5. Hanbin

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Wütend lasse ich mich weiter in dem Sitz nach unten rutschen. Scheiße. Wieso habe ich nichts gesagt? Das war fast wieder so schlimm wie bei unserer ersten gemeinsamen Busfahrt. Ich habe gar nicht gemerkt, dass wir schon an seiner Station sind. Dementsprechend geschockt war und bin ich auch. Wieso vergeht die Zeit so schnell? Immer öfter habe ich das Gefühl, als ob die sich zu schnell vorwärts bewegt. Gedankenverloren sehe ich ihm hinterher. Kurz lächelt er mich scheu an, ehe er fluchtartig verschwindet. Habe ich etwas falsch gemacht? Hätte ich die Geste nicht erwidern sollen? Was genau stimmt nicht mit mir? Sonst habe ich doch auch keine Probleme damit, mit anderen zu reden. Wieso fällt es mir bei dem Kleinen also so schwer? Ob ich doch mehr für ihn empfinde?

Man, ich sollte echt mit Bobby darüber reden. Vielleicht kann er mir helfen. Okay, nein, lassen wir das lieber. Aber irgendwie muss ich mein Interesse an Jinhwan in den Griff bekommen. Und so wie es aussieht, scheine auch ich ihm nicht ganz egal zu sein. Er sieht so niedlich aus, wenn er rot wird. Nur stehe ich doch eigentlich gar nicht auf Jungs, oder? Zumindest ist er der Erste, zu dem ich mich hingezogen fühle. Oder doch nicht? Ich meine, irgendwie ist Bobby für mich ja auch mehr, als nur ein Freund.

Auch am nächsten Morgen sind die Gedanken noch immer nicht weg. In der Nacht haben sie mich nicht zur Ruhe kommen lassen. Dementsprechend viel Make-up musste ich auflegen, um meine Augenringe zumindest etwas zu kaschieren. Trotzdem sieht man, wie müde ich bin. Im Bus bin ich ständig eingenickt und hätte meine Haltestelle beinahe verpasst. Nun hocke ich halb tot auf dem Boden des Tanzsaals. Bisher bin ich der Einzige. Gut, es ist mitten in der Nacht und wir haben eigentlich frei. Selbstverständlich, dass da keiner kommt. Und Bobby kommt auch erst in frühstens zwei Stunden. Schwer atmend lasse ich mich gegen die Wand sinken. Ich Trottel habe natürlich auch noch mein Trinken vergessen. Heute bin ich wirklich ziemlich zerstreut.

"Hier, du brauchst es vermutlich dringender als ich.", eine sanfte Stimme über mir reißt mich aus den Gedanken. Überrascht sehe ich nach oben und blicke direkt in die freundlichen und tiefbraunen Augen Jinhwans. Auf seinen Wangen liegt ein leichter rosa Schimmer. Dankbar nehme ich seine Wasserflasche entgegen und nehme einen großen Schluck: "Danke, du hast mein Leben gerettet." "A-Ach was, i-ist d-doch n-nichts w-weltb-bewegendes...", stottert er sichtlich überfordert und amüsiert beobachte ich, wie seine Augen hin und her schießen. "Kein Grund so süß zu werden.", grinse ich und stelle mehr als zufrieden fest, dass er verlegen den Blick abwendet, "Komm, setz dich zu mir." Etwas steif setzt er sich in Bewegung, nachdem er mich für gefühlte Jahrhunderte aus geweiteten Augen angestarrt hat. Mit etwas Abstand lässt er sich neben mir nieder. Sollte ich es riskieren? Ja, ja, ich denke schon. Bisher läuft es ja echt gut. Ich sollte mein Glück noch etwas ausreizen. Langsam lasse ich mich zur Seite fallen, sodass ich am Ende meinen Kopf in seinem Schoß bette. Seine Hände zittern und er scheint nicht zu wissen, was genau er tun soll. "Niedlich.", neckend stupse ich ihm in die Wange, "Du machst es einem wirklich schwer, weißt du?" Oh mein Gott, er sieht aus wie ein getretener Welpe. Aber ehrlich gesagt ist er für mich eher so ein kleines flauschiges Entenküken. Keine Ahnung, wieso. Aber es ist halt so. Fasziniert beobachte ich, wie sich sein Adamsapfel bewegt, als er laut schluckt. Dadurch, dass es hier so leise ist, klingt es in meinen Ohren unnatürlich laut. Unsicher streicht er mir durch die Haare, während das Lächeln auf seinen Lippen noch breiter wird.
"Dein Lächeln ist wunderschön.", grinse ich nun doch etwas unsicher. In mir regt sich etwas. Nur weiß ich nicht genau, wozu ich das einordnen soll. Empfinde ich wirklich etwas für ihn?

"Hanbin, kann ich mir wirklich Hoffnung machen oder spielst du nur mit mir?", Jinhwan scheint all seinen Mut zusammen genommen zu haben, um mich das zu fragen. "Nun, ich habe irgendwie so ein warmes Kribbeln im Bauch, seit wir uns das erste Mal im Bus getroffen haben. Jetzt bin ich dabei herauszufinden, ob ich mich wirklich in so einen süßen, verantwortungsbewussten und aufopfernden Jungen verliebt habe.", erkläre ich leise und hebe eine Hand, um ihm mit dem Daumen über seine Lippen zu streichen. Sie sind unerwartet weich, durch die kühle Morgenluft allerdings auch etwas aufgerissen.
"Hanbin, du machst es mir nicht leicht.", seufzt er und beginnt Löcher in die Luft zu starren, "Besteht die Hoffnung, dass du mich magst?" "Ich mag dich." "Ob du mich auf einer anderen als der freundschaftlichen Ebene mögen könntest. Ob du mich lieben könntest.", in seinen Augen ist eine tiefe Trauer getreten. "Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Aber wir können es gerne herausfinden, wenn du mir erlaubst etwas auszuprobieren.", neugierig richtet er seine Aufmerksamkeit wieder auf mich und nickt leicht. Also schlinge ich meine Arme um seinen Hals, ziehe mich an ihm hoch und lege vorsichtig meine Lippen auf seine. Es ist ein kurzer Kuss. Und ein Kuss, der in mir etwas auslöst. Noch mehr Verwirrung. Irgendwie hat mir dieser kurze Kontakt doch etwas mehr zugesagt, als ich es gedacht hatte. "Und?", er strahlt pure Unsicherheit aus. Jinhwan ist nicht mehr als ein wandelndes Nervenbündel. "Da war etwas.", erwidere ich wahrheitsgemäß, "Aber ich brauche Zeit, um die neuen Eindrücke zu ordnen, ist das okay für dich?" Lächelnd nickt er: "Kein Problem. Ich bin froh, dass du mich nicht gänzlich zurück weist. Zumindest ist meine Hoffnung jetzt wieder stärker, als jemals zuvor." Als Antwort nicke ich allerdings nur. In mir herrscht Chaos.

"Ähm, ich sollte gehen. Junhoe und ich wollten noch zusammen den Text lernen.", verabschiedet der Blonde sich leise und unzufrieden richte ich mich auf. Nun ist mein Kissen also weg. Bevor er aus der Tür tritt winkt er mir und zieht den Schal fester um den Hals.

Frustriert lasse ich mich zurück auf den Boden sinken. Er ist süß und alles, aber ich bin nicht in ihn verliebt. Nur wie soll ich ihm das beibringen? Was bin ich nur für ein Arsch, dass ich ihm auch noch Hoffnung mache?!
"Ach, Scheiße...", gefrustet lege ich einen Arm auf die Augen, "Es tut mir leid, Jinhwan."
Das jemand anderes derweil den Raum betreten hat, habe ich nicht bemerkt. Und auch nicht, dass er sofort wieder verschwunden ist und der Nächste kam. Die zwei Stunden gingen schneller um, als ich gedacht hatte.

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