1. Hanbin

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Erschöpft lasse ich mich auf den Bussitz im hinteren Drittel fallen. Mein Kopf fällt an die Scheibe. Mit müden Augen sehe ich den Lichtern dabei zu, wie sie an dem Fenster vorbei rauschen. Immer wieder gehe ich in meinen Gedanken den Tanz durch. Lieder dröhnen weiterhin in Dauerschleife durch meine Ohren, obwohl ich nicht mal mehr meine Kopfhörer aufhabe.

Ich bin nicht zufrieden damit, wie es heute lief. Ständig hat jemand die falsche Bewegung gemacht oder sich gar nicht die Mühe gemacht, überhaupt irgendwas richtig zu machen. Von den Gesangsaufnahmen will ich gar nicht erst anfangen. Alleine die Vorstellung ist grausam.

Grummelnd verschränke ich die Arme vor der Brust und starre die gerade einsteigenden Leute an.

Das ich jetzt hier sitze und nicht im Studio regt mich wirklich auf. Es hätte endlich alles perfekt werden müssen, aber nein. Sie haben es doch tatsächlich geschafft mich raus zu schleifen. Ihre Begründung war auch einfach, dass es doch so schönes Wetter ist und ich zu viel mache in letzter Zeit. Aber was soll ich denn machen? Ich möchte debütieren und dafür muss alles perfekt. Immerhin geht bald die Survival Show los und in die Gruppe komme ich nur, wenn ich mich gegen die anderen durchsetze. Wieso kapieren die anderen das beim Training nicht? Ist es ihnen nicht so wichtig?

Kopfschüttelnd ziehe ich meine Earphones aus der Tasche und stöpsle sie mir in die Ohren, um weiterhin Fehler an meinen Liedern zu suchen. Irgendwo müssen sie sein.

"Entschuldigung?" Desinteressiert hebe ich den Kopf und sehe in das Gesicht eines gleichaltrigen blonden Jungen. Fragend hebe ich eine Augenbraue. Unsicher deutet er auf den Platz neben mir, wo meine Tasche liegt. Stöhnend nehme ich sie auf meinen Schoß und verdrehe die Augen. Der Blonde lächelt dankbar und setzt sich mit etwas Abstand neben mich. Mein Blick wandert über die Reihen. Wann ist es denn so voll geworden? War ich so gedankenversunken?

Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie mein Sitznachbar nervös die Hände knetet. Er versucht mich bloß nicht anzusehen. Ob er Angst hat?

Belustigt grinse ich und betrachte ihn genauer. Alleine seine Größe ist im Vergleich mit meiner scherzhaft. Ich meine: Der geht mir gerade mal bis zur Nase (im sitzen). Würden wir stehen vermutlich nur bis zur Schulter. Schon niedlich.

Aus großen Augen sieht er zu mir nach oben, irgendwie verwirrt. Aber wer wäre das nicht, wenn ihn ein völlig fremder Typ anstarrt. Allein schon, dass ein Kerl einen anderen anstarrt ist schon irgendwo peinlich. Aber der guckt ja nicht mal weg! Der erwidert den Blickkontakt einfach mit diesen braunen Augen, die vermutlich die Hälfte der Schülerinnen auf meiner alten Schule hätten schmelzen lassen.

Ich lege den Kopf schief, als er auffordernd zu mir sieht. Soll ich jetzt etwas sagen? Mensch, der soll einfach den Mund auf machen und sagen, was er will. Diese schüchterne Art ist ja süß und so weiter aber WAS DENKE ICH DA, HERRGOTT NOCHMAL! Aber irgendwo ist es nun mal wahr. Selbst bei meiner Freundin damals hatte ich nicht so Herzklopfen, wie bei ihm hier. Was macht der mit mir? Er kennt mich nicht, ich kenne ihn nicht und trotzdem passiert das alles gerade wirklich. Selbst einfach nur neben ihm zu sitzen ist beruhigend und angenehm, nicht so wie vorhin, wo ich mich wie immer selbst unter Druck setze und selbst nach Feierabend noch an meiner Arbeit festhalte. Wieso verunsichert mich seine Anwesenheit so? Was macht der Junge mit mir? Ich bekomme ja nicht mal ein einfaches 'Hi' oder 'Hey' hin. Mein Kopf scheint vor Ideen zu explodieren.

Ideen, was ich sagen kann und Ideen für die nächsten Lyrics. Aber weder das eine, noch das andere, kann ich wirklich äußern. Ich bin doch sonst nicht so, verdammt. Ich kann machen, was ich möchte, aber ich bekomme nicht ein Wort heraus. Nichts!

Der Verursacher meiner momentanen Lage schreckt hoch, als der Bus bremst. Traurig lächelnd hebt er die Hand und winkt mir leicht: "Bye. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder." Ich kann ihn nur leicht verzweifelt angucken. Worte liegen mir auf der Zunge. Doch ehe ich überhaupt die Gelegenheit dazu bekomme, etwas zu sagen, steigt er bereits aus. Direkt auf der anderen Seite der Scheibe bleibt er stehen und hält die Hand dagegen. Schwach lächelnd erwidere ich die Geste, ehe der Bus weiter fährt und ich wütend und enttäuscht von mir selbst meinen Kopf gegen die Scheibe knalle. Er hat sich verabschiedet und dabei eine wunderbare Stimme entblößt, die mir gerade immer noch den Atem abschnürt. Wieso habe ich nichts gesagt? Ich hätte ihm auch einfach meine Nummer zustecken können oder so aber nein. Was hat mich davon abgehalten?

Immer wieder schlage ich mich selbst leicht, da ich gerade in Selbstmitleid versinke. Ich lasse mich etwas weiter im Sitzt hinunter rutschen. Hanbin, du Weichei, mahne ich mich selbst. Obwohl ich Blondie nicht mal kannte oder kenne, vermisse ich ihn. Hätte ich ihn doch einfach angesprochen Ja, hätte ich doch mal. Vermutlich werde ich diese halbe Stunde in meinem Leben noch Jahre später bereuen.

Behind our masksWhere stories live. Discover now