6 | 27. Kapitel

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Eine halbe Stunde später unten in der großen Halle bebten meine Finger noch immer. Ich hatte ihr Gesicht gesehen. Was hatte sie ausgerechnet heute im Raum der Wünsche vorgehabt? Wie war sie hineingelangt? "Ich habe eine Lehrerin angegriffen", murmelte ich und hielt Draco halb am Arm zurück, bevor er sich neben seine Gorillas fallen lassen konnte. Mein Innerstes fühlte sich taub an. Wirklich realisieren konnte ich meine Taten nicht. "Ich habe Professor Trelawney angegriffen."

Mein Verlobter richtete sich wieder auf und umfing mein Kinn mit zwei schmalen Fingern. Das siegessichere Grinsen machte einem besorgten Zug um seine Lippen Platz. "Reiß dich zusammen, Mary."

Mein Blick glitt hinauf zum Lehrertisch. Der Platz der Wahrsagelehrerin war leer. Was hatte ich überhaupt für einen Zauber gewirkt? "Wie konnte ich?"

"Hey." Der Druck um mein Kinn wurde schmerzhaft fest. "So kenne ich dich gar nicht. Es war notwendig. Du darfst dir keine Vorwürfe machen!"

Tief durchatmend schloss ich für einen Moment die Augen, um dem stählernen Blick seiner grauen Augen zu entfliehen und neigte den Kopf. "Du hast recht", flüsterte ich. Wenn ich jetzt schon derartig ausrastete, konnte ich die Erfüllung meiner Aufgabe vergessen. "Vermutlich vergesse ich einfach hin und wieder, dass mein Name Caitlyn Snape lautet."

"Nehmt euch ein Zimmer!", johlte in diesem Moment Blaise Zabini, der sich demonstrativ an uns vorbeiquetschte, um sich an der Tafel der Slytherins niederzulassen. "Das ist ja ekelhaft euch zuzuschauen."

"Schau weg", fuhr ich ihn an, löste mich trotzdem von meinem Verlobten, um mich ebenfalls hinzusetzen. Als ich nach der Schale mit den Bratkartoffeln griff, begegnete ich Noreens Blick. Ihre Stirn war gerunzelt. "Was ist los?"

Ihre Augen zuckten zu Draco hinüber, ehe sie wieder auf mir verweilten. Sie biss sich auf die Unterlippe. "Sieh dich um", flüsterte sie. Eigentlich hätte ich sie über den Lärm der Halle kaum hören dürfen, höchstens ihre Lippenbewegungen erahnen können, doch zu meinem eigenen Erstaunen war es erstaunlich ruhig in der großen Halle. Das übliche Stimmengewirr war gedämpfter als üblich, schien sich dem Hall, der normalerweise hier drinnen herrschte, widersetzen zu wollen.

Vermutlich wäre es mir nicht aufgefallen. Vielleicht war es die Trunkenheit des Erfolgs, den wir soeben erlebt hatten, der sich noch immer auf meine Sinne niederschlug, wenngleich durch den Zwischenfall danach deutlich gemindert. Mir waren die Blicke aufgefallen, die zwischen einzelnen Schülern gewechselt wurden. Da ein Ravenclaw, der sich auf beinahe schon unschuldig, überhebliche Art die Krawatte richtete, und am nächsten Tisch eine Hufflepuff, die wie beiläufig den Kopf neigte, wie um ihr Verständnis auszudrücken.

Wie meine Freundin mir aufgetragen hatte, ließ ich die Augen an den Tischen entlang schweifen. Selbst jetzt fiel es mir auf. Die wachsamen Blicke von Schülern, stumme Verständigung unter den Häusern mit Ausschluss meines eigenen. Vorsichtig spähte ich über meine Schulter. Kundschaftete den Gryffindortisch aus, auf der Suche nach einem einzelnen Jungen mit strubbeligem schwarzem Haar in Begleitung seiner zwei besten Freunde.

Ron fand ich. Hermine sah just in diesem Moment sogar zu mir herüber, weshalb ich rasch wieder den Kopf nach vorne wandte. "Harry ist nicht da."

Die Blonde mir gegenüber wies mit einem unauffälligen Seitenblick hinauf zum Lehrertisch. "Dumbledore auch nicht."

Abermals folgte ich ihrem Hinweis. Tatsächlich war außer Trelawneys Stuhl noch ein weiterer unbesetzt. Der Größte von ihnen. Direkt in der Mitte der Tafel zierte ihn sein Besitzer mit Abwesenheit. McGonagall auf dem Platz daneben saß seltsam angespannt und hielt die Lippen zu einem so festen Strich zusammengepresst, dass ich daran zweifelte, ob sie heute Abend plante, überhaupt noch etwas zu sich zu nehmen.

Auch mir war der Appetit in der Zwischenzeit vergangen. Die Bratkartoffel in meinem Mund schmeckte mit einem Mal fade, obgleich die Hauselfen bei ihrem Job wie gewohnt Bestleistung erbracht hatten. Das Schlucken fiel mir schwer und als ich abermals den Inhalt meines Tellers musterte, drehte sich mir der Magen um.

"Alles gut bei dir?" Noreen fuchtelte mir mit der Gabel vor der Nase herum und verspritzte dabei die Hälfte ihres Spinats über den Tisch. Zu ihrem Glück war Blaise viel zu sehr in ein Gespräch mit Daphne Greengrass vertieft, um irgendetwas von der grünen Sauerei auf seinem Umhang mitzubekommen. "Du bist weiß wie die maulende Myrte."

"Mir geht es gut." Meine Antwort kam mechanisch, während ich die dunkle Maserung des Holztisches anstarrte, die von Dracos schlanken Fingern unterbrochen wurde. Der Himmel über uns verriet den Einbruch einer bewölkten Nacht, als wolle selbst der Mond sich vor dem verstecken, was unweigerlich passieren würde.

Ein abermaliger Blick hinauf zum Lehrertisch bestätigte mir diese Gedanken. Dumbledore zusammen mit meinem Bruder - fort. Das Schloss ungeschützt. Es war eigentlich schon zu einfach.

Ich begegnete den dunklen, beinahe schwarzen Augen des Zaubertrankprofessors, dessen Züge keine Regung zuließ. Kalt und gleichgültig wie immer, hätte ich ihn wohl für blind der Situation gegenüber gehalten, wäre da nicht das minimale Nicken gewesen. Der Klumpen in meiner Kehle wuchs an, die Narbe auf meiner Wange schien sich schmerzhaft zu spannen.

Als McGonagall schließlich mit einem Löffel an ihr Glas schlug und das Essen, inklusive meiner kaum angerührten Bratkartoffeln, von den Tellern und Platten verschwand, hielt die ganze Halle für einen Moment den Atem an. Die Verwandlungslehrerin erhob sich mit zusammengezogenen Augenbrauen. "Das Abendessen ist beendet. Ich erwarte von ihnen allen -" Ihr Blick glitt an den versammelten Schüler entlang, verweilte dabei hier und da, um ihre Worte deutlicher zu machen. "- und zwar ohne Ausnahme, dass sie sich umgehend in ihre Gemeinschaftsräume begeben, ohne unnötige Streifzüge durch die Korridore zu unternehmen. Ich wünsche ihnen eine angenehme Nachtruhe."

Unter lautem Rumoren erhoben sich die Schüler und strebten wie angeordnet dem Ausgang der großen Halle zu. Ich stand ebenfalls auf. "Geh vor, Reen", forderte ich die Blonde auf, die mich über den Tisch hinweg ungeduldig ansah und auf den Zehenspitzen wippte. "Ich warte auf Draco."

Nickend reihte sie sich nach einem letzten Blick auf mich zwischen Theodore Nott und Blaise Zabini hinter ein paar Drittklässlern ein, wodurch sie recht schnell aus meinem Sichtfeld verschwand.

Sicherlich war Professor McGonagalls Aufforderung nicht ungewöhnlich, immerhin waren die Sicherheitsvorkehrungen in den letzten Wochen massiv verschärft worden. Niemand wollte oder durfte mehr Zeit als unbedingt notwendig auf den Fluren verbringen und selbst die Sperrstunde war um eine Stunde vorverlegt worden. Möglicherweise mochte es den jüngeren Schülern nicht auffallen, aber dass die stellvertretende Schulleiterin es heute Abend für notwendig befunden hatte, uns alle an die Regeln zu erinnern, machte die anderen Zeiten deutlich.

Es war unmöglich, dass nur mir die einzelnen Köpfe auffielen, die zu Schülern meines oder des Abschlussjahrgangs gehörten, welche sich aufmerksam reckten. Und während ich so darüber nachdachte, fiel mir auf, dass es hauptsächlich ehemalige Mitglieder der DA waren.

Kaum hatte ich neben Draco das Portal der großen Halle passiert, griff ich nach seiner Hand. Zu ihm aufsehend sagte ich: "Es wird Zeit."

Wie zur Bestätigung flammte das dunkle Mal an meinem linken Unterarm in diesem Augenblick schmerzhaft auf.

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt