,,Man Amy, das ist nicht lustig."

5.4K 150 9
                                    

,,Willst du mit mir auf das Festival?", fragt er ganz unerwartet und ich zucke meine Schulter. Was soll ich dazu sagen? Eigentlich habe ich doch morgen früh eine Vorlesung, aber das hier ist Will... Er hat mich gefragt, ob ich mit ihm auf eine Party gehe. Kann ich da Nein sagen?

,,Ähm, du..." Ich räuspere mich. ,,Du, du wolltest da hin?", frage ich und er lacht etwas.

,,Nein, aber wo ich dich so sehe, will ich nicht einfach wieder, dass du mir abhaust. Immerhin redest du mit mir und ich merke, dass ich nicht damit aufhören will", beichtet er. Alleine der Gedanke, dass er das zu mir sagt und dass er es durchaus ernst meinen könnte, wirbelt in meinem Kopf alles herum. Ich schaue an mir herunter und gucke was ich an habe. Eine schlichte schwarze Jeans und ein schwarzes, lockeres Shirt mit einer grauen Strickjacke. Ja, das ist schlicht und eigentlich nicht Party tauglich. Aber ja, ich will auch nicht gehen. Deshalb nicke ich eifrig. ,,Okay", erwidere ich und er lacht, weil es eigentlich total lasch klingt, aber wir beide wissen, dass es viel Anstrengung kostet dieses kleine Wörtchen aus meinem Mund zu bekommen. Wir stehen jetzt einfach da und sehen uns an. Niemand sagt was und ich fühle mich wohl, wenn wir einfach nur dastehen. Ihm scheint es auch nichts auszumachen, aber vielleicht sollten wir uns mal von der Stelle bewegen. Soll ich den Anfang machen? Aber wie soll ich denn die Initiative ergreifen und als erste reden? Das kann ich nicht. Antworten? Manchmal, ja, muss ich ja, aber anfangen? Wenn es nicht sein muss? Nein. So ist es ja auch angenehm. Ob er den inneren Kampf in mir bemerkt? Weil er jetzt plötzlich lacht und nickt. ,,Gehen wir?", meint er und geht schon mal ein paar Schritte vor. Ich muss jetzt auch lachen und gehe neben ihm her. Ich würde gerne wissen was er macht? Also ob er arbeitet oder eine Ausbildung macht. Studiert er vielleicht? Wenn ja, was? Wo wohnt er? Lebt er noch bei seinen Eltern? Kennt er seine Eltern und hat er noch beide? Hat er Geschwister? Hatte er schon eine Freundin? Wen ja, wie viele? Will ich das wissen? Er hatte sicher viele. So wie er aussieht, kann ihm doch niemand widerstehen. Oh man, ich will alles über ihn wissen, aber wie soll ich ihn fragen? Na, ihn wie eine dumme anzustarren ist nicht besser, Lina. Aber er bemerkt es und sieht auch mich an. ,,Was willst du wissen?", fragt er sanft und ich schmelze wieder einmal einfach dahin. Er kann das doch nicht so unglaublich süß fragen. Ich muss lachen und schüttle meinen Kopf.

,,Alles", sage ich und schließe meine Augen, weil ich denke, dass ich zu viel gesagt habe. Auch wenn es nur dieses eine Wort war... Wieso muss ich auch nur so viel Müll reden, wenn ich nur meinen Mund aufmache? Er sagt nichts und ich öffne wieder meine Augen, um zu gucken, was er macht. Er sieht mich lächelnd an.

,,Dafür haben wir wohl nicht genug Zeit, aber ich denke mal, zu ein paar Details bin ich durchaus bereit", entgegnet er charmant und er fängt an. Er ist schon ausgelernter. Er hat auch studiert und ist jetzt Ingenieur für die Deutsche Bahn hier. Ich frage mich wie alt er ist, wenn er das bereits geschafft hat, aber frage nicht nach, weil ich nicht will, dass er aufhört zu reden. Ich bin so überwältigt von ihm und am liebsten würde ich ihn von nun an nur reden hören und ansehen, weil er der faszinierendste Mensch ist, dem ich je begegnet bin. Er ist Einzelkind und seine Eltern leben in Amerika. Dort hat er auch einige Zeit lang gewohnt, ist aber schon als Kind hierher gezogen, zu seinem Großeltern. Die sind gestorben, als er achtzehn war und dementsprechend konnte er sich schon eine eigene Wohnung holen, die ihm seine Eltern bezahlt haben. Das mit seinen Großeltern tut mir sehr leid und ich würde gerne etwas sagen, was entschuldigend klingt, aber er lässt es nicht zu, denn er wechselt schnell das Thema. ,,Ähm, was könnte ich noch erzählen? Um ein wenig anzugeben, ich habe einige Klassen übersprungen, erst in der Grundschule, dann am Gymnasium und nun bin ich dreiundzwanzig und muss den Rest meines Lebens als Ingenieur arbeiten. Das klingt grausam, wenn es nicht mein Traumjob wär." Wir kommen dem Tumult schon näher und einige Personen kann ich schon ausmachen. Ich merke wie Will mich ansieht und ich schaue auch ihn vorsichtig an. ,,Kann ich dir eine Frage stellen?", fragt er mich und ich könnte abheben. Er ist so unglaublich höflich und vorsichtig, drängt mich zu nichts und Ja, ich will dir alles erzählen, wenn ich nur könnte...Wobei. Ich nicke. ,,Ja." Ein Klar möchte ich noch hinter her schieben, aber das ist bei mir nicht mehr im Bereich des Möglichen. Will lächelt und schaut auf den Boden. Was? Ihm ist etwas unangenehm? Ist das nicht immer meine Aufgabe? Ich muss etwas lächeln, weil er mir gleich noch sympathischer wirkt.

I See You.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt