Neunundzwanzig

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Es waren schon mehrere Tage vergangen. Gemeinsam mit Tom hatten wir die Zellen wieder aufgeräumt und die toten Körper einfach über Bord geschmissen. So wohl war mir dabei nicht. Immerhin hatten diese Menschen auch ein Recht auf ein Grab, doch Tom meinte, dass es uns nicht zu interessieren hat. Ich befolgte also stumm seine Anweisung.

Ich machte mir immer mehr Gedanken um Bill. Er war einfach in die dunkle raue See gesprungen. Ob er überlebt hatte? Er meinte ja, er würde wiederkommen. Aber wie sollte er so lange auf dem Meer überleben. In unserer Nähe war weit und breit kein Schiff. Und vorher hatte er auch noch alle Piraten in den Zellen umgebracht, weil sie nicht stark genug waren. Ich schüttelte mich und bekam eine Gänsehaut. Das ist schrecklich. Wie kann man nur seine eigenen Leute umbringen? Ich stockte. Okay, Bill wollte auch mich umbringen und ich hab fast meine ganzes Leben mit ihm verbracht.

Tom und ich hatten mal wieder die Nachtschicht. Ich hatte mich auf die Reling gesetzt und ließ meine Füße baumeln. Unter mir sah ich das Meer. Auf einer kleinen Holzkiste neben mir, stand eine kleine Laterne, die uns ein bisschen Licht spendete. Somit hatte ich Tom wieder das Steuer überlassen.

„Was wäre wenn ich dich jetzt schubsen würde.", sagte Tom lachend. Ich guckte ihn an. Er lehnte am Steuerrad, eine Hand in die Hüfte gestemmt. „Ich würde schwimmen.", meinte ich nur und lächelte ihn an. Langsam kam er auf mich zu. Wollte er mich jetzt wirklich schubsen?

Doch er legte nur seine Arme um mich und umarmte mich somit von hinten, legte sein Kinn auf meinem Kopf ab. Ich schloss die Augen. Das fühlte sich so verdammt gut an. Tom begann leise vor sich hin zu summen und ich lehnte mich noch mehr gegen seine Brust.

„Das ist so schön.", flüsterte ich. „Ja.", flüsterte Tom zurück. „Genau wie du." Ich musste Lächeln. Zum Glück konnte er jetzt nicht sehen, dass ich rot wurde. Tom gab mir einen Kuss auf den Scheitel, ließ mich dann vorsichtig los und ging zurück zum Steuerrad um unseren Kurs zu korrigieren.

Immer mal wieder haben wir unsere Positionen getauscht, dann stand ich am Steuer, oder Tom lief einmal über das Deck um zu gucken ob dort alles gut war.
Zu Sonnenaufgang kam dann unsere Ablöse und wir gingen zusammen in das Zimmer von Tom.

„Heute wird nicht geschlafen.", meinte Tom, als ich mich todmüde auf das Bett fallen ließ. Ich guckte ihn fragend an. „Wir gehen an Land.", meinte er nur und schmiss du h selber in seine Hängematte, die im Zimmer baumelte. „Können das nicht andere machen?", fragte ich nur. Ich wollte nur noch schlafen. Tom lachte. „Glaub mir. Du willst mit."
Ich zog die Augenbrauen zusammen. Alles klar?!

Neugierig machte ich mich also mit Tom wieder auf den Weg an Deck. „Guck mal." Tom zeigte in die Ferne und ich konnte es kaum glauben. Mit schnellen Schritten lief ich zur Reling und fiel diese fast hinunter, da ich mich so weit vorgebeugt hatte, doch Toms fester griff um meine Taille zog mich zurück. Stürmisch drehte ich mich um und umarmte ihn mindestens genauso stürmisch, dann drehte ich mich wieder um.

Es sah alles so verdammt vertraut aus. Die kleine Insel, die man von weitem sehen konnte und der noch kleine Harfen an dem wir gleich anlegen würden. Ich erkannte alles wieder, jeden Stein, jeden Baum, jeden einzelnen Sandkorn. Nichts hatte sich verändert, seitdem ich hier auf das Schiff gelaufen bin und dann in die Wellen gestürzt wurde. Hier war mein zuhause gewesen.
Jetzt bekam ich den nächsten Gedanken. „Ich werde Vater Wiedersehen." Ich strahlte bis über beide Ohren und musste noch einmal Tom umarmen. Dann fuhren wir in den Harfen ein und legten am Ufer an.

Ich konnte es gar nicht mehr abwarten. Meine Müdigkeit war wie weggeblasen. Ich wollte nur noch an Land. Tom musste mich zurückhalten sonst wäre ich sofort über die Reling gesprungen.

Nur er und ich gingen an Land. Die anderen warteten auf dem Schiff. Tom meinte es wäre besser so.

Seit Wochen das erste mal betrat ich Land. Es fühlte sich komisch an. Ich hatte mich schon so an die Sharifa gewöhnt, dass es komisch war, wenn ich mal kein Wasser unter meinen Füßen hatte. Neben mir betrat Tom das Land. Ihm schien es ähnlich zu gehen. „Komm." Ich hielt ihm meine Hand hin und zog ihn mit mir mit.

Hand in Hand liegen wir über den Marktplatz. Hier hatte ich immer essen gekauft, für mich und meinen Vater wenn wir mal genügend Geld hatten. Ich zog Tom weiter durch die Gassen. „Du wirst sehen. Mein Vater ist ein herzensguter Mensch. Er wird dich mögen." Tom lachte. „Da bin ich mir gar nicht so sicher." Ich guckte ihn böse an. „Du bist kein schlechter Mensch, Tom." Ich starrte ihn eine ganze Weile an. „Na, komm. Die Schmiede von meinem Vater ist gleich da drüben." Ich zog ihn weiter.

Wir blieben vor dem kleinen Häuschen stehen. Plötzlich bekam ich es mit der Angst zu tun. Was, wenn mein Vater mich gar nicht mehr sehen will? „Hey, du kannst das.", flüsterte Tom mir zu. Er hat recht! Ich straffte meine Schultern und atmete einmal tief durch. Dann betrat ich die Schmiede.

„Vater? Hallo? Ich bin es, Lucia!", rief ich immer wieder, doch ich bekam keine Antwort. Ich guckte unsicher zu Tom. Dann rief ich noch mal. „Hallo? Vater?" Ein junger Mann kam mir entgegen. „Wer sind die? Wo ist mein Vater?", brachte ich nur heraus und kam bedrohlich auf ihn zu. Was hatte er mit meinem Vater gemacht? Warum war er nicht hier?

Der Mann starte mich eine Zeit lang nur an. „Warte, du bist Lucia.", meinte er dann nur. Ich nickte. „Ja, wo ist mein Vater?" Der junge Mann kratzte sich am Hinterkopf. „Ich habe seine Schmiede übernommen. Dein Vater war krank vor Sorge, als du noch nach Hause gekommen bist. Er hat alles versucht du h wiederzufinden." Ich schluckte. „Das beantwortet nicht meine Frage. Wo ist er?"

Als ich die nächsten Worte hörte. Musste ich weinen. Ich drehte mich zu Tom um und begann bitterlich zu weinen.

„Er ist nicht mehr da, Lucia. Er ist an Kummer gestorben. Du hast ihm so gefehlt. Er ist tot."

Logbuch einer SchiffbrüchigenWhere stories live. Discover now