Kapitel 3 - Der unheimliche Fremde

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»Hey, aufgewacht!«

Ein vergnügtes Kinderlachen hallte durch meinem Kopf, dessen fröhlicher Klang mich necken zu wollen schien. Noch etwas benommen, als würde ich aus einem langen und tiefen Schlaf erwachen, öffnete ich schwerfällig die Augen, doch um mich herum blieb es weiterhin dunkel. Bäuchlings und mit ausgestreckten Armen, lag ich auf dem Boden, ohne eine blasse Ahnung, wie ich an diesen Ort gekommen war, oder wie lange ich dort schon gelegen hatte.

Für einige Herzschläge beherrschte mich die Unsicherheit, noch immer bewegungslos an den Untergrund gekettet zu sein. Doch die Furcht wurde mir sogleich wieder genommen, als sich meine Finger anheben ließen und ich spürte, wie das Leben, mit einem leichten Kribbeln, in meine Muskeln zurückkehrte. Anfangs war es noch recht zufällig, wie sich die Energien in meinem Körper verteilten, somit verging einiges an Zeit, bis ich wieder vollständig bei Kräften war und mich endgültig aus meiner Starre lösen konnte. Langsam, auf zunächst wackeligen Beinen, erhob ich mich schließlich. Ein leichter Anflug von Scham überkam mich, als mir bewusst wurde, dass ich nichts weiter am Körper trug, als ein weißes Nachthemd aus Leinen, welches mir gerade einmal bis zu den Knien reichte.

Noch immer war ich zum Teil meiner Sinne beraubt. Ich empfand weder Wärme noch Kälte, trotz meiner nackten Füße und spürte nicht einmal, ob der Boden unter mir hart oder weich war. Es war, als würden meine Füße gar nicht den Boden berühren. Als würde ich einfach über ihm schweben. So muss es sich anfühlen, wenn man auf Wolken läuft – war ich überzeugt und ein wohliges Gefühl machte sich in mir breit, das mich für einen Moment alles um mich herum vergessen ließ: Ich fühlte mich so gut, wie schon lange nicht mehr. Selbst meine Schmerzen waren verschwunden und hallten nur noch als leichtes Echo nach. Wiederholt rieb ich mir die Augen, denn noch immer hatten sie sich nicht ganz an das vorherrschende Zwielicht gewöhnt.

»Toto, ich habe das Gefühl, dass wir nicht mehr in Kansas sind«, flüsterte ich leise vor mich hin, als die Umgebung langsam klare Konturen bekam. Endlich konnte ich mich umsehen und den mir unbekannten Ort erkunden, an dem ich gestrandet war.

Ich befand mich mitten in einem dunklen Raum, dessen einzige Lichtquelle Monitore verschiedenster Geräte waren, die sich wie die Silhouette einer futuristischen Stadt an der Wand auftürmten. Ihr Licht tauchte alles in einen gespenstigen Schein und malte groteske Schatten an die Wände. Ständig wurden auf den Bildschirmen wechselnde Kurven und Diagramme angezeigt, die immer von einem leisen rhythmischen Piepen begleitet wurden, was das einzige Geräusch war, das ich hören konnte.

Im Bett gleich daneben, angeschlossen an die zahlreichen Maschinen mit Schläuchen und Kabeln, lag ein Mädchen mit dunklen Haaren. Sie war vielleicht in meinem Alter und schien fest zu schlafen. Mehr war für mich – auf die Entfernung und in dem schwachen Licht – zunächst nicht zu erkennen.

Gegenüber der immensen Ansammlung von Geräten, auf der anderen Seite des Betts, befand sich, neben weiteren Apparaten, die lange Papierbahnen mit Daten ausspuckten, ein kleines Nachtschränkchen. An der Wand, die dem Fußende des Betts zugewandt war, stand ein kleines rundes Tischchen, unter das zwei Stühle geschoben waren.

Und obwohl ich nichts von meiner Umgebung spüren konnte, so fühlte ich, dass sich noch jemand im Raum befand. Oder etwas. Etwas, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, nur allein beim Gedanken daran. In meinem Kopf entfachte ein Kampf darüber, was ich als nächstes tun sollte. Der sanfte Teil in mir wollte einfach weglaufen und nach einem Ausgang suchen, ohne sich noch einmal umzudrehen. Aber der kämpferische Teil in mir wollte wissen, womit ich es zu tun hatte und sich dem gegebenenfalls entgegenstellen – So wie ich es mein ganzes Leben schon getan hatte. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und drehte mich vorsichtig um, die Hände zu Fäusten geballt, bereit jeder Zeit zu zuschlagen. Was ich aber sah, ließ mir die Nackenhaare zu Berge stehen, und für einen kurzen Moment wünschte ich, ich hätte doch auf die andere Stimme gehört und wäre einfach davon gelaufen.

Somnia: Zwischen zwei Welten - Band 1: Der Hüter der ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt