Behind our masks

3. Hanbin

Schon seit ein paar Minuten starre ich mein Spiegelbild an. Bobby, der neben mir steht und versucht Aufmerksamkeit zu bekommen, ignoriere ich dabei gekonnt. Viel zu sehr spukt mir der Blonde von gestern Abend durch den Kopf. Ich musste die ganze Nacht darüber nachdenken, wie es hätte laufen können, wenn ich ihn eher angesprochen hätte. Oder es überhaupt mal getan hätte. Ich hasse es das zuzugeben, aber irgendwie habe ich für den Blonden doch etwas übrig mehr oder weniger. "Hanbiiiiin!", jammert Bobby, den ich hier bei den YG Trainees zuerst kennengelernt habe und mit dem ich mich auch am Besten verstehe. "Was?", fahre ich ihn genervt an und versuche in Gedanken versunken die Choreografie hinzubekommen.

"Du bist den ganzen Morgen schon geistig abwesend. Und du kannst mir nicht sagen, dass nichts los ist. Krank siehst du auch nicht aus.", abwehrend hebt er die Hände. Entschuldigend sehe ich ihn an, ehe ich seufze und mein Training etwas zurückfahre: "Ich bin einfach etwas in Gedanken." "Habe ich gemerkt. Du hast nicht mal den anderen mitbekommen, als du gegen ihn getanzt bist. Du hast ihn nur so seltsam angesehen.", lacht er leise und hält mir eine Flasche mit kaltem Wasser entgegen, die er vorher einem blonden abgenommen hat. Sofort zuckt mein Kopf zu ihm, ehe ich leicht enttäuscht die Schultern hängen lasse.
"Sag mal, wartest oder hoffst du auf irgendwas?", verwirrt sieht Bobby mich an. "Nein, schon gut. Ist okay.", winke ich ab und trinke einen großen Schluck aus meiner Flasche, "Gegen wen bin ich denn getanzt?" "Gegen den kleinen Braunhaarigen, der meistens in einer Ecke steht und dich beobachtet. Aber der hat jetzt auch blonde Haare. Sieht nicht mal so bescheuert aus.", kichert er und dreht sich mehrfach im Kreis, während er suchend die Anwesenden mustert, "Normalerweise ist er immer hier und macht sein eigenes Ding. Wo er jetzt ist weiß ich nicht." "Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, wen du meinst.", murre ich, wische den Schweiß von meiner Stirn und stelle mich wieder an meine ursprüngliche Stelle, um langsam die Schrittreihenfolge nochmal durchzugehen.
"Echt nicht? Komm schon, streng doch mal dein Hirn an!" "Bobby, ich weiß es nicht. Ich habe genug mit mir zu tun.", genervt verdrehe ich die Augen. Meine Stirn legt sich jedoch in Falten. Angestrengt denke ich darüber nach, wen er meinen könnte. Aber ich habe einfach keine Idee. Ich weiß, wen er meint, aber ich weiß nicht, wer das ist oder wie er genau aussieht. Bisher habe ich ihn immer nur aus der Entfernung gesehen. Gott, wer ist das denn nur? Der ist auch oft länger geblieben, um die Choreos zu üben. Ich habe ihn immer gesehen, wenn ich doch endlich mal nach Hause gelaufen bin. Aber irgendwie bekomme ich kein Gesicht vor mein inneres Auge.
"Wenn er wieder da ist, zeige ich ihn dir, ja? Offensichtlich hast du ja keinen Plan.", stichelt mein Freund weiter und eingeschnappt hole ich für einen leichten Schlag aus, dem er bedauerlicherweise ausweicht.

Enden tut das schließlich in einer kleinen Verfolgungsjagd.
"Ich dachte du stehst im Training, Hanbin! Dafür bist du aber ganz schön lahm. Wenn du nicht mal Bobby fangen kannst.", lacht Junhoe belustigt und böse grinsend renne ich zu ihm, wodurch nun auch er weg läuft. Solche Feiglinge!

"Jungs! Ihr solltet die Choreo üben und euch nicht gegenseitig zur Schlachtbank jagen!", donnert die Stimme unseres Tanzlehrers durch den Raum, was uns sofort dazu bringt, stehen zu bleiben,

"So, Hanbin, Junhoe und Bobby. Ihr übt jetzt, was das Zeug hält oder ihr könnt euch euer überleben der Survival Show abschminken."
Ergeben nicken wir. Eigentlich bin ich bereits als Leader festgelegt. Aber wenn ich mich nicht anstrenge, könnte ich trotzdem noch raus fliegen.

So kommt es also, dass wir drei um 22 Uhr immer noch vor den Spiegeln stehen und mein weißes Shirt schon fast durchsichtig ist. Hätten wir doch vorhin bloß nicht mit dieser Verfolgungsjagd angefangen

"Du bist noch hier, Jinhwan?", ein blonder Junge läuft mit gesenktem Kopf an mir vorbei und bleibt vor dem Trainer stehen, "Das Blond steht dir wirklich gut! Hast du doch aber auch erst seit gestern, oder?" Schüchtern nickt er und lässt das mehrfache Zerstören seiner Frisur widerwillig zu.

"Das ist der Kleine, den ich vorhin meinte.", flüstert mir Bobby zu, was direkt mit einer weiteren Zusatzstunde für ihn endet.

Eigentlich wollte ich meine Sachen zusammen packen, jedoch kann ich einfach nicht aufhören Jinhwan anzusehen. Ein rotes Bandana in den Haaren, eine schwarze Jeans und ein etwas zu großer schwarzer Pullover. Aber sein Gesicht konnte ich bisher nicht sehen. Wieso kommt er mir so bekannt vor?

Er hält meine Jacke in der Hand und sieht sich verwirrt um, ehe sein Blick an mir kleben bleibt und mein Herz kurz aussetzt, ehe es schneller zu schlagen scheint als vorher. Ist das ein schlechter Scherz? Was macht denn der von gestern hier? Moment, Moment. Er ist ein Trainee von YG? Wieso ist er mir dann nie aufgefallen?

"Ä-Äh, Hanbin? H-Hier hast du deine J-Jacke...", reißt mich diese wundervolle Stimme aus den Gedanken und leicht überfordert mit der momentanen Situation nehme ich sie entgegen. Unschlüssig stehen wir uns gegenüber. Keiner weiß, was er jetzt sagen oder tun soll. Wir starren uns nur in die Augen. Wieso ist er mir nicht eher aufgefallen? Ich meine so jemanden kann man doch gar nicht nicht bemerken!

"Ähm, ja, Danke.", murmle ich schließlich leise, um überhaupt etwas zu sagen. Entzückt betrachte ich sein Gesicht, als sich die Wangen leuchtend rot färben. Oh mein Gott, wie süß. "F-Fährst du heute auch wieder mit dem Bus?", stottert er leise vor sich hin und knetet seine Hände. "Ja.", belustigt lächle ich und schultere meine Tasche, ehe ich ihm auch seine aufhebe und er sie mit zitternden Fingern entgegen nimmt. "Viel Spaß beim Training, Bobby!", rufe ich schadenfroh und bekomme dafür einen geliebten Mörderblick zugeworfen. "Du hast dir wohl gerade einen Feind gemacht...", lacht meine Begleitung leise. Er sollte öfters lachen, es ist schön.