6 | 5. Kapitel

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Anstelle einer Antwort griff er nach meiner linken Hand. Der intensive Blick aus seinen grauen Augen ließ mich erschauern. Erst wenige Male hatte er mich so angesehen. "Verzeih' mir den formellen Rahmen, bitte."

Er hielt inne, als wartete er auf eine Antwort. Ich runzelte die Stirn, überlegte fieberhaft, was ich ihm antworten konnte. Doch seine Finger, die federleicht hinunter zu meinem Handgelenk glitten, irritierten mich. Tief atmete ich durch, versuchte mich zu konzentrieren, bis ich es fertigbrachte, den Kopf zu neigen.

"In manchen Fällen müssen die alten Reinblutetikette leider gewahrt werden, worin der heutige Abend keine Ausnahme bildet."

Die alten Reinblutetikette. Wie ein unheilvoller Widerhall rumorten diese Wörter in meinem Kopf, veranlassten mich zu den abwegigsten Spekulationen. "In welchen Fällen?" Meine Stimme hätte heiser sein sollen, nicht so ruhig und beherrscht wie sie in der Realität klang. "Würdest du einfach Klartext sprechen, Draco?"

Sein kühler Zeigefinger legte sich über meine Lippen. Ich verstummte, sah zu ihm hoch. "Und würdest du mich bitte ausreden lassen?" In seinen grauen Augen standen Ungeduld und eine Spur der Nervosität, die er so angestrengt zu leugnen suchte.

Ein plötzlicher Schrei unter uns im Garten ließ mich herumfahren. Es war ein unmenschlicher Laut, nicht sonderlich laut, und doch konnte er nur durch unendliche Schmerzen ausgelöst worden sein. Oder aber ...

"Das sind nur die Pfauen", flüsterte der junge Malfoy beruhigend, als ich herumwirbelte und mit meiner Zauberstabspitze hinab in den Garten deutete. Behutsam griff er erneut nach meiner Hand, drehte mich zu sich herum. "Du hast sie schon gesehen. Die weißen Pfauen meines Vaters. Vermutlich sind sie wieder mit den Eulen aneinandergeraten."

Beruhigt, dass der Schrei keine menschliche Quelle hatte, steckte ich den Stab wieder weg. Aus zusammengekniffenen Augen sah ich den Blonden an. Er merkte überhaupt nicht, wie er in belanglose Themen abdriftete. Vielleicht war es besser so. Vielleicht wollte ich den Grund für sein Verhalten nicht kennen.

Doch gerade als ich begann, die Anspannung aus meinen Muskeln entfleuchen zu lassen, räusperte er sich. Das Licht der Lampen verfing sich in seinem Haar und als er den Kopf wandte, wurde sein Gesicht in Schatten gehüllt. "Anfang der Ferien war ich bei deinem Vater -"

"Er ist nicht -"

"Still", flüsterte er leise, fast flehend. Er begann von vorne: "Ich war Anfang der Ferien bei deinem Vater, um ihm eine Frage zu stellen. Du hast es nicht mitbekommen, es war schon spät."

Um ihm eine Frage zu stellen. Unruhe, eher Panik kroch mir in die Glieder. Mein Mund wurde trocken. Er musste diesen Abend seit Ewigkeiten geplant haben. Leise lachte er. Ich kam nicht umhin, an dessen Echtheit zu zweifeln. "Er war nicht begeistert, wenngleich er mir auch seine Erlaubnis erteilt hat."

Meine Beine wurden weich und ich lehnte mich haltsuchend an die Balustrade hinter mir. Der Stein kratzte unangenehm an meinem nackten Rücken. Nie und nimmer konnte er darauf anspielen. 

"Du weißt sicherlich noch, wofür dieses Armband steht?" Leicht zupfte er an dem Schmuckstück, strich über die eingelassenen Steine. Natürlich wusste ich das. Mich hatte der Gedanke nicht losgelassen, seitdem Mr Malfoy Senior mir dessen Bedeutung an jenem Abend in der Mysteriumsabteilung erläutert hatte. "Deinem Schweigen nach zu urteilen, werte ich das als ein ja." Seine Brust hob sich unter einem tiefen Atemzug, dann räusperte er sich und trat zwei Schritte von mir weg.

Mein Atem wurde schneller. Die freigewordene Hand klammerte ich in mein Kleid, starrte meinen Freund an. Ich fühlte mich zittrig. "Draco ... Ich ... Was ...?"

In einer entschlossenen Geste reckte er das Kinn empor, beugte sein linkes Bein und ging vor mir in die Knie. Unter anderen Umständen hätte ich ihn vermutlich mit seinem Kniefall aufgezogen, kroch Draco Malfoy immerhin vor niemandem zu Boden, aber der Moment war zu ernst. 

"Mag sein, dass die Umstände nicht die allerbesten sind. Weder du noch ich haben eine Ahnung, was uns die nächste Zukunft bringen, was sie uns kosten wird." Ich konnte seinen Adamsapfel hüpfen sehen, als er schwer schluckte. Der abnehmende Mond am Himmel spiegelte sich in seinen Augen wie in der Oberfläche des schwarzen Sees. Er spendete uns nur wenig Licht, als mit einem Mal sogar die Lampen an der Wand erloschen. Schwer schluckte auch ich. "Mariah Elisabeth Potter, aufgewachsen unter dem Namen Caitlyn Snape, willst du mir die Ehre erweisen und mich zu deinem Gemahl nehmen?"

Das kleine Kästchen in seiner Hand wäre mir wohl nicht einmal aufgefallen, wenn das Licht des Mondes sich nicht für einen kurzen Moment darin gefangen hätte. Es war ein Ring. Äußerst altmodisch und alles andere als mein Geschmack, vermutlich ebenfalls an die alten Reinblutetikette gebunden. 

"Draco -" Seine Miene offenbarte keine Regung. Stumm sah er aus seiner Position zu mir hinauf, verharrte kniend. Ich schüttelte den Kopf, gab mein bestes, meine Gedanken zu ordnen. "Das ist doch albern. Steh schon auf!"

Unumwunden kam er meiner Aufforderung nach. Insofern dies nicht die Antwort war, die er erwartet hatte, verbarg er seine Emotionen gut. Obwohl ich ihn inzwischen seit gut fünf Jahren kannte und gelernt hatte, aus den kleinsten seiner Regungen Informationen zu ziehen, blieb ich im Unklaren. Noch gut erinnerte ich mich an unser erstes Zusammentreffen damals im Laden von Madam Malkin. Ich hatte ihn für einen eingebildeten Schnösel gehalten, was er zugegebenermaßen ja auch war, hätte jeden verspottet, der mir erzählte, wir würden uns einmal in einer Situation wie gerade gegenüberstehen. 

Schon immer hatte er mich um einen Kopf überragt. Auch wenn ich sicherlich den ein oder anderen Zentimeter gewachsen war, war es mir nie gelungen, ihn einzuholen. Noch immer musste ich den Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht zu sehen. Liebte ich diesen Umstand? Liebte ich ihn? Dass ich auf diese Frage keine eindeutige Antwort kannte, verunsicherte mich mehr, als ich zuzugeben bereit war.

"Wieso?"

"Wieso nicht?" Trotz seines lockeren Tonfalls, konnte ich den Ernst darin hören. Die Sorge hatte ihm kleine Falten um den Mund herum beschert und das, obwohl er kaum älter war als ich. Sein Vater saß in Askaban, hatte den dunklen Lord enttäuscht, und er würde diesen Fehler sehr wahrscheinlich ausbügeln oder aber mit dem Leben bezahlen müssen. War dieser Antrag ein Versuch, seinen Rang in den Reihen des dunklen Lords zu festigen? Aber wir waren noch so jung. War ich bereit, mich jetzt schon auf jemanden festzulegen, unwissend, was die Zukunft für mich im Petto hielt? Ob es überhaupt ein nach dem Krieg für mich gab?

Ich betrachtete seine inzwischen allzu vertrauten Züge. Wie wäre es, ein Leben mit ihm zu führen? Kinder zu haben? Zögernd hob ich die Hand, strich ihm die vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn. 

Tief durchatmend dachte ich noch ein letztes Mal über meine Entscheidung nach. Die Entscheidung, die ich genaugenommen schon vor über zwei Monaten getroffen hatte.

Zeitgleich mit meiner Antwort entflammten hinter ihm wieder die Laternen. "Ich würde mich geehrt fühlen."

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt