„Wusstest du davon?"

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Wir trinken Tee. Ich wusste nicht, dass es den hier gibt. Da scheine ich die Bar noch weniger zu kennen, als ich dachte. Es wollte nur bisher niemand Tee... bei mir auf jeden Fall. „Du kannst nichts dafür. Sowas kann man sich nicht einfach ausdenken. Du hättest nicht drauf kommen können... Ich meine, das scheint alles eine verzwickte Situation", meint Cole und nicke, während ich noch die getrockneten Tränen auf meinem Gesicht spüre. Ich starre meine Tasse an, die mich wärmt.

„Es war so klar, dass es so eine perfekte Beziehung nicht gibt... den perfekten Mann", spreche ich leise. „Er... ich war mir so sicher." Cole nimmt meine Hand in Seine und ich sehe ihn an.

„Ich weiß, es ist gerade der falsche Zeitpunkt, aber du kannst nicht die Männerwelt verschwören, wegen diesem einen Mann. Du bist gerade verletzt und das ist mehr als verständlich, aber du findest den Richtigen noch. Da bin ich mir sicher", versichert Cole mir, aber daran will ich nicht denken. Kein Mann schafft es, noch irgendwann mal den Platz einzunehmen, den Will hatte... Mein Herz ist zerbrochen und diese Einzelteile sind zu klein, um wieder eins zu werden. Wir sehen uns an und ich schüttle meinen Kopf.

„Scheiße, Onkel Fred ist tot und ich weine dich hier voll. Ich... wann...?"

„Ich muss erstmal allen Bescheid geben und die Beerdigung muss vorbereitet werden. Ähm, ich habe es leider schon geahnt, trotzdem kam es heute überraschend. Ich dachte, es wär nur eingeschlafen, nur..." Cole macht eine kleine Pause und schüttelt leicht seinen Kopf. Ich drücke seine Hand vorsichtig... „Ich war noch in seinem Haus und habe das hier gefunden." Cole lässt meine Hand los und fasst in seine hinteren Hosentaschen, wo er Briefe rausholt. „Die lagen auf seinem Schreibtisch. Ich denke, er hat sie gestern noch geschrieben. Der Fuchs wusste sicher, dass ihm keine Zeit mehr bleibt." Auf einem steht Coles Name und auf dem andere... Lina. Ich schaue ihn wie gebannt an und schlucke den Kloß runter, der sich bei dem Anblick wieder bildet.

„Was soll ich nur ohne ihn machen?", frage ich leise und schiebe den Brief hin und her. Cole steht auf und geht hin und her.

„Die Frage stellt sich wohl uns beiden. Ich... will erstmal wegfliegen. Nach der Trauerfeier ist das glaub ich ne gute Idee. Den Kopf frei kriegen." Ich nicke und wische die ankommenden Tränen weg.

„Ja, mach das. Du... man scheiße. Es tut mir so leid", entschuldige ich mich und stehe auch auf. Cole sieht mich fragend an. „Ich habe einen Freund verloren und du... du hast deine Familie verloren. Es tut mir einfach so leid für dich", erkläre ich schwammig und Cole sieht mich verständlicher an. „Wenn du meine Hilfe brauchst, ruf mich einfach an. Ich will wirklich helfen. Du musst das nicht alleine machen. Naja, deine Familie wird dir sicher helfen, aber..."

„Ich rufe dich an, Lina. Mach dir keine Sorgen", versichert er mir und ich nicke.

„Danke. Ich gehe dann glaube ich mal. Danke wirklich. Ich weiß nicht, was ich ohne dich gemacht hätte", bedanke ich mich hundert Mal und Cole nickt.

„Melde dich bitte, wenn etwas ist." Ich nicke und gehe ohne große weitere Gesten.

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Ich gehe durch die Nacht und das langsam. Wenn ich schnell gehe... bin ich schneller zu Hause. Dann bin ich schneller in meinem Zimmer... Da wo Will auch drinnen war. Da wo mich einfach alles an ihn erinnert... Da wo ich Amy alles erklären muss.

Ich will nicht. Ich will nicht da sein... Nirgends. Am liebsten würde ich mich in Luft auflösen. Was soll ich noch hier? Meine Mutter hatte recht. Ich bin eine Versagerin. Nicht nur das... Wenn ich jemals glücklich werden sollte... dann nur nach einer verdammt langen Zeit. Will hat alles mit sich genommen. Wie kann man nur so sein?

Wieso hat er das gemacht? Was wollte er mit mir? Sich lustig machen? Oh mein Gott... ich lasse mich an der Wand hinuntergleiten und fasse mir an meinen Kopf. Ich habe mit Will geschlafen. Das erste Mal, dass ich mich einem Mann so geöffnet habe... überhaupt an mich rangelassen habe... Wollte er sich lustig machen?

Lina, reiß dich zusammen! Steh auf und geh weiter. Das hätte Onkel Fred mir gesagt. Niemand ist es wert, meine Tränen zu vergießen... Nur hätte ich gesagt, dass er es geschafft hat. Ich liebe Will...Trotz alledem. Sie ist nicht zerplatzt, als ich seine Frau am Rand des Gebäudes stehen sehen habe. Oh nein, ich er hat sie betrogen... mit mir. Er hat mich mit hineingezogen. Oh Gott, die arme Frau. Ich bin eine Ehebrecherin.

Warte... Theo hat gesagt, er hat vorher mit mehr Frauen geschlafen... Will macht sowas öfter?

Wie kann man sich in einem Mann nur so täuschen?

Irgendwie tragen mich meine Beine nach Hause und sofort stürmen zwei Beine zu mir. „Lina! Gott sei dank! Wo warst du?", fragt sie besorgt und zieht mich zu sich ins Wohnzimmer... aufs Sofa. Da sehe ich Theo und bleibe stehen. Die Tränen wische ich weg und sehe ihn wie gebannt an. Auch er sieht mich an und... „Wusstest du davon?", frage ich und an seiner Mimik ändert sich nichts.

„Ja", antwortet er und ich blinzle etwas zu oft. Mein Kopf schüttelt sich wie von selber und ich kann einfach nicht mehr hier sein... Nicht in einem Zimmer mit jemanden, der das Geheimnis auch für sich behalten hat... „Er liebt dich, Lina", meint er und Amy versteht nichts mehr.

„Was ist los? Lina?", fragt sie, aber ich bin schon auf dem Weg nach Oben. Heute will ich niemanden mehr sehen. „Theo was ist passiert?", höre ich sie noch fragen und knalle die Tür des Badezimmers zu. Die Dusche geht wie von allein an. Ich ziehe meine Klamotten vom Körper und stelle mich in die heiße Dusche. Da bricht der restliche Damm auch noch und ich lasse mich auf dem Grund der Dusche nieder, um den Tränen freien Lauf zu lassen. Das Wasser färbt sich rot, da die Wunde wieder offen ist... Die Wunde, die ich mir in Wills Wohnung... in seiner und der seiner Frau zugezogen habe... Jetzt glaube ich zu verstehen, um welche Krankheit es sich handelt. Es ist tot, Blaire! Verdammt es ist tot, wann verstehst du das? Ich schluchze, wenn ich daran denke, was auf dem Dach passiert ist. Ihre Verzweiflung... Seine Beteuerungen... Wir schaffen das zusammen.

Es brennt, aber es ist ein angenehmer Schmerz im Vergleich... Im Vergleich zu dem, der sich in meinem Inneren befindet. „Lina?", kommt leise von der anderen Seite der Tür. Ich schaue dahin, aber sage nichts. „Theo ist nicht mehr da. Darf ich reinkommen?", fragt Amy und ich sage noch immer nichts. Trotzdem öffnet sie die Tür und ich kauere da in der Dusche. „Mein Gott, was ist nur passiert?", murmelt sie und ich rolle mich zu einem sitzenden Embryo.

„Er hat eine Frau", schluchze ich und spüre ihre beschützenden Hände, die mich an sie ziehen. Wieso ist mir das nicht vorher eingefallen? Amy belügt mich nicht... Sie würde das niemals machen... Ich weine in ihren Armen.

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Ich liege geduscht und im Pyjama im Bett. Amy sieht mich besorgt an, ich aber fummle nur an dem Bettlaken. „Ich muss es wechseln", sage ich aus dem Nichts und stehe auf.

„Lina, du hast es schon gewechselt. Erst gestern..." Ich höre nicht zu, suche ein anderes Bettlaken raus. Eins, das nicht mit Will in Berührung kam... das mich nicht an ihn erinnert. „Lina, was machst du da?", fragt Amy und steht über mir.

„Ich brauche auch neue Bettwäsche... Alles... ich muss alles neu machen... I...Ich kann hier nicht schlafen", eröffne ich und sie nimmt mir alles weg.

„Komm, wir gehen einfach runter... zu mir. Lass uns das morgen machen. Du bist doch müde. Du brauchst Schlaf", hält Amy mich ab und ich sehe sie nur an... dann das Zimmer und wieder sie.

„Okay", stimme ich zu und wir gehen runter.

Wir liegen genauso da, wie oben auch... „Es tut mir leid, Lina", entschuldigt Amy sich und ich schaue einfach an ihr vorbei.

„Wofür?", frage ich geistesabwesend. Sie nimmt meine Hand.

„Ohne mich hättest du ihn nie kennen gelernt", macht sie sich Vorwürfe. Ich schüttle meinen Kopf.

„Du wusstest es doch nicht. Niemand konnte das wissen..." Ich schließe meine Augen.

„Und Theo wusste es. Oh man, es tut mir so leid, Lina", tröstet sie mich und ich versuche einzuschlafen. Das klappt aber nur mäßig.

I See You.Where stories live. Discover now