6 | 2. Kapitel

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"Du hast demnach meinen Brief an Lupin überbracht?" Ich sah hinüber zu meiner eigenen Eule. Sie blinzelte zurück. "Wieso hat er dir nicht einfach die Antwort mitgegeben?" Als der Vogel nur noch wenige Meter von meinem Fenster entfernt war, öffnete ich es und trat zur Seite. 

Feine Wassertröpfchen sprühten mir ins Gesicht, als die Eule eine kleine Runde durch mein Zimmer drehte und sich letztendlich auf der Lehne meines Schreibtischstuhls niederließ. Es war nicht Hedwig. Jedes Mal, wenn sie im Verlauf der letzten paar Wochen zu mir gekommen war, hatte sie einen weiteren Brief meines Bruders dabeigehabt, die ich zwar alle gelesen, aber schlussendlich unten ins Kaminfeuer geworfen hatte. Noch immer hatte er nicht den blassesten Schimmer, in welchem Verhältnis ich zu ihm stand, sah mich einzig als eine Freundin. Zum Teil hatte er es mir wirklich schwer gemacht, ihn weiterhin in diesem Zustand des Unwissens zu belassen.

Zumal er irgendwie im Moment der Einzige war, von dem ich irgendetwas hörte. Mein Ziehvater war den Großteil des Tages unterwegs und wenn er denn einmal hier war, verschanzte ich mich zumeist in meinem Zimmer. Sein Verrat wog in meinen Augen zu schwer, als dass wir die Dinge zwischen uns durch ein paar einfache Worte wieder ins Lot hätten rücken können. Mit Draco hatte ich seit Anfang der Ferien auch kaum mehr Kontakt gehabt.

Außerdem rückte der Tag X immer näher, was mich von Nacht zu Nacht schlechter schlafen ließ.

"Dann lass mal sehen, wer bist du denn?", fragte ich den unbekannten Waldkauz und nahm ihm vorsichtig den Brief aus dem Schnabel. Bei näherer Betrachtung wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich den Vogel irgendwoher kannte. Als ich auf das Siegel sah, wurde mir unwohl.

In roten Wachs gepresst prangte dort ganz deutlich das Wappen der Familie Malfoy. Auf der Vorderseite stand ganz formell meine vollständige Anschrift und der Name, unter dem ich aufgewachsen war. Also kein Versehen in der Zustellung. Der Brief war für mich, nicht für Severus Snape.

Mit bebenden Fingern brach ich das Siegel und schüttelte den Brief aus. Auf meinem Schreibtischstuhl begann sich der Kauz das Gefieder zu putzen, während ich zurück zu meinem Bett lief und mich schwer darauf niedersinken ließ. Verwirrt las ich die Wörter, verinnerlichte ihren Wortlaut und wurde doch nicht schlau aus ihnen.

Sehr geehrte Miss Caitlyn Snape,
hiermit bitte ich Sie, mir am Abend des 20. Augusts, im Rahmen eines gemeinsamen Dinners, ihre Aufwartung in Malfoy Manor zu machen. Bitte tragen Sie etwas, das dem Anlass angemessen ist. Meine Mutter, Narzissa Malfoy, wird Sie am selben Abend um achtzehn Uhr von ihrem derzeitigen Wohnort abholen.
Bitte bestätigen Sie mir in einer umgehenden Antwort ihre Zusage und den Erhalt des Briefes.
Hochachtungsvoll,
Mister Draco Lucius Malfoy

Was sollte ich mit einer derartig förmlichen Einladung anfangen? Welchen Anlass gab es für ein solches Schreiben? Und was verstand Draco bitte unter dem Anlass angemessener Kleidung? Zögerlich stand ich wieder auf, nahm mir eine Feder von meinem Schreibtisch und ein kleines Stückchen Pergament. Nachdenklich drehte ich meine Haare in meinem Nacken ein, dann schraubte ich das kleine Tintenfässchen auf. Die Versuchung war groß, einfach aus einer Trotzreaktion heraus mit einer Absage zu reagieren. 

Deutlich traten die Narben auf meinem linken Handrücken hervor, als ich diese zur Faust ballte. Das Armband an meinem Arm glitzerte im flackernden Licht der Kerze. Ich wusste, wem ich zu gehorchen hatte. Es war keine Schwäche, wenn ich jetzt zusagte, sondern meine eigene Entscheidung. Auch wenn Draco mir keine rechte Wahl ließ. Deshalb konnte ich jedoch später ein Hühnchen mit ihm rupfen.

"Weißt du was, Felyx, ich glaube, ich gehe etwas trinken", sagte ich seufzend, nachdem der Waldkauz wieder in die Kälte hinaus verschwunden war. Kurzentschlossen durchquerte ich den kleinen Raum und klaubte das schmale Stück Holz von meinem Nachttisch, ehe ich die schmale Treppe hinunter zur Küche wanderte.

Während ich mir ein Glas Wasser aus dem Leitungshahn zapfte, lauschte ich auf die altbekannten Worte, die in den vergangenen acht Wochen so gut wie jeden Tag mindestens einmal am Tag verlesen wurden und starrte aus dem kleinen, schmutzigen Fenster hinaus in die schmalen Gassen. Die Ernennung des neuen Zaubereiministers, Rufus Scrimgeour, hatte eine scharfe Wende in der Politik des Ministeriums verursacht und er war es wohl auch gewesen, der die konstanten Warnungen an die Bevölkerung veranlasst hatte. Als ob diese irgendetwas bringen würden.

Es waren Sicherheitsanweisungen, die Einzelpersonen vor Übergriffen der Todesser schützen sollten. Nur doof für die, die einfach in diese Angelegenheiten hineingeworfen wurden. So wie ich.

"Punkt fünf: Bei suspektem Veralten ihnen bekannter Personen, Familienangehöriger oder Kollegen, ist eine sofortige Verständigung des Kommandos für Magische Strafverfolgung erforderlich. Möglicherweise steht der oder die Betreffende unter dem Einfluss des Imperius-Fluchs.

Punkt sechs: Bei Erscheinen des Dunklen Mals über einem Wohnhaus oder einem anderen Gebäude, betreten Sie es nicht, sondern wenden Sie sich unverzüglich an das Aurorenbüro.

Punkt sieben: ..."

Entnervt schaltete ich das Radio aus, bevor ich mein Glas erneut mit Wasser füllte. Ich kannte diese Worte inzwischen eh fast auswendig. Ihre andauernde Wiederholung änderte daran nichts. Ehrlich gesagt bezweifelte ich außerdem, dass diese andauernden Warnungen zu mehr als einer Verbreitung der Angst führten, womit sie dem schwarzen Lord genau in die Hände spielten. Ich fröstelte. Vielleicht sollte ich doch wieder hinauf in mein Zimmer gehen und versuchen, noch etwas zu schlafen. Es war gerade halb fünf am Morgen.

Im Flur stehend, hörte ich erstmals die aus dem Wohnzimmer dringenden Stimmen. Ich erstarrte mitten in der Bewegung. Das waren nicht mein Vater. Ebenso wenig war es Wurmschwanz. Aus was für Gründen der dunkle Lord diese feige Ratte zu uns gesandt hatte, ich ging ihm bestmöglich aus dem Weg. Zu groß war die Angst davor, wie viel er damals im dritten Schuljahr mitbekommen hatte. Er war anwesend gewesen, während Sirius und Lupin ihre Andeutungen gemacht hatten. Wer wusste schon, ob er nicht auch beschlossen hatte, einen genaueren Blick auf mich zu werfen.

Doch die Stimme im Wohnzimmer war viel vertrauter, angesichts der Tatsache, dass sie mich bis in meine düstersten Albträume verfolgte. Mühsam widerstand ich dem Verlangen, mir an die Narbe auf meiner Wange zu greifen. Diese Genugtuung würde ich Bellatrix Lestrange niemals geben, nicht einmal dann, wenn sie mich nicht einmal sehen konnte.

"Du solltest stolz sein!", sagte sie gerade, einen stählernen Zug in der Stimme. "Wenn ich Söhne hätte, würde ich sie gerne für den Dienst am Dunklen Lord hingeben!"

Die Dielen knarrten leise, als ich näher schlich. Bitte, bitte, Vater, habe dieses eine Mal keine Ohren wie ein Luchs. Vielleicht war es aber auch der kleine Schrei der Verzweifelung einer weiteren Frau, der das Geräusch übertönte. Ich blieb unentdeckt.

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt