4. Jinhwan

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Ich laufe neben Hanbin. Ich laufe neben Hanbin. ICH LAUFE NEBEN HANBIN!!!!

Oh mein. Gott Oh mein Gott. OH MEIN GOTT!

Ich bin gerade verdammt nervös. Ich meine, da läuft Hanbin neben mir! Und er beachtet mich, omg! Das ist wie ein endlich wahr gewordener Traum! Ich meine: Genau das ist es! Möglichst unauffällig kneife ich mir in den Oberarm. Was, wenn ich aufwache und es ist nie passiert?!

"Also, ähm, Jinhwan?", versucht Hanbin meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Eigentlich hat er die ja, nur halt nicht in real.
"Seit wann bist du Trainee?", seine Stimme ist aus der Nähe sogar noch schöner. Das kurze Quietschen kann ich mir nicht verkneifen. Peinlich berührt sehe ich zu ihm. Doch entgegen meiner Erwartungen liegt ein belustigtes Lächeln auf seinen Lippen. "I-Ich habe kurz nach dir angefangen.", stottere ich verlegen. "Hm, ich habe dich nie bemerkt.", er beißt sich auf die Lippe und guckt wütend auf die Bushaltestelle. Verwirrt versuche ich aus seinem Gesicht zu lesen, weshalb er jetzt sauer ist. Ob ich ihn verärgert habe? Aber was habe ich falsch gemacht?

"Sorry, irgendwie regt es mich auf, dass ich nur Bobby und ein paar andere auf dem Schirm hatte...", knirscht er und erleichtert atme ich aus. So ein Glück. Es war nicht meine Schuld.
"Ach was, ich war ja auch nicht wirklich auffällig und du hattest ja immer so viel zu tun.", lächle ich leicht und sehe zu ihm nach oben, während wir auf den Bus warten, der in ein paar Minuten kommen müsste. Unsere Hände hängen schlaff an uns herab und immer wieder berühren sie sich für einen kurzen Moment. Sollte ich es wagen und unsere Finger miteinander verschränken? Nein, ich denke nicht. So gut kennen wir uns nicht und ich bin mir schon fast sicher, dass ich bei ihm eh keine Chance habe. Meine Gute Laune von eben hat nun einen gewaltigen Dämpfer bekommen. Dementsprechend scheine ich auch auszusehen. Besorgt mustert er mich von der Seite: "Ist alles in Ordnung? Du siehst traurig aus." "Ähm, nein, es ist alles gut...", bringe ich nach kurzem Stocken heraus und bemühe mich darum, meine Mundwinkel nach oben wandern zu lassen. Allerdings scheitere ich kläglich. Ratlos sieht er auf mich herab. Doch ich habe den Blick abgewandt. Ganz ehrlich, ich war noch nie so froh den Bus zu sehen. Fluchtartig steige ich ein und wische mir mit dem Jackenärmel einmal schnell über die Augen, um die aufkommenden Tränen zu trocknen. Auch als wir nebeneinander sitzen, sagt er nichts. Die Stille ist erdrückend und scheint mich langsam aufzufressen. Kann er nicht etwas sagen, irgendetwas? Sein Schweigen bringt mich noch um und lässt zu allem Überfluss auch noch die Zweifel wachsen. Die dunklen Gedanken schleichen sich wieder zurück in meinen Geist. Dabei habe ich sie in das entfernteste Hinterzimmer eingesperrt, um Nachts wieder ruhig schlafen zu können. Ich habe es zwar zu YG geschafft, aber es fällt mir viel zu schwer mit all den anderen mitzuhalten. Meistens bleibe ich länger, um die Choreo zu schaffen oder noch mal an den Lyriks zu arbeiten oder meine Parts einzuüben. Und dann auch noch meine Familie. Sie sagen es zwar nicht so, aber ich weiß, dass sie sich wünschen, dass ich das schaffe und ein Idol werde. Aber da ist dieses Gefühl tief in mir, das mir sagt, dass ich das nicht schaffen werde. Egal, wie stark mein Wille ist oder wie sehr ich mich anstrenge. Ich werde niemals so gut wie einer der anderen sein. Vielleicht kann ich mit Junhoe darüber reden. Für mich ist er bisher der einzige Freund hier geworden. Nach außen hin tut er zwar so, als wäre er cool und tendiert teilweise auch dazu andere zu mobben, aber in seinem Inneren ist er liebevoll und ein guter Zuhörer. Nur hat er Angst von anderen verletzt zu werden, weshalb er sie eher verletzt. Ich bin aber froh, dass er mich an sich ran gelassen hat. Und oftmals ist er auch der, der mich um vierundzwanzig Uhr aus dem Tanzsaal schleift und mich mit zu sich nimmt, damit ich etwas Schlaf bekomme. Mittlerweile ist es auch normal, dass wir uns zusammen in sein Bett quetschen. Damals wollte er, dass ich in seinem Bett schlafe. Allerdings war ich dagegen. Und nach langem überreden hat er sich doch dazu bringen lassen nicht auf dem kalten Boden zu liegen. Wir haben uns damals lange unterhalten. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, ist das beste am Trainee sein so viele tolle Leute kennenzulernen. Ob ich der Einzige bin, der so darüber denkt? Unsicher wende ich mich zu Hanbin, der auf seiner Unterlippe herum kaut und krampfhaft aus dem Fenster starrt. Leise seufzend muss ich feststellen, dass er auch diese Busfahrt nicht mit mir gesprochen hat.
"Bye.", verabschiede ich mich leise und stehe auf, ohne ihn noch einmal anzusehen. Ob er es überhaupt mit bekommen hat? Kurz bevor ich die Stufen runter hüpfe riskiere ich dennoch einen Blick zu ihm und begegne sofort seinen leicht aufgerissenen Augen. Es scheint, als ob er geschockt ist. Aber wieso? Habe ich etwas gemacht? Ist er geschockt, dass die Fahrt so schnell zu Ende ist?

