✒ "Onehundredandfortyfour stairs"

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"Soll ich weiterlesen?", hörte ich meinen besten Freund leise fragen. Ich nickte.

"Bei dieser Störung sind zwei oder mehr unterscheidbare Identitäten oder Persönlichkeitszustände vorhanden, die wiederholt die Kontrolle über das Verhalten übernehmen."

Ich sagte nichts dazu. Das war unvorstellbar. Es machte keinen Sinn.

"Die für eine dissoziative Identitätsstörung kennzeichnenden Teilidentitäten unterscheiden sich beispielsweise in ihren Namen, Vorlieben und Verhaltensweisen voneinander."

Mike. Mir rollte eine Träne runter und landete auf der Bettlake.

"Lies weiter", rief ich erschöpft. Er sah sich mit großen Augen an.

"Lauren, ist alles in-"

"Jack. Lies weiter", forderte ich ihn auf und blickte ihm in seine Augen. Er zögerte, bevor er sich wieder dem Laptop zuwendete. Doch schließlich las er weiter.

"Die dissoziative Identitätsstörung stellt eine Art Schutzreaktion dar. Ursache für die Aufspaltung in zwei oder mehr Teilidentitäten ist eine starke Traumatisierung in der Kindheit."

Dies war der Moment, in dem ich zusammenbrach. Ich zog meine Beine an meinen Körper, umwickelte sie mit meinen Armen und fing laut an zu weinen.

"Die multiple Persönlichkeitsstörung ist dabei als Versuch zu verstehen, mit dem erlebten Trauma zurechtzukommen: Die Betroffenen trennen das reale Geschehen vom Bewusstsein ab. "

Ich schluchzte immer wieder auf und konnte Jacks Stimme nur schwer wahrnehmen. Ich nahm jedes einzelne Wort auf und ich brach immer mehr, mit jedem einzelnen Wort.

"Dass schwere Traumata eine dissoziative Identitätsstörung verursachen können, liegt an der gefährlichen und hilflosen Lage, in der sich die Kinder befinden. Hilfe können sie nicht erwarten, da die Täter meist nahe Angehörige sind."

Ich hatte aufgehört zu weinen. Ich schwing mit meinem zitternden Körper hin und her und starrte geradeaus, in irgendeine Richtung. Ich nahm nichts mehr wahr. Ich nahm Jacks Stimme, die auf mich einredete, nicht wahr. Ich spürte seine Berührungen nicht. Ich spürte nicht, wie er mich rüttelte. Ich spürte nicht, wie er mich in seine Arme nahm. Ich sah nicht, wie er besorgt in meine Augen sah.

Alles was ich spürte, war Kälte. Alles was ich hörte, war ein lautes Piepen in meinem Ohr und es wurde immer lauter; es kam von beiden Seiten. Alles was ich sah, war Finns lächelndes Gesicht vor mir.

Ich war kurz davor, zu kollabieren.

Ich holte erschrocken nach Luft.

Finn.

Ich musste zu Finn.

Langsam kam ich zu mir und blickte zu Jack.

"Lauren", schrie er erleichtert auf und betrachtete besorgt mein Gesicht.

"Finn", flüsterte ich leise.

Schnell verließ ich das Bett. Ich lief auf mein Bett zu, zog mir eine Jeans und ein T-Shirt über und verließ schnell das Haus. Ich ignorierte die Rufe, die mir Jack hinter her rief.

Ich rannte. Ich rannte so schnell ich konnte. Und zu meinem Glück, fing es jetzt an, zu regnen.

Ich ignorierte alles. Die Menschen, die mich verstört ansahen. Diese Menschen waren dumm. Sie wussten nichts. Sie waren Narren. Alleinige Narren, die auf der Welt nichts weiteres taten, als zu Urteilen.

Schließlich kam ich vor dem Gebäude an, in dem sich Finn's Wohnung befand.

Ich ließ meine Arme schlapp hängen und legte meinen Kopf in den Nacken, um nach oben zu starren. Das Gebäude war riesig.

Mir tropften Regentropfen in das Gesicht und prallten erst wieder ab, nachdem sie eine feuchte Spur auf meiner Haut hinterlassen hatten.

Mit schweren Schritten, lief ich auf den Eingang zu. Ich hatte keine Kraft mehr. Mein Blick fiel auf die Metalltür des Aufzuges.

Ich seufzte. Dann nahm ich tief Luft und ging auf die Treppe zu. Während ich mich nach oben bewegte, waren meine Gedanken bei Finn. Gleichzeitig, zählte ich die Treppen, die ich steigen musste, um zu ihm gelangen.

144 Stufen.

Es waren genau 144 Stufen.

144 Stufen, bis ich schließlich vor der dunklen Holztür stand.

Hinter dieser Tür, befand sich Finn.

Ich setzte meinen Finger auf die Klingel ab und drückte leicht zu.

Es klingelte.

Ich hörte Schritte, die sich in meine Richtung bewegten.

Die Türklinke wurde betätigt und die Türe, wurde langsam aufgezogen.

Mein gesenkter Blick erhob sich und ich erblickte Finns wunderschöne Augen.

Ich war erstarrt.

Ich sagte nichts.

Er sah fragend zu mir. Er sagte meinen Namen; ich sagte nichts. Auch als er mich fragte, was los war, sagte ich nichts.

Wer war er? War er wirklich Finn? Oder stand eine ganz andere Person vor mir.

"Mike?"

Der Junge vor mir, schien zu erst verwirrt. Dann riss er erschrocken seine Augen auf. Er wartete ab, dass ich noch etwas sagte. Doch ich tat es nicht.

Also beruhigte er sich und schloss seine Augen. Er schüttelte seinen Kopf und blickte mir wieder in die Augen.

"Finn.", flüsterte er.

Das Piepen, dass sich mittlerweile gesenkt hatte, machte sich wieder bemerkbar.

Mir wurde schwindelig. Ich drohte, zu platzen. Mein Kopf wurde schwer und ich fasste mir an die Stirn.

Es war wahr.

Mir strömten die Tränen über das Gesicht.

Es war wahr.

Ich blickte zu Finn. Ich schüttelte meinen Kopf. Ich wollte es nicht akzeptieren.

Schnell lief ich auf ihn zu und vergrub mein Gesicht in seinem Nacken. Ich schluchzte und fühlte seine starken Armen, die mich sicher an ihn drückten.

Ich wollte es nicht wahrhaben.

Ich weinte und seine Locken kitzelten mich an meiner Stirn. Es störte mich nicht.

"Finn", flüsterte ich leise.

Es durfte nicht sein. Dieser wunderschöne Junge, durfte nicht krank sein.

Das verdiente er nicht.

Shades ➳ Finn WolfhardWhere stories live. Discover now