Der neue Käufer

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„Also das Haus gehört doch jetzt euch. Nach dem Tod geht der Besitz an den nächstliegenden Verwandten und das sind ja wohl du und Alec.", überlegte Jensen laut, nachdem er den Kaffeekocher eingeschaltet hatte.
Ich öffnete den Kühlschrank und nahm den Schokoladenkuchen heraus, den ich extra in den frühen Morgenstunden gebacken hatte, damit wir nicht mit leerem Magen arbeiten mussten. Vorsichtig stellte ich ihn auf den Küchentisch und begann Stücke zu schneiden. „Schon.", meinte ich. „Aber wir beide können es uns nicht leisten in diesem Haus zu leben. Unsere Gehälter sind zu niedrig und außerdem ist Alec mit seiner Frau glücklich auf dieser Ranch. Er braucht also kein Haus. Selbst wenn wir das Haus vermieten würden, könnten wir die Kosten nicht tragen, falls mal etwas erneuert werden müsste.".
„Hm.", machte Jensen und trat neben mich. Als ein großer Krümel von einem Stück abfiel, griff er danach und steckte es sich in den Mund. Gedankenverloren kaute er darauf herum. „Und der Käufer ist wegen dem Kredit abgesprungen?", harkte er nun nach. Dann schob er einen Stuhl zurück und setzte sich.
Als Antwort nickte ich. „Dustin würde sich im Grab umdrehen, wenn er das hören würde.", murmelte ich. „Und Mum und Dad würden mich heimsuchen, wenn sie das mitbekommen würden.".
Jensen schnaufte und gab ein leichtes Schmunzeln wieder.
„Es scheint wohl eh ein Fluch auf dieser Familie zu lasten.", fügte ich nach einer kurzen Pause hinzu und schnitt dann das letzte Stück. „Es ist wohl unser Schicksal bei einem Autounfall ums Leben zu kommen, weil man wegen Glatteis die Kontrolle über den Wagen verloren hat.". Ich legte das Messer in die Spüle und kramte vier Teller aus dem Schrank.
„Ja.", murmelte Jensen, stand auf und nahm mir die Teller ab. „Das mit euren Eltern hatte mir Dustin erzählt. Es muss schlimm für euch gewesen sein.".
„Ich glaube für Alec war es am schlimmsten.", gestand ich und stellte vier Kaffeetassen neben den Tellern, die Jensen auf dem Küchentisch platziert hatte. „Dustin und ich waren ja noch kleiner, aber Alec war acht Jahre alt und kannte sie also länger. Ich kann mich kaum noch daran erinnern. Rolf und Lydia haben aber auch alles mögliche getan, um uns abzulenken. Sie haben ihre Arbeit also gut gemacht.".
„Wann hast du eigentlich beschlossen nach Dallas zu ziehen?", fragte Jensen interessiert und fischte ein paar Kuchengabeln und Teelöffel aus der Schublade, unter dem Wasserkocher, heraus.
Ich kicherte nur leise und fuhr mir einmal über den Nacken. „Oh, das war eine Kurzschlussreaktion. Ich hatte nicht nachgedacht.", offenbarte ich, drehte mich um und lehnte mich an den Küchentisch. Jensen stellte sich mir gegenüber und lehnte sich an die Arbeitsplatte, während er seine Arme vor der Brust verschränkte.
„Erzähl.", meinte er breit grinsend.
Ich spürte, wie sich eine zarte Röte auf meine Wangen schlich. „Es war wegen einem Mann.", meinte ich.
„Oh.", lachte Jensen.
„Ja... Ich war gerade achtzehn geworden. Er wollte unbedingt weg von hier und hat herumtelefoniert, bis er schließlich bei einem Freund in Dallas bleiben konnte. Auf der Klappcouch natürlich, in einer Ein-Zimmer-Wohnung. Ich war so verliebt und wollte ihn nicht gehen lassen, also bin ich von zu Hause ausgerissen und bin mit ihm geflogen... Oh man, du hättest Rolfs Anrufe hören sollen. Ich wusste bis dahin nicht, dass dieser Mann so wütend werden konnte.", lachte ich und fuhr dann fort. „Na ja... also schliefen wir beide bei diesem Freund. Ich putzte bei einer Firma und er arbeitete bei seinem Freund in der Werkstatt. Obwohl ich mir etwas Schöneres vorstellen konnte, habe ich diese Zeit geliebt. Immerhin war ich verliebt, da ist einem alles um sich herum egal. Und dann nach etwa einem halben Jahr, habe ich ihn dann mit einer anderen erwischt.".
„Das tut mir leid.", unterbrach der Schauspieler meine Erzählung, doch ich schüttelte bloß mit dem Kopf und lächelte.
„Mir nicht.", gestand ich. „Wenn er es nicht gemacht hätte, würde ich wahrscheinlich immer noch dort wohnen. Aber so musste ich auf eigenen Beinen stehen. Ich kam bei einer Freundin unter, bis ich eine Ausbildung als Buchhändlerin gefunden hatte. Dann habe ich mir eine günstige Wohnung gesucht,  bis ich dann nach drei Jahren einen festen Job hatte und bin dann in einer schönere Mietwohnung gezogen.".
„Und wann hat dir Rolf wieder verziehen?", fragte Jensen.
„Ich denke, wenn 'dein kleines Mädchen'-.", ich deutete Anführungszeichen an. „völlig verweint bei dir anruft, weil sie bei ihrem Freund rausgeschmissen wurde und nun obdachlos in einer fremden Stadt herumläuft, verzeiht man alles. Er wollte mir ein Flugticket besorgen, damit ich wieder hierhin fliegen konnte, doch ich habe abgelehnt.".
„Wieso?".
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich schätze, ich wollte ihm erst wieder in die Augen sehen, wenn ich auf eigenen Beinen stehen konnte. Und das habe ich dann auch getan. In meinen ersten Urlaubstagen bin ich dann zu ihnen geflogen und habe sie besucht.".
„Und Alec?", fragte der Schauspieler. „Wann ist er nach Dallas gezogen?".
„Das war vor etwa zwei Jahren. Er hatte seine Frau bei einer Fortbildung kennengelernt. Sie lebte allerdings in Dallas und er hier in North Bay. Nach einem Jahr Fernbeziehung ist er dann zu ihr gezogen und es hat mit den beiden geklappt.".
Alles was Jensen tat war lächeln. Er schien es zu genießen mir zu zuhören. Kurz lag ein Schweigen in der Luft. Wir beiden suchten scheinbar verbissen ein Gesprächsthema, bis Jensen wieder auf das Haus zurückkam. „Wie sieht es denn eigentlich mit den Kosten pro Monat aus?", fragte er plötzlich und runzelte die Stirn.
„Ähm.", machte ich. „So ungefähr Eintausend bis Zweitausend pro Monat.".
„Hm, hm.", machte Jensen und knibbelte nachdenklich an seiner Unterlippe herum. „Und wie viel wollt ihr dafür haben?".
„Eine halbe Million – und das ist noch ein Schnäppchen.", antwortete ich.
Erneut gab Jensen ein nachdenkliches Brummen von sich, stieß sich dann von der Arbeitsplatte ab und schlenderte hinaus. Verwirrt folgte ich ihm. „Dustin war wirklich stolz auf dieses Haus.", murmelte Jensen vor sich hin und sah sich ehrfürchtig im riesigen Wohnzimmer um, das wahrscheinlich größer war, als meine gesamte Wohnung in Dallas. Er strich mit den Fingern über die Lehne der weißen Ledercouch und ließ seinen Blick dann nach draußen, durch die bodentiefen Fenster gleiten. Der Garten war unter einer dicken Schneeschicht versteckt. Selbst der Teich, am hinteren Ende des Rasens, war zugefroren.
„Das war er.", bestätigte ich und trat neben ihn, als er vor dem Fenster stehen blieb und mit einem Lächeln hinausblickte. Seine Hände hatte er währenddessen in seine Hosentaschen geschoben.
„Ich denke, man würde ihm einen Gefallen tun, wenn man das Haus an jemanden verkaufen würde, der dieses Haus in Ehren hält und es gut pflegt.", meinte er.
„Ja.", stimmte ich ihm zu.
„Dann setzt mal den Vertrag auf.", lachte er und blickte zu mir hinunter.
„Was?", fragte ich überrascht.
„Ich kaufe es.".
„Du kaufst-?", ich war so voller Glücksgefühle, dass ich den Satz nicht zu Ende führen konnte. Eine Last schien mir von den Schultern zu fallen. Es waren die Endorphine, die mich schweben ließen und die meinen Verstand ausschalteten. Ohne im Klaren darüber zu sein, schlang ich meine Arme um Jensens Nacken, stellte mich auf Zehenspitzen und gab ihm einen langen Kuss auf seine Lippen. Er schien so überrascht zu sein, dass er nichts erwiderte.
Als mein Verstand wieder einsetzte, löste ich meine Lippen von seinen und starrte ihn erschrocken an, ohne meine Arme von seinem Nacken zu nehmen. Geschockt riss ich die Augen auf und öffnete den Mund. „Oh Gott, es... es-.", stammelte ich und wurde rot. „es tut mir so leid. Ich... ich-.".
„Mir nicht.", raunte er, den Blick auf meine Lippen gesenkt. Ehe ich mich versah, zog er mich an den Hüften ruckartig an sich heran und setzte zu einem neuen, heißen Kuss an, den ich nur zu gerne erwiderte. Meine Hände vergruben sich in seinen kurzen Haaren. Er seufzte leise, als ich zaghaft an ihnen zog. Gerade schob sich eine seiner Hände zaghaft unter mein Pullover, als plötzlich ein eindringliches Räuspern uns aufschrecken ließ.
Wir blickten beide blitzartig zu den beiden Männern, die etwas belustigt im Raum standen und mit verschränkten Armen das Szenario beobachtet hatten. Mit einem Satz lösten wir uns voneinander. Jensen trat extra einen Schritt zurück und fuhr sich verlegen über den Nacken, während er seinen Gastgeber mit entschuldigter Miene anstarrte. Warum waren Rolf und Alec schon so schnell wieder da?      
„Ich hoffe, ihr habt wenigstens schon einmal Kaffee aufgesetzt.", brach Rolf das unerträgliche Schweigen.
Jensen und ich nickten gleichzeitig.
„Gut.", meinte mein Großonkel zufrieden, drehte sich um und verschwand mit Alec in der Küche.
Der Schauspieler räusperte sich, wandte sich an mich und machte mit seiner Hand eine auffordernde Handbewegung. „Nach dir.".

Wie Rome und JuliaWhere stories live. Discover now