Kapitel 39

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Ich folgte Moyra, den Blick auf ihren wippenden Pferdeschwanz gerichtet, in das Esszimmer, das ich gestern nicht mehr betreten hatte, weil ich am Küchentisch gegessen hatte.

Trotz all meiner guten Vorsätze und Moyras gestriger Bemerkung, Sonnenanbeterinnen seien eine Familie, kämpfte ich mit einem flauen Gefühl in der Magengegend.

So viele Frauen, Sonnenanbeterinnen, würden am Esstisch sitzen und fröhlich durcheinander reden, während ich keine Ahnung haben würde, wie ich ein Gespräch mit irgendjemandem anfangen konnte. Diese Befürchtung, ausgeschlossen und nicht verstanden zu werden, machte mir noch weitaus größere Angst, als das Frühstück am Tisch des Offiziers mit all seinen Soldaten es getan hatte. Ebenjene Tatsache brachte die Erkenntnis, etwas müsse mit mir nicht stimmen, mit sich.

Bevor sie das Esszimmer betrat, blieb Moyra stehen und schaute zu mir. Ihre Augen waren voller Amüsement und Wärme - sie konnte sicherlich nicht begreifen, warum ich mich so anstellte.

Ich trat von einem Fuß auf den anderen und bedeutete ihr, hineinzugehen, aber sie schüttelte den Kopf und griff nach meinem Arm. »Du kommst jetzt mit, Olive. Sie sind alle, mit ein paar wenigen Ausnahmen, unfassbar nett und entgegenkommend. Und wissen von der Prophezeiung, die dir noch etwas mehr Ansehen bringen wird. Diesen Bonus hatten wir anderen nicht. Nun, komm schon und benimm dich wie der Phönix, der du bist.« Damit zerrte sie mich, trotz meiner lahmen Proteste, in das Esszimmer.

Um mich nicht völlig lächerlich zu machen, riss ich mich von Moyra los, streckte den Rücken durch und versuchte, den Frauen und Mädchen selbstbewusst und würdevoll zu erscheinen. Sie hoben allesamt den Blick, als sie mich das Esszimmer betreten sahen und blickten mich neugierig an. Staunend stellte ich fest, dass in dem riesigen Raum mit dem monströsen Eichenholztisch um die zwei Dutzend Sonnenanbeterinnen saßen - die meisten davon etwa in meinem Alter.

Mein Herz klopfte wie verrückt, als ich mich kurz vorstellte. »Guten Morgen, ich...ich bin Olivia Capshaw, ich bin achtzehn Jahre alt und habe früher bei einer Köchin ausgeholfen. Ich...freue mich darüber, euch endlich alle kennenzulernen.« Dann verstummte ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst noch sagen sollte, was es sonst noch überhaupt über mich zu erzählen gab. Ich war keine allzu interessante Person.

Am Ende des Tisches sah ich Jeremia, seine Schwester und Camilla, die mich alle drei prüfend musterten. Mir stieg das Blut in die Wangen. Hatte ich etwas Falsches gesagt?

Moyra grinste mich schelmisch an. »Das war eine schöne Ansprache. Komm jetzt, setz dich einfach und iss etwas.«

Unsicher schwenkte mein Blick kurz zu Jeremia, der mir keine weitere Beachtung schenkte und lustlos in seinem Rührei stocherte. Schließlich tat ich, wie mir geheißen und ließ mich links von Moyra und zur Rechten eines orientalisch anmutenden Mädchens mit schönen, mandelförmigen Augen nieder. Sie schenkte mir ein flüchtiges Lächeln und wandte sich dann wieder ihrem Frühstück zu. Ich erkannte zu meiner Bestürzung, dass ihr zwei Finger ihrer linken Hand fehlten.

Moyra stupste mich an und schaute mich amüsiert an. »Du solltest deine Gefühle wirklich besser unter Kontrolle behalten, Olive, man kann in deinem Gesicht lesen wie in einem geöffneten Buch.«

Ich presste beschämt die Lippen aufeinander.

»Und um deine Frage zu beantworten: Nein, das hat sie sich nicht im Training zugezogen.«

Meine Augen weiteten sich. »Woher-?«

»Wie schon gesagt, meine Liebe, geöffnetes Buch. Und womöglich ein bisschen Sonnenanbeterinnen-Magie«, erklärte sie zwinkernd und biss in ihr mit Käse belegtes Brot.

Ich schaute unwillkürlich auf meinen leeren Teller, worauf sich Camilla eilig zu Wort meldete: »Ich habe dich gestern nicht gefragt, was du gerne zum Frühstück hättest, deshalb hab ich mich zurückgehalten. Isst du gerne Grießbrei?«

BORN TO BURN (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt