Der nächste Tag

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Der nächste Tag kam schneller als erwartet. Ich hatte mir gerade die Haare geföhnt und sie zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, als es schon an der Tür klingelte. In meinem Magen breitete sich ein Grummeln aus, als ich vom Bad aus hörte, wie Alec die Tür öffnete und unsere beiden Besucher begrüßte.
„Wo ist denn deine Schwester?", hörte ich Rolf fragen.
„Sie will sich bestimmt bloß vor der Arbeit drücken.", fügte Jensen hinzu und ich malte mir vor Augen, wie er provozierend lächelte.
„Sie ist noch oben im Bad.", antwortete Alec. „Aber wir können ja schon mal im Wohnzimmer anfangen.". Indem hörte ich Schritte, die sich entfernten.
Flink betrachtete ich mich noch einmal im Spiegel. Nervös zupfte ich an den paar losen Haarsträhnen herum und strich den Stoff meines dunkelroten Pullovers glatt. Erst dann wagte ich es aus dem Bad zu treten und huschte die Steintreppen hinunter. Tatsächlich traf ich alle drei Männer im Wohnzimmer an, hatte aber bloß Augen für einen: Jensen. Er sah in seiner schwarzen Jogginghose und dem ebenfalls schwarzen Hoodie ziemlich jugendlich aus. Ansonsten sah er wie vor einem Tag aus: Strubbelige, kurze Haare, wache, grüne Augen und ein männlicher Drei-Tage-Bart. Hätte ich gekonnt, dann hätte ich ihn einfach bloß stundenlang angestarrt, doch Rolf hatte mich bereits entdeckt.
„Da ist sie ja.", meinte er und breitete seine Arme aus.
Ich ließ mich lächelnd auf die Bärenumarmung ein. Er wiegte mich kurz hin und her und löste sich dann von mir. „Du wirst jeden Tag schöner.", meinte er und ließ dann ganz von mir ab.
Dieser Kommentar reichte aus, um mir rosige Wangen zu verschaffen, doch als mich Jensen dann noch mit diesem perfekten Lächeln ansah und mich zur Begrüßung kurz umarmte, lief ich rot an. Sein würziger Duft machte es mir nicht leicht mich zu konzentrieren, doch ich riss mich zusammen.
„Also.", meinte ich. „Womit fangen wir an?".
Alec deutete mit dem Daumen auf das leere Bücherregal, das gleich neben der Wohnwand stand. „Damit, würde ich sagen.", beantwortete er meine Frage.
„Na dann auf geht's.", meinte Jensen voller Tatendrang und klatschte einmal in die Hände. Es dauerte keine zehn Minuten, da war das Regal auch schon auseinandergebaut und konnte in Großonkel Rolfs alten Pickup verladen werden. Die starken Männer griffen sich die größeren Holzplatten – wie Gentlemen. Ich hingegen nahm die Kleineren, die deutlich leichter waren, aber dennoch ziemlich schwer.
„Na, kannst du noch?", fragte Jensen, als wir beide alleine im Wohnzimmer waren, da die beiden anderen gerade die ersten sechs Holzplatten auf dem Pickup sortierten.
„Natürlich.", erwiderte ich und hob die nächste Holzplatte an. „Du auch?".
„Klar, aber-.", er hielt inne, griff nach dem Saum seines Hoodies und zog ihn sich in einer flüssigen Bewegung über den Kopf. Darunter trug er ein einfaches, graues T-Shirt. „es ist ziemlich warm.", beendete er den Satz und schmiss den Hoodie achtlos auf die Couch.
Ich schluckte. Ja und jetzt ist es noch wärmer geworden, dachte ich. Wie hypnotisiert beobachtete ich seinen beachtlichen Bizeps, als er eine weitere Platte hochhob und dann nach draußen verschwand. Wahrscheinlich hatte er das absichtlich getan. Doch ich ließ mich nicht beirren. Ich atmete tief ein und aus und trat dann ebenfalls nach draußen, wo mir Alec die Platte abnahm und auf dem Auto verlud.
„Da sind noch zwei Stück.", meinte Jensen und hievte die Holzplatte hoch, die mit einem lauten Scheppern auf den anderen Regalteilen landete.
„Okay.", meinte mein Bruder etwas außer Atem. „Rolf und ich holen noch die beiden Platten und ihr zwei holt die kleinen Nachttische aus dem Gästezimmer.".
Gesagt, getan. Jensen und ich liefen die Treppe hinauf. Als wir in dem Zimmer ankamen, steuerte ich gezielt auf die kleinen Tische zu, die wir lediglich an den Rand geschoben hatten. Ich war gerade dabei den Ersten hochzuheben, als Jensen ein belustigtes, kehliges Lachen von sich gab.
„Das scheint wohl dein Zimmer zu sein.", hörte ich sagen und drehte mich verwirrt zu ihm um. Voller Scham musste ich mit ansehen, wie er einen meiner BHs von dem gemachten Bett hob und ihn amüsiert zwischen seinen Fingern baumeln ließ. Ich hatte vergessen ihn wegzuräumen! „Steht dir bestimmt gut.", meinte er, bevor ich ihm das schwarze Stückchen Stoff aus der Hand riss und mit hochroten Kopf in den Koffer schmiss.
Ohne auf seine Neckerei einzugehen, schnappte ich mir den Nachttisch und lug ihn wenig später auf den Pickup. Der Schauspieler tat es mir gleich.
Alec und Rolf hatten sich währenddessen die Schreibtischplatte geschnappt und verluden sie – mit den beiden metallischen Schreibtischbeinen – in Dustins SUV, da es auf dem Pickup bereits zu voll war.
„Ich denke, wir sollten das schon mal zur Kippe bringen.", meinte Alec zu Rolf, der bloß nickte. Daraufhin wandte sich mein Bruder an Jensen und mich. „Ihr könnt ja schon mal Kaffee aufsetzen. Den Rest machen wir dann später.".
Indem stiegen die beiden Männer in ihre Wagen und ließen Jensen und mich alleine zurück.

Wie Rome und JuliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt