Kapitel 55

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"Wieso ohne sie leben?", fragte Kuro mich verwirrt. Ausdruckslos sah ich den tattoowierten Hexer an.

"Sie ist nicht tot", meldete sich nun auch Broin zu Wort, "Sie wäre fast gestorben, aber sie ist es nicht. Sie war stärker als Asmoday. Luna hat ihn getötet, aber sie hat all ihre Kraft verwendet."

"Aber wenn sie all ihre Kraft verwendet hat, dann ist sie tot", meinte Ari, "Sie kann als Hexe nicht ohne ihre Magie leben."

"Aber ihr Gefährte hat doch noch Magie", sagte Sapientia verdattert und sah mich auffordernd an.

"Was soll ich denn machen? Sie ist tot", antwortete ich barsch unter Tränen. Ich brauchte nicht schon wieder irgendwelche Menschen, die mir versuchten Hoffnung zu geben. Es tat jedes Mal nur wieder mehr weh, wenn diese Hoffnungen schon wieder zerstört wurden. Luna war tot und fertig.

"Nur ihre Magie, aber hast du sie nicht schon ein Mal gerettet. Du musst eure Verbindung wieder herstellen", erklärte Kuro, als wäre es das einfachste der Welt.

"Wie soll ich das bitte anstellen?!", zischte ich aufgebracht, "Damals war sie am Leben und hatte ihre Magie noch. Sie war bloß in einem Koma. Und damals hat sie mich dafür gehasst, dass ich mich einfach mit ihr verbunden habe."

"Aber jetzt ist es etwas anderes!", erklärte Kuro schnaubend und verdrehte die Augen, "Damals war sie noch nicht bereit für eine Verbindung zu dir, ihrem Seelengefährten, aber jetzt ist das etwas anderes. Alles, was sie getan hat, drehte sich nur noch um dich. Darum endlich wieder mit dir zusammen sein zu können. Mit dir eine Zukunft zu haben. Mit Hochzeit, Kindern und so einem Schrott. Sie wollte Asmoday unbedingt besiegt, aber nicht nur, um sich selbst zu schützen oder um Broin zu befreien, sondern um mit dir endlich eine Zukunft in Frieden zu verbringen!"

Flehend sah mich der Hexer an.

"Sie ist meine beste Freundin und deine Gefährtin! Bitte lass sie nicht sterben", flüsterte Kuro bittend.

"Und wie soll ich das Bitteschön anstellen?", gab ich mich geschlagen und sah dabei auffordernd in die Runde. Damals die Verbindung zu schließen, war etwas ganz anderes als jetzt.

"Zara hat damals die Verbindung gelöst", murmelte Nova vor sich hin, "Luna hat mir davon erzählt, als sie bei uns war. -"

"Als sie bei euch war?!", knurrend unterbrach ich meine Schwester, "Was soll das denn bitte heißen."

"Wo hätte sie sich denn bitte sonst, vor dir, verstecken sollen!", rief meine Mutter jetzt aufgeregt dazwischen und funkelte mich böse an.

"Du hast geholfen meine Gefährtin vor mir zu verstecken!", brüllte ich sie an.

"Rede nicht so mit deiner Mutter!", fuhr jetzt mein Vater mich an.

"Willst du jetzt wissen, wie du ihr helfen kannst oder dich weiter mit deiner Familie streiten?!", unterbrach Kuro uns genervt. Ich warf meinen Eltern einen letzten wütenden Blick zu bevor ich mich wieder auf meine Schwester konzentrierte.

"Sie hat mir gesagt, dass ein einziger Kuss ausreichen würde, um die Verbindung wieder herzustellen", vollendete Nova ihre Erklärung.

"Soll ich jetzt meine tote Gefährtin küssen?", fragte ich verwirrt nach. Energisch nickte meine Schwester. "Ich bin doch nicht der Prinz und sie Schneewittchen!"

"Dann bleibt sie halt tot", zuckte Kuro mit den Schultern, "Ich ruf dann schon mal einen Bestatter an. Ihre Lieblingsblumen waren Pfingstrosen, wenn ich mich recht erinnere. Ich hoffe die bekommt man um diese Jahreszeit, damit die Beerdigung auch wirklich auf sie zugeschnitten ist."

Wütend stand ich auf und lief, mit Luna im Arm, hoch in mein ausgewähltes Schlafzimmer für die Zeit, die ich im Rudel war. Ganz vorsichtig legte ich Luna auf dem Bett ab und legte mich neben sie.

"Das ist so ziemlich das seltsamste, was ich jemals mit dir tun werde", flüsterte ich ihr zu, bevor ich sanft meine Lippen auf ihre legte. Ich konnte nur hoffen, dass es klappen würde. Ansonsten würde sich diese Schneewittchenszene ganz schnell in die Finaleszene von Romeo und Julia verwandeln.

Ich entfernte mich wieder von meiner Gefährtin und sah sie einfach nur an. Wie sie da so lag, sah es wirklich so aus, als würde sie bloß schlafen.

"Bitte, lass mich hier nicht alleine", flüsterte ich ihr zu.

Wieder fingen die Tränen, von denen ich gedacht hatte, dass sie versiegt wären, an über meine Wangen zu gleiten. Erschöpft drehte ich mich auf meinen Rücken und starrte an die Decke. Die Anstrengung der letzten Tage brach über mich zusammen und ich schlief einfach neben Luna ein.

Ein vorsichtiges Klopfen an der Tür ließ mich aus meinem unruhigen Schlaf empor schrecken. Sofort sah ich neben mich, aber Luna lag immer noch genauso neben mir, wie ich sie dort hingelegt hatte. Seufzend stand ich auf und lief zur Tür.

Vor der Tür standen Joris und Jonah.

"Ist sie aufgewacht?", fragte Jonah vorsichtig. Enttäuscht ließ ich den Kopf hängen und schüttelte ihn.

"Vielleicht wacht sie noch auf", meinte Joris und lächelte mir aufmunternd zu, "Gib ihrem Körper noch etwas mehr Zeit, um sich wieder an die Verbindung zu gewöhnen."

"Ihr Körper gewöhnt sich nicht an die Verbindung", flüsterte ich geschlagen.

"Sag so etwas doch nicht", versuchte Joris mich aufzumuntern.

"Nein, das ist mein Ernst. Ich spüre sie nicht, wenn da eine Verbindung wieder zwischen unseren Seelen entstehen würde, würde ich sie spüren", erklärte ich, "Glaub mir, ich würde es mir auch mehr als alles andere auf der Welt wünschen, aber da ist nichts. Normalerweise müsste ich ihre Gedanken hören, ich müsste spüren, dass sie hinter mir in diesem Bett liegt und ich müsste genau wissen, wo es ihr weh tut, wo sie Schmerzen durch den Kampf mit Asmoday hat. Aber ich spüre einfach weiterhin nur diese schwarze, alles einnehmende Leere in mir drin."

"Sie braucht einfach noch ein bisschen", versuchte auch Jonah mich zu beruhigen.

"Hörst du mir nicht zu!", brüllte ich meinen Bruder an, "Sie ist weg. Sie ist endgültig weg! Du siehst sie dort doch liegen! Hörst du einen Herzschlag? Hörst du ihr atmen?! Hörst du irgendetwas, dass darauf hinweist, dass sie noch am Leben ist oder wieder zurück zu uns kommt?! Sie ist tot! Akzeptier es. Ihr müsst es alle akzeptieren. Luna hat Asmoday besiegt, aber den Preis dafür musste sie mit ihrem Leben zahlen!"

Schluchzend drehte ich mich um und sah zu meiner wunderschönen Gefährtin, die immer noch wie schlafend auf dem Bett lag. Ich hörte, wie meine Brüder uns wieder allein ließen und die Tür hinter sich schlossen. Tränen kamen mir nicht mehr über die Wangen. Ich achtete nicht mehr auf meine Brüder, als ich zum Bett lief und mich daneben kniete. Sofort griff ich nach Lunas zierlicher Hand und umschloss sie fest, mit meinen eigenen. Meine Stirn bettete ich neben ihr, auf der Matratze.

Wie konnte alles nur so schief laufen?

Die dunkle HexeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt