Kapitel 19: "Das war nicht meine Absicht..."

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Kapitel 19: "Das war nicht meine Absicht..."

Isabel

Nun stand ich völlig verdattert hier und fragte mich, was er zu sagen hatte. Kein einziges Mal hatte er mich hier besucht, ich meine, sogar Micky war gekommen und den kannte ich noch nicht einmal so gut, dann wäre es schon zu erwarten gewesen, dass mein Freund (?) auch kommen könnte. Noch nie in meinem Leben hatte ich ihn so sehr gebraucht als jetzt und genau dann war er nicht für mich da.
Ich zog mir die Bettdecke bis zum Kinn, um die noch etwas kalte März-Luft auszublenden, die meine Haut durch dieses grässliche Hemd berühren konnte. Um 22:00 kam wieder die zierliche Blondine herein und lächelte mich mitleidig an. „Eigentlich wollte ich bloß das Licht ausmachen, aber wie ich sehe geht es dir schlecht und ich glaube nicht, dass es etwas mit deinem Zustand zu tun hat, oder?“, fragte sie mich und blieb vor meinem Bett stehen. Etwas überrascht über ihre Direktheit schaute ich zu ihr auf. War ich wirklich so durchschaubar? Tarnung aufgeflogen würde ich mal sagen.
„Naja, halb so wild. Das wird sich vermutlich noch klären.“, winkte ich ab und war mir bewusst, dass ich sie anlog. Es wird sich zwar klären, aber mir war klar, dass mit diese Lösung für Davids und mein Problem wahrscheinlich nicht gefallen wird. „Hätte ich ihn doch nicht rausschmeißen sollen?“, fragte sie zögerlich und leise, während sie die Stange an meinem Bett umklammerte. „Ist schon in Ordnung. So kann ich das Schlimmste wenigstens rauszögern.“, lächelte ich, aber es verflog sofort wieder. „Ich bin übrigens Mandy. Mandy Helbing.“, stellte sie sich, immer noch leise, vor und ich tat es ihr genauso im Flüsterton gleich. „Du steckst in einer ziemlich verfahrenen Situation, stimmt’s?“, fragte sie mich und darauf nickte ich nur mit dem Blick auf die höchst interessante Bettdecke. „Ich weiß zwar nicht, was genau dein Problem ist, aber eines kann ich dir sagen. Die Welt wird nicht untergehen, auch wenn es manchmal so scheinen sollte.“, sagte sie leise, senkte kurz den Blick bevor sie mit einem Lächeln aus meinem Zimmer verschwand. Okay, das war jetzt irgendwie merkwürdig, aber aus welchem Grund auch immer beruhigten mich ihre Worte ein bisschen. Mein Leben würde weiter gehen und das auch ohne David, obwohl es im Moment für mich nicht so wirkte. Ich vermisste es, mit ihm einzuschlafen und ihn am nächsten Tag an meiner Seite zu haben. Ich vermisste es, mit ihm über die unsinnigsten und bescheuertsten Dinge zu reden. Ich vermisste es, dass er mich um den Verstand küssen konnte. Ich vermisste ganz schlicht und einfach David.
Ich fragte mich bloß, was passiert war, was ihn damals im Dezember dazu gebracht hat, so schnell über uns hinweg zukommen. So schnell über mich hinweg zu kommen. War er doch der Player-Arsch geblieben und ich hatte mich nach Strich und Faden von ihm verarschen lassen? Nein, so etwas konnte man doch nicht vortäuschen, oder doch? Gott, diese Situation war zum Haare raufen und ich wusste einfach nicht, wie ich es aushalten sollte, ohne Klarheit zu bekommen.
Mit diesem nervig vollem Kopf legte ich mich schlafen und ich war überrascht, wie schnell mich die Müdigkeit komplett einnahm.

„Guten Morgen. Na, freust du dich mich zu sehen?“, hörte ich eine tiefe Stimme und innerlich hoffte ich ein klein wenig, dass sie zu David gehörte, aber seine Stimme würde ich vermutlich überall heraus kennen. Blinzelnd richtete ich mich auf und sah in das Gesicht eines Jungen in diesen Krankenhausteilen, in denen die Pfleger herum liefen. Er hatte blonde Haare, warme braune Augen und Sommersprossen auf der Nase, die ihn jünger wirken ließen. Insgesamt schätzte ich ihn auf circa 21 oder 22. Als er meinen fragenden und verwirrten Blick merkte, lachte er kurz auf und stellte ein Tablett mit Essen auf meinem Tisch ab. „Ich bin Caleb.“, stellte er sich mit minimalem Akzent vor und irgendwie dämmerte mir da etwas bei diesem Namen. Ich runzelte die Stirn und musterte seine Statur noch einmal. Okay, solche Muskeln konnte man eigentlich nicht vergessen, aber er sagte mir gar nichts vom Aussehen her… Natürlich! Er war der, der von einer anderen zusammengestaucht worden ist, weil er mich gewaschen hatte und so über meinen Körper geredet ha… Augenblicklich zog ich mir die Decke beschützend etwas höher und ein raues Lachen ertönte aus seiner Kehle, wodurch sein Adamsapfel hüpfte. „Keine Sorge, ich tu dir nichts. Obwohl… wenn du willst?“, fragte er und als er mein geschocktes Gesicht sah, lachte er noch mehr. Was mich aber überraschte, war, dass er mich ebenfalls zum Grinsen brachte. „Ich bin Isabel.“, stellte ich mich ebenfalls vor und wieder grinste er mich bloß an. „Ja, ich weiß. Ich war ein paar Mal für dich zuständig.“, erwiderte er und setzte sich verkehrt herum auf einen Stuhl und legte seine Arme auf der Stuhllehne ab. „Ja, und das weiß ich.“, brummte ich gespielt beleidigt und wieder lachte er. Irgendwie tat er das oft, für das, das er erst ein paar Minuten hier war. Auf einmal wurde er ernst und sah kurz auf den hellen Boden. „Ich, ähm… du weißt, dass du langsam gegen diesen Kerl aussagen musst, oder?“, fragte er mich leise und es war komisch, dass er seine kindische Seite abgelegt hatte. Diese sah ich zum ersten Mal.
Ich nickte langsam und senkte den Kopf. Natürlich war mir klar, dass ich früher oder später erzählen musste, was genau passiert war und diesen Widerling auch beschreiben musste, nur hatte ich gehofft, es so lange wie möglich hinaus zu schieben. „Ich wollte dich bloß vorwarnen, damit du später nicht überrumpelt bist, wenn Doc Montgomery hier auftaucht.“, sagte er und wieder schlich sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen, welches ich erwiderte. „Danke, Caleb.“, sagte ich ehrlich, weil es mich wirklich berührte, dass er zu mir so nett war, obwohl wir nichts als Fremde waren. „Gern und jetzt iss auf. Du hast ziemlich abgenommen.“, befielt er mir und ich nickte nur lachend, bevor er aus der Tür verschwand. Ich legte das Tablet vor mich und hob den Deckel an. In einem Teller war Suppe, ein Stück Brot und ein Vitaminsaft oder Orangensaft. Naja, eigentlich ganz passabel für das, dass es immer hieß, wie grauenvoll Krankenhausfraß schmecken solle. Gierig löffelte ich die Suppe aus, denn es war wirklich schon eine Weile her, wo ich zuletzt vernünftig gegessen hatte, abgesehen von den Gummibärchen, die mir Mike mitgebracht hatte. Das Glas trank ich auf einen Zug aus und stellte danach das Tablet wieder auf das Tischchen neben mir ab.
Jetzt würde es wieder so werden wie immer. Ich würde mich zu Tode langweilen, bis die Besuchszeit war und ich meine Familie wieder sehen konnte und glaubt mir, dass war lange, denn jetzt hatten wir gerade einmal 09:00 Uhr, also konnte ich Dad und meine Brüder erst in sieben Stunden wieder sehen. Sieben Stunden, in denen ich wieder aus dem Fenster starren konnte, über David nachdenken und letztendlich ein bisschen schlafen. Ich hasste es hier zu sein und ich wollte einfach wieder nach Hause, auch wenn die Wunde an meinem Bauch, die ich von der Operation hatte immer noch höllisch weh tat.

Vor meinem Fenster saß ein kleiner Vogel, der es sich auf dem Vorsprung bequem machte. Irgendwie brachte mich das zum Lächeln, denn es störte ihn wohl nicht, dass ich ihn beobachtete. Anscheinend war ich nicht die Einzige, die das tat, mit dem Unterschied, dass er mich beobachtete. Augenblicklich raste mein Herz, wie ein Formel-eins-Auto und meine Nervosität stieg ins Unermessliche. Er hatte die Tür schnell hinter sich geschlossen, zugesperrt und sein Atem ging unregelmäßig, als sei er gerannt. Keuchend lehnte er sich gegen die Tür und mir gefiel es ganz und gar nicht, dass David mir soeben den letzten Fluchtweg gesperrt hatte. „Tut mir leid, aber diese Krankenschwester wollte mich schon wieder rausschmeißen.“, sagte er und wurde wieder ernst, aber ich dagegen musste über Mandy schmunzeln. Hier waren alle irgendwie so nett zu mir. „Wie geht’s dir?“, fragte er zögernd und mein Lächelnd war verschwunden. „Oh, bitte David. An ‚Wie geht’s‘ sind wir schon lange vorbei.“, schnaufte ich und versuchte dieses grässliche Hemd, das ich an hatte, mit der Bettdecke zu verstecken.
„Na gut, dann eben nicht. Wir müssen reden.“, sagte er und wieder war sein Ausdruck so kalt, dass ich am liebsten zurück gezuckt wäre. Noch nicht einmal, als wir uns nicht kannten war es so zu mir gewesen. „Du wiederholst dich, weißt du das?“, gab ich bissig zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Isabel, kannst du einmal still sein und mir zu hören? Ein einziges Mal?“, schrie er und diesmal zuckte ich wirklich zusammen.
„Sorry.“, nuschelte er und setzte sich auf den gleichen Platz, an dem vor kurzem noch Caleb war. „Das mit uns funktioniert einfach nicht mehr und es tut mir auch leid, dass das du das mit Madison sehen musstest. Das war nicht meine Absicht.“, sagte er leise und sah mir dabei nicht einmal ins Gesicht. „Ach ja und was war dann deine Absicht? Mir so lange etwas vor zu spielen bis du aufgeflogen wärst, dass du mit ihr vögelst? Ich dachte wirklich, du hättest dich geändert.“, schrie ich unter Tränen und mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ich war froh, dass ich seit gestern nicht mehr an die Geräte angeschlossen war, denn sonst hätte er gehört, wie sehr er mich aus der Fassung brachte. „Jetzt schieb‘ nicht wieder alles auf mich. Wer musste denn hier die Nonne spielen? Du stellst dich an, als wärst du verdammt nochmal eine Jungfrau, aber wir wissen beide, dass Javier das geändert hat.“ Das hatte gesessen. Ich sah ihn geschockt an und ich spürte, wie sich meine Brust zusammenzog. Nie hatte ich daran geglaubt, dass Herzschmerz körperlich wehtun würde. Ich dachte immer, es sei bloß eine Einbildung, aber mir wurde das Gegenteil bewiesen.
Er sah immer noch auf den Boden und ihn schien es nicht einmal zu jucken, dass ich hier mit den Tränen kämpfte. Wie konnte ich mich Monate lang in ihm irren? War ich wirklich so blind vor Liebe? Hatte ich mir nicht geschworen nach Javier so etwas zu verhindern? „Verschwinde.“, hauchte ich, aber als er nichts tat, wurde ich lauter. „Verschwinde aus meinem Leben du elender Bastard!“, schrie ich durch mein Zimmer, während mir die Tränen über die Wangen liefen und stand ruckartig auf. Sofort stach die Wunde an meiner Hüfte und Bauch, als würde jemand mit einem Messer darin herumbohren. Ich zuckte zusammen und presste meine Hand dagegen. Langsam wurde meine Hand feucht und ich sah nur noch verschwommen, wie sie rot schimmerte. „Isabel!“, schrie David, stieß den Stuhl um und rannte auf mich zu, aber ich lag bereits auf dem Boden. Es fühlte sich so an, als würden die Schnüre, die die klaffende Wunde zusammen hielten, in mein Fleisch bohren und es nur noch schlimmer machen. Am Rande hörte ich noch, wie David mir vormachte, wie ich atmen sollte, aber es brachte nichts. Panik brach in mir aus und ich wollte einfach nur das es aufhörte. Mein Körper brannte, als würde er in Flammen stehen und meine Brust wurde immer schwerer, was das Atmen nicht gerade leichter machte. Es kam mir vor wie Stunden, als Dr. Montgomerys Gesicht neben Davids auftauchte. Sie brüllten herum, aber alles was ich hörte war ein beständiges Piepen in meinen Ohren. Es war, als würde alles Blut viel zu schnell durch sie hindurch gepumpt zu werden.
Im nächsten Moment wurde ich von diesen Schmerzen erlöst und die mir allzu bekannte Schwärze überfiel mich.

Ass meets another Girl  ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt