Der Brief

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4 Wochen später

Schon nach wenigen Tagen, die ich wieder mit arbeiten verbrachte, hatte ich wieder einiges an Überstunden gesammelt. In unserem Buchladen fand eine komplette Umräumung statt. Hinzu kamen noch Renovierungen, die man viel zu spät begonnen hatte. Erst heute hatte man die vielen Regale neu aufgestellt und es war nicht schwer zu erraten, wen man beauftragt hatte, die endlos vielen Bücher wieder einzuräumen... ja, mich. Da am nächsten Tag wieder die Eröffnung war, hatte ich bis spät in die Nacht gearbeitet.
Es war etwa kurz nach zwei, als ich aus den Logo's Bookstore verließ und abschloss. Glücklicherweise hatte ich meinen Wagen ganz in der Nähe der Buchhandlung geparkt und hatte somit keinen allzu weiten Weg, den ich zu Fuß laufen musste. Ich fühlte mich nachts immer unwohl, wenn ich alleine durch die Straßen ging. Völlig paranoid blickte ich mich ständig um und hielt das Pfefferspray krampfhaft in meinen Händen, das ich mir für solche Fälle extra gekauft hatte.  
Schnell huschte ich zu meinem Auto, warf meine Handtasche hinter den Fahrersitz und stieg ein. Sogleich startete ich den Motor und schloss dann den Wagen von innen ab – man konnte ja nie wissen. Als ich losfuhr wurde ich wieder einmal daran erinnert, wie schön es war nachts Auto zu fahren. Die Straßen waren leer, man konnte seinen Kopf beinahe völlig ausschalten und einfach die Fahrt genießen.
Nach einigen Minuten seufzte ich entspannt. Die Arbeit tat mir gut. Ich dachte nicht mehr so oft an Jensen, das war ein Fortschritt. Als ich noch Urlaub hatte, hatte mich meine Trauer von innen aufgefressen. Ich aß nicht viel, schlief kaum noch und verließ nur in äußersten Notfällen die Wohnung. Na ja, wie man halt so trauerte. Teilweise hatte ich mich gefragt, ob Jensen wohl das gleiche durchmachte wie ich? Ich hatte nichts mehr vom ihm gehört. Vielleicht versuchte auch er mit unserer Trennung klarzukommen? Doch vielleicht hatte er schon längst wieder eine neue Freundin gefunden, die er seinen Eltern vorstellen konnte? Eine hübsche Blondine vielleicht, aus irgendeinem reichen Elternhaus? Wer konnte das schon wissen?
Als ich mich dabei ertappte, wie meine Gedanken zu dem Schauspieler abdrifteten, schaltete ich das Radio ein. Die Melodie von dem Lied, das gespielt wurde, war langsam und beruhigend. Ja, so könnte ich entspannt nach Hause fahren. Teilweise schaltete ich vollkommen ab und nahm die Lieder, die gespielt wurden, gar nicht wahr. Doch dieses Mal nicht. Mit genervter Miene verfolgte ich die Lyrics.
„Oh, I have seen your beauty grow. Where all this fade, you shine and glow. Our love will be legend, if we let it go, let it go ho-.". Blitzartig schaltete ich um... Verdammte Liebeslieder! Wer brauchte so etwas? ... Ich sicherlich nicht!
Doch auch das Lied, was auf dem anderen Sender gespielt wurde, fiel nicht gerade unter die Kategorie "Lieblingslied". Zumindest nicht jetzt. Nicht in dieser Zeit. Nicht nachdem ich gerade die Trennung überwunden hatte. „So maybe it's true that I can't live without you and maybe two is better than one. There's-.". Wieder schaltete ich um.
Auch auf dem anderen Sender wurde nichts besseres gespielt: „Kiss me like you wanna be lo-.". Ich schaltete das Radio mit einem Mal aus.
„Oh, das gibt es doch nicht!", fluchte ich und starrte wütend auf das ausgeschaltete Radio. Liefen denn nachts nur solche Lieder! Das war ja grauenhaft! Am liebsten hätte ich das Radio aus dem Amaturenbrett gerissen und während der Fahrt aus dem Fenster geschmissen! Aber nein, ich beherrschte mich... So lauschte ich bloß den Klängen des Motors und dem Fahrtwind, bis ich zu Hause ankam und den Wagen parkte.
Ich schnappte mir meine Sachen, schloss den Wagen ab und ging in den Hausflur hinein. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass ein Brief in meinem Briefkasten lag und nahm ihn heraus. Verwirrt blickte ich auf meinen Vornamen, der in sauberer Schreibschrift auf dem weißen Umschlag stand. Mit gerunzelter Stirn drehte ich den Brief um... Kein Absender. Komisch.
Da ich den Brief in Ruhe lesen wollte, ging ich in meine Wohnung. Achtlos ließ ich meine Tasche im Flur liegen und ging in mein Schlafzimmer. Dort angekommen warf ich den Brief achtlos auf die Matratze und zog mir Schuhe, Socken, Hose und Pullover aus.
Jensens T-Shirt, das Rolf vergessen hatte mitzunehmen, hatte all die Wochen in meinem Bett gelegen. Ich konnte mich einfach nicht davon trennen. So hatte ich mich dabei ertappt, wie ich des öfteren mit dem Kopf auf dem Shirt aufgewacht war. Scheinbar verzehrte sich mein Körper noch nach dem Schauspieler, auch wenn ich ihn in meinem Wachzustand aus meinen Gedanken verdrängte.
Ich seufzte und nahm das graue Stück Stoff in meine Hände. Wieder hielt ich es mir an die Nase. Dann streifte ich es mir einfach über und sah an mir hinunter. Es ging mir bis über den Po und verdeckte etwa die Hälfte meiner Oberschenkel. Kurz strich ich über den weichen Stoff und krabbelte dann ins kuschelige Bett, wo der Brief bereits auf mich wartete. Gespannt öffnete ich den Umschlag und zog das gefaltete, weiße Papier heraus. Ohne, dass ich bloß ein Wort gelesen hatte wusste ich, dass dieser Brief von Jensen stammte. Wer sonst würde mir einen handgeschriebenen Brief schreiben und ihn persönlich in meinen Briefkasten schmeißen?
Kurz überlegte ich, den Brief zu zerreißen. Was hätte das bringen sollen ihn zu lesen? Was hätte schon darin stehen können, sodass ich meine Meinung änderte und mich bei dem Schauspieler meldete? Aber die natürliche Neugierde siegte und so fand ich mich kurze Zeit später liegend auf meiner Matratze wieder, während ich gespannt die Zeilen entzifferte.

Liebe Phie,

ich weiß nicht wirklich, wieso ich diesen Brief schreibe. Wahrscheinlich hast du ihn bereits weggeschmissen, ohne ihn jemals gelesen zu haben. Solltest du das hier allerdings lesen, haben ich wohl mein Ziel erreicht. Und bitte, warte noch bis du diesen Brief zerreißt und lies weiter. Es gibt Dinge, die ich loswerden muss und ich hoffe, ich kann endlich loslassen, wenn ich das hier zu Ende geschrieben habe.
Zunächst tut es mir leid, dich in so eine Lage gebracht zu haben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass meine Eltern jemals so abweisend sein könnten. Es war wohl meine Schuld, weil ich dich vorher nicht gewarnt habe. Aber du sollst wissen, dass ich meine Meinung nicht geändert habe! Ich glaube immer noch, in gewisser Weise, an unser Glück. Meine Eltern müssten ja nichts von uns erfahren. Ich könnte das Haus verkaufen (auch wenn ich weiß, dass du dagegen sein würdest) und wir fangen irgendwo ein neues Leben an. Denn mir ist jetzt klar geworden, dass ich mir ein perfektes Leben nur mit dir vorstellen kann!
Ich weiß, wir kennen uns noch nicht so lange, aber was macht das schon aus? Obwohl du mich scheinbar versuchst aus deinem Leben zu verdrängen, weiß ich, dass dir die Zeit, die wir miteinander hatten, nicht egal war. Ich weiß, du hast sie genauso genossen wie ich und ich fände es schade, diese Zeit einfach so wegzuschmeißen.
Alles worum ich dich bitte ist, noch einmal mit mir zu reden. Persönlich. Ich möchte dir noch so vieles sagen, was ich dir nicht über diesen Brief mitteilen möchte. Momentan bin ich für einige Wochen hier in Dallas. Nicht privat, sondern beruflich, falls du denkst, ich würde dich jetzt anfangen zu stalken oder ähnliches. Falls du mir den Gefallen tust und noch einmal mit mir reden willst, hast du ja meine Nummer. Du kannst auch auf dem Campingplatz vorbeikommen, auf dem wir solange wohnen. Die Adresse lautet: "7200 R.L. Thronton Fwy". Unser Teil, für die Filmcrew und die Schauspieler, wurde abgesperrt, also wenn du an dem Fördner vorbei willst, musst du bloß deinen Namen sagen, ich habe ihn gebeten dich reinzulassen.

Ich hoffe, wir reden noch einmal miteinander.

In Liebe
Jensen"

Ich schluckte hart und legte den Brief neben mich auf das Kopfkissen. Jensen erging es also wie mir. All das mit uns war also nicht spurlos an ihm vorbeigewichen. Doch das hatte Rolf ja schon erwähnt gehabt. Er wollte also kämpfen... Allerdings wusste ich nicht ganz, was ich davon halten sollte. Und ich wusste auch nicht, was ich tun sollte... Während ich so überlegte und überlegte und überlegte, fiel ich schließlich in einen leichten Schlaf.

Wie Rome und JuliaWhere stories live. Discover now