Auch als ich draußen bin, beschäftigt mich das weiter und als ich wieder vor Hanbin stehe, lächle ich leicht, ehe ich schnell davon renne. Ich muss damit aufhören. Meine Hoffnungen werden vermutlich eh nie erhört und ehrlich gesagt bezweifle ich, dass er überhaupt tieferes Interesse als Freundschaft für mich empfinden könnte. Wenn, dann vermutlich eher für Bobby. Die Beiden sind ohnehin schon ein Herz und eine Seele. Sie kennen sich besser als sonst irgendwen und sind nur selten getrennt zu treffen. Wie immer bin ich nur das fünfte Rad am Wagen. Möglicherweise bin ich wirklich zu nett und hilfsbereit. Immerhin sage ich nie nein, wenn jemand fragt, ob er mein Wasser bekommt, weil er seines vergessen hat. Oder wenn mich doch mal jemand bittet, mit ihm zu singen, damit er den Part hinbekommt. Aber habe ich je eine Gegenleistung verlangt? Nein. Es ist für alle selbstverständlich, dass ich helfe. Anders als sie empfinde ich aber auch nicht. Ich weiß, dass diese Welt verdorben ist und das Leben kein Ponyhof ist. Auch so etwas wie wahre Liebe oder eine lange Ehe ist heutzutage was besonderes. Allgemein lange Beziehungen. Viele haben Angst sich zu binden oder ihre Sexualität anderen zu offenbaren. So wie ich also. Ich kann ja nicht einfach durch die Weltgeschichte marschieren und hinausposaunen, dass ich homosexuell bin. Die Meisten würden mich gleich als 'Schwuchtel' abstempeln und mich mobben. Natürlich gibt es auch so etwas wie Schwulenclubs aber alleine möchte ich da nicht hin. Ich könnte maximal Junhoe fragen, ob er mich begleitet. Nein, das kommt nur seltsam rüber. Und was, wenn er mich dann auch auslacht? Nein, dafür ist mir die Freundschaft zu wichtig. Dabei hätte ich so gerne einen festen Freund, mit dem ich das Partnerleben erleben kann. Und mit dem ich halt das machen kann, was man als Pärchen halt so tut: kuscheln, spazieren gehen, Händchen halten, gemeinsam lachen, Achterbahn fahren, zusammen Filme gucken und was weiß ich noch alles. Aber so wie ich mich kenne, bin ich zu schüchtern, um jemanden anzusprechen, der mir gefällt. Siehe Hanbin. Erstens sieht er einfach super aus. Ich meine: Habt ihr euch den mal angesehen?! Gut, so wie ich ihn gesehen habe werden das vermutlich nur die wenigsten immerhin standen wir in der Gemeinschaftsdusche mehrfach nebeneinander und ich hatte immer einen halben Herzinfarkt, wenn ich doch mal zu ihm geschielt habe. Er ist größer als ich, Pluspunkt eins, hat bereits jetzt deutliche Muskeln und einen breiten Rücken. Dazu kommt dieses schöne Lächeln, welches er allerdings nur Bobby schenkt. Für ihn habe ich bisher nicht einmal existiert. Ich war halt da und gut ist. Aber irgendetwas stimmt halt nie. Unser armer Work-a-holic. Wieso muss er aber auch so ein Perfektionist sein? Merkt er denn nicht, dass er sich damit selbst kaputt macht? Immerhin bleibt er meistens noch länger als ich. Und das will echt was heißen. Trotzdem habe ich ihn ins Herz geschlossen. Denn auch, wenn er sich nicht daran erinnern kann, hatten wir eigentlich schon ziemlich oft miteinander zu tun.

Ach man, wo soll das denn noch alles hinführen? Wenn das so weiter geht, weist mich noch jemand in die Klapse ein. Entweder das oder ich fliege bei YG raus. Würde mich zumindest nicht wundern, da ich momentan nur selten bei der Sache bin und bereits mehrfach gefährlich gestürzt bin. Zum Glück ist bisher alles gut ausgegangen. Aber was hat Junheo gesagt?
"Irgendwann wirst du mal kein Glück haben und dann könnte alles vorbei sein, was du dir je erträumt hast."
Ich konnte ja nicht ahnen, wie Recht er damit haben könnte.

Behind our masksWhere stories live. Discover now