6 | 30. Kapitel

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Bereits auf meinem Weg die Wendeltreppe hinauf, hörte ich den unmittelbaren Beweis, dass unser Plan aufgegangen war. Eine Hand auf dem Treppengeländer griff ich mit der anderen an das Medaillon an meinem Hals. Ich war auf dem besten Weg, meinen Eltern gleich die größte Enttäuschung ihres Lebens zu bescheren. Egal aus welchen Gründen ich es tat. Der Name Potter würde von mir in den Schmutz gezogen werden, sollte jemals meine wahre Abstammung ans Licht kommen.

Während ich mein Bestmögliches tat, um die lauter werdenden Schreie hinter mir zu ignorieren, lauschte ich nach oben: "Wie auch immer, es bleibt wenig Zeit", sagte Dumbledore gerade. "Also lassen Sie uns über Ihre Möglichkeiten sprechen, Draco."

"Meine Möglichkeiten?", entgegnete mein Verlobter laut und seine Stimme hallte mir entgegen. Ein ehrlicher Tonfall unterdrückter Emotionen schwang in ihr mit, den ich selbst nur selten bei ihm gehört hatte. "Ich stehe hier mit einem Zauberstab - ich werde Sie gleich töten - "

Ich verlangsamte meine Schritte. Beinahe direkt unterhalb des Plateaus angekommen, konnte ich die blassen, faltigen Züge des Schulleiters erkennen. Er lehnte gegen die Reling des Turms, seine Gestalt seltsam zusammengekrümmt. Von hinten trieb ihm der Wind sein Haar ins Gesicht. Trotz der Situation strahlte er eine unheimliche Ruhe aus. "Wir sollten uns da nichts mehr vormachen, mein Lieber. Wenn Sie mich hätten töten wollen, hätten Sie es getan, als Sie mich mit Ihrem Zauber entwaffnet hatten. Sie hätten sich nicht durch diese vergnügliche Plauderei über Mittel und Wege aufhalten lassen."

"Ich habe keine Wahl!" Dracos Stimme versagte beinahe und schnürte mir die Kehle zu. "Ich muss es tun! Er bringt mich um! Er bringt meine ganze Familie um!"

"Er wird sie umbringen", sagte Dumbledore leise. Die Anspielung war offensichtlich. Es hätte mich nicht einmal gewundert, wenn er in diesem Moment zu mir hinuntergeschaut hätte. "Mir ist bewusst, wie schwierig Ihre Lage ist. Warum sonst habe ich Sie nicht längst schon zur Rede gestellt? Weil ich wusste, man würde sie beide ermorden, wenn Lord Voldemort merken würde, dass ich Sie verdächtige."

Mein Weg führte mich einige weitere Stufen hinauf. Inzwischen war ich beinahe auf einer Ebene mit ihnen und sah dadurch, dass mein Verlobter bei der Erwähnung des Namens zusammenzuckte.

"Ich habe es nicht gewagt, mit Ihnen über die Mission zu reden, von der ich wusste, denn er hatte womöglich Legilimentik gegen Sie eingesetzt", fuhr der Schulleiter fort. "Aber jetzt können wir endlich offen miteinander reden - es ist kein Schaden verursacht worden, Sie haben niemanden verletzt, auch wenn Sie von großem Glück reden können, dass Ihre unbeabsichtigten Opfer überlebt haben. Ich kann Ihnen helfen, Draco."

"Nein, das können Sie nicht." Beinahe schmerzhaft bohrte sich das Ebenholz meines Stabes in meine Handfläche. In der Hoffnung, mir so selbst Mut zuzusprechen, hielt ich ihn fest umklammert. Die Szene, die sich mir nun in ihrer vollen Größe auftat, brachte mich beinahe zum Schwanken.

Draco bedrohte Dumbledore, den größten Zauberer unserer Zeit, mit seinem Zauberstab. Im grünlichen Licht des Schädels über uns konnte ich seine Hand beben sehen.

"Niemand kann das", sagte ich und drückte die Schultern durch. "Er hat mir befohlen, es zu tun, oder er wird uns töten. Ich habe keine Wahl", wiederholte ich die Worte, die auch der blonde Slytherin eben gesprochen hatte.

Die stechenden blauen Augen über den halbmondförmigen Brillengläsern schienen mich zu röntgen. Konträr zu dieser Situation lag keine Angst in ihnen. Da waren vielmehr Güte. Und eine Spur Neugierde, die ich mir nicht erklären konnte. Doch obwohl ich gleichzeitig meine Okklumentikschilde um mich herum hochzog, folgte anders als sonst kein Angriff auf meinen Geist.

Mühevoll unterdrückte ich ein Stirnrunzeln. Was bezweckte er damit?

"Sie sind uns gnadenlos ausgeliefert "

Ich beachtete die Worte meines Verlobten kaum, hatte im Gegensatz zu ihm meine Waffe noch keinen Millimeter gehoben. Intensiv betrachtete ich den Schulleiter, der in diesem Moment leise sagte: "Nein, Draco. Es ist meine Gnade und nicht Ihre, die jetzt entscheidend ist."

Seine Aussage stiftete Verwirrung in mir. Mein Freund unterdessen schwieg und ich meinte, seine Hand aus dem Augenwinkel minimal sinken zu sehen, obwohl ich meinen Blick fest auf den Zauberer vor uns gerichtet hatte.

Gelassene erwiderte er meinen Blick. "Vielleicht liegt es auch an deiner Gnade."

"Die habe ich nicht." Es fühlte sich unmöglich an, das zu sagen, aber noch schwerer fiel es mir, daraufhin das Kinn zu recken. Die anderen konnten nicht mehr weit sein. Mit einer anderen Reaktion würde ich aus der Rolle fallen. Dass mich zudem Tränen in der Nase kitzelten, machte die Situation noch schwerer. Langsam zwang ich mich, den Zauberstab auf ihn zu richten. Nur zwei Worte trennten mich von der Erfüllung meiner Aufgabe und dem trügerischen Gefühl, mich und Draco in Frieden zu wiegen.

Eine Hand legte sich auf meinen Rücken. Ich wusste, dass sie Draco gehörte. Auch Dumbledore war diese Geste nicht entgangen. "Würdest du mir eine letzte Frage beantworten?", fragte er. Wie er zusammengesunken am Geländer hockte, wirkte er uralt.

"Ich werde Sie nicht daran hindern können, diese zu stellen", presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Unter anderem Umständen war ich mir sicher, er hätte geschmunzelt. Doch der Abend war zu ernst für Freude. Alleine das dunkle Mal über unseren Köpfen wirkte wie ein riesiges Mahnmal. "Du hast dir sicher schon gedacht, dass ich seit langem Vermutungen über deine Person anstelle. Allerdings hat dein Vater bisher sämtliche Fragen abgeblockt." Die Art wie er Vater betonte, ließ mich die Richtung seiner Worte bereits erahnen. Ich versteifte mich und konnte mir nur mit Mühe einen Blick über die Schulter verkneifen, um mich zu versichern, dass wir weiterhin alleine waren. Nach wie vor erklangen Schreie von unten, die allerdings in den letzten Minuten lauter geworden waren. "Liege ich richtig in der Annahme, dass du nicht den Namen Caitlyn Snape trägst?"

Ich schwieg. Er schien es als Bestätigung aufzufassen.

"Bitte hab Erbarmen mit einem alten Mann und lass ihn nicht in Unwissen sterben", sagte er leise. "Habe ich recht, wenn ich dich mit dem Namen Mariah Elisabeth Potter anspreche? Bist du die verschollene Schwester von Harry Potter?"

Unwillig presste ich die Lippen zusammen. Auf genau die Art, wie Professor McGonagall es mit Vorliebe tat. "Sie wussten es also die ganze Zeit?"

Ein flüchtiger Ausdruck tiefster Zufriedenheit huschte über seine Züge. Er verschwand so rasch wieder, dass ich mir nicht sicher war, ob es nicht doch nur eine Sinnestäuschung darstellte. Bevor ich mich versichern konnte, knallte unter uns eine Tür auf. Polternde Schritte erklangen auf der Wendeltreppe. Wir hatten den Kampf unten gewonnen. Das Wissen hinterließ einen faden Beigeschmack in meinem Mund.

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt