hektischen Bürohengste nicht verloren gehe. Und irgendwie fühlt es sich toll an. Haben sich unsere Hände schon immer so gut ineinander angefühlt?

"Mach dir keine Sorgen.", versucht er mich zu beruhigen. Mit mäßigem Erfolg. "Guck doch nicht so traurig. Wirklich. Der, der sich den Kopf zerbrechen muss, bin wohl ich. Zumindest vorerst. Aber versprich mir bitte, mich nicht zu hassen, wenn ich dir gleich zwei Dinge sage.", ergänzt er mit einem schwachen Lächeln. Doch es erreicht nicht seine Ohren. "Egal, was es ist, aber du musst dir keine Sorgen machen, dass es uns auseinanderbringt.", versuche ich ihn aufzuheitern, was auch zu funktionieren scheint. Den Rest des Weges schweigen wir und hängen in einer anderen Welt fest. Wir lassen uns unseren Raum, weshalb das Schweigen nicht unangenehm ist. Es hat etwas stärkendes. Andererseits verunsichert es mich aber auch. Was will Junhoe mir denn sagen? Ob es etwas schlimmes ist?

Zuvorkommend hält er mir die Wohnungstür auf und kichernd husche ich an ihm vorbei und streife mir die Schuhe von den Füßen. Abwartend lehne ich mich an die Wand. Unruhig schindet er Zeit und skeptisch betrachte ich seine Hand, die extrem zittert. So aufgeregt kenne ich ihn gar nicht. In unserem Traineeprogramm war er noch nie nervös. Und nun scheint er ein wandelndes Nervenbündel zu sein. "Es ist alles gut, Junhoe.", meine Finger verhaken sich in seinen und sanft ziehe ich ihn zu mir in eine Umarmung, "Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst."

"Danke.", haucht er und dirigiert mich in sein Zimmer, ehe er sich mit mir in den Armen auf das Bett schmeißt und beginnt mich durchzukitzeln. Erst, als ich mir vor Schmerzen den Bauch halte, lässt er von mir ab und setzt sich im Schneidersitz vor mich. Habe ich erwähnt, dass sein Lächeln wunderschön ist?
Nach einigen Minuten habe ich mich so weit beruhigt und lehne mich gegen ihn, um meinen Kopf auf seiner Schulter zu platzieren, während er mir durch die Haare streicht. "Jinhwan, ich bin schwul.", gesteht er kleinlaut und starrt auf einen Punkt irgendwo in der Luft. Ich weiß, dass ich gerade aussehe wie ein Fisch. Mir steht der Mund offen. "Ich, äh...", versuche ich irgendetwas halbwegs vernünftiges zu Stande zu bringen. Allerdings seufzt er und geht auf Abstand: "Du musst nichts sagen, wenn es dir unangenehm ist. Aber bevor du hier angeekelt raus rennst oder so... mach dir bei Hanbin keine Hoffnungen. Egal, was er gesagt hat aber er hat sich gegen dich entschieden, Jinhwan."
Traurigkeit hat sich in sein Gesicht geschlichen und er scheint mit mir zu leiden. Mit seinen Worten ist in mir eine Welt zerbrochen.

Behind our masksWhere stories live. Discover now