Kapitel 71

2.5K 275 145
                                    

Kaelan war nicht aufzuhalten. Seine Schritte waren schnell und zielorientiert, er wusste genau, wo er uns hinbringen wollte und blickte immer wieder ungeduldig über seine Schulter zurück, um uns wortlos zur Eile anzutreiben.

Wir verließen den Schlossgarten und betraten wieder den Eispalast, in dem nun geschäftiges Treiben herrschte. Bedienstete liefen aufgescheucht hin und her, trugen Eimer und Wäschekörbe mit sich herum, während Soldaten dafür sorgten, dass Ruhe bewahrt wurde. Wir passierten die weitläufige Eingangshalle und liefen schnurstracks auf eine der vielen Treppen zu, die in unterschiedliche Bereiche des Schlosses führten. Die, die der Eiskönig nun ansteuerte, hatte ich nie zuvor gesehen.

»Ich hoffe, ihr beiden habt nichts dagegen, ein paar Treppen zu steigen«, murmelte er mit unüberhörbarer Belustigung in der rauen Stimme und wartete nicht darauf, dass wir zu ihm aufschlossen. Ich musste widerwillig über seine Aufregung lächeln.

Jeremia und mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

*

Es nahm einige Zeit in Anspruch – und zahllose Stufen – bis wir endlich dort angekommen waren, wohin der Eiskönig uns hatte führen wollen. Wir befanden uns im obersten Stockwerk des Schlosses, in einem schmalen verlassenen Flur. Ich spürte die zugige Kälte schon bevor Kaelan eine hinter einem Wandteppich – er zeigte eine Bestie wie die, die Bree von ihrem Pferd gerissen und sie anschließend verschont hatte - versteckte Tür aufschwingen ließ.

Jeremia wich nicht von meiner Seite, als Kaelan uns bedeutete, hinauszutreten.

Ich fragte mich, was er hier oben versteckte, das einen Mord wert war.

Also beschloss ich, es herauszufinden, griff nach der Hand meines Geliebten und trat hinaus in das gleißende Licht des frühen Morgens. Und sobald sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, sog ich scharf die Luft ein. Unglaublich, dachte ich mit trockenem Mund.

*

Es war nicht nur die Aussicht, die mich wie angewurzelt auf der mit Steinplatten ausgelegten Terrasse stehen bleiben ließ. Sie trug zwar einen großen Teil dazu bei, doch hauptsächlich lag mein Augenmerk auf den weißen Kreaturen, die gemächlich umherwanderten und allesamt ihre großen weißen Köpfe wandten, als sie unseren Geruch wahrnahmen. Das Spiel ihrer gewaltigen Muskeln unter dem dichten Fell war beunruhigend und beeindruckend zugleich. 

Der Wind riss an Kaelans Haaren, als er auf die massigen Tiere zuging und schließlich dem größten von ihnen vorsichtig die Hand auf den Kopf legte.

Ein leiser Schrei entfuhr mir, als die löwenartige Bestie ihren Kopf in seine Handfläche...schmiegte.

Schmiegte.

Als wäre sie eine Hauskatze oder ein Hund...

Ich konnte sie bloß anstarren.

»Wollt ihr euch nicht zu uns gesellen?«, schrie Kaelan gegen den Wind an.

»Ich weiß nicht!«, brüllte ich zurück, noch völlig schockiert. »Als ich so einem Tier zum letzten Mal begegnet bin, hat es fast den Hals meiner Freundin aufgerissen!«

Ein breites Grinsen stahl sich auf sein gut aussehendes Gesicht, als er meine Worte vernahm. »Das war bestimmt Brianda«, meinte er. »Sie ist manchmal...ein bisschen wild.« Er tätschelte den Kopf des Raubtiers und wenn mir meine Ohren keinen Streich spielten, schnurrte es daraufhin zufrieden.

Es schnurrte.

Jeremia wisperte ein ungläubiges: »Was geht in diesem Königreich vor sich?« Er war ganz blass um die Nase und ließ immer wieder nervöse Blicke umherschweifen.

BORN TO BURN (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt