Kapitel 76

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Dinara und ich redeten bis tief in die Nacht.

Während die anderen Sonnenanbeterinnen – sowohl die aus Ashbrook, als auch die westenraaschen – sich nach und nach verabschiedeten und ins Lager begaben, blieben Dinara und ich nebeneinander sitzen und unterhielten uns über die Magie-Trainingseinheit, die wir vor einer knappen halben Stunde allesamt absolviert hatten. Sie hatte unsere Hoffnungen auf einen Sieg geschürt, sogar die meine, und uns zusammengeschweißt, unseren Geist und unsere Magie.

»Ich habe sofort erkannt, wer du bist, als ich dir in die Augen gesehen habe«, erklärte Dinara nun mit ihrer weichen Stimme. Sie saß im Schneidersitz auf dem Boden und hielt die dunkel geschminkten Augen geschlossen, als würde sie meditieren. Ihr schwarzes Haar fiel ihr in üppigen Wellen auf die grazilen Schultern und den goldfarbenen Seidenkimono, den sie über ihrem nachtblauen Gewand trug. Sie hatte mir gestanden, dass sie nicht nur als Parfumeuse, sondern auch als Kurtisane arbeitete, was mich nicht im Geringsten überraschte. Es passte zu ihr und ihrem extravaganten Lebensstil.

»Ich wiederum habe erst begriffen, wer du bist, als du mich förmlich mit der Nase darauf gestoßen hast«, räumte ich beschämt ein. »Ich weiß nicht, woran es liegt, dass ich die Magie anderer manchmal sofort spüre und manchmal überhaupt nicht.«

Dinara schlug ihre Augen auf und blickte mich an: »Herzchen, du bist gerade erst deiner Magie mächtig geworden, besitzt sie seit nur wenigen Wochen...da ist es nicht allzu verwunderlich, dass du in manchen Dingen noch nicht so geübt bist, wie ältere Sonnenanbeterinnen, Phönix hin oder her. Glaub mir, irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem du jedes Fitzelchen Magie spürst, das in irgendeiner Form durch die Welt geistert. Und dann wirst du dir wünschen, dem wäre nicht so.«

»Warum das?«

»Weil es störend ist, nervenaufreibend. Zu alledem auch noch ablenkend. Und manchmal ist Magie eben alles andere als rein und gut. Aber ich schätze, das ist eine Erfahrung, die du selbst wirst machen müssen. Da werden dir meine Erzählungen auch nicht weiterhelfen.«

Wir schwiegen eine Weile, ehe ich das Wort ergriff.

»Dinara?«

»Ja?«

Ein Windhauch fuhr durch das Laub eines nahe stehenden Baumes und brachte es zum Rascheln.

»Danke.«

Sie seufzte schwer. »Du brauchst dich für nichts zu bedanken. Wir sind Familie.«

Ihre Worte taten gut. Unglaublich gut sogar. Und sie brachten mich zum Lächeln.

Ich wollte mich gerade nach der Situation der Sonnenanbeterinnen in Westenraa erkundigen, als jemand laut meinen Namen rief. Ich identifizierte die Stimme noch bevor ich Jeremias vertraute Gestalt im milchigen Licht des Mondes erblickte. Er kam zügig auf mich zu, die dunklen Augen voller Sorge, ließ sich neben mir ins Gras sinken und zog mich in seine Arme, ohne von Dinara Notiz zu nehmen, die diskret ihren Blick abwandte.

»Was ist denn los?«, fragte ich alarmiert und löste mich aus seiner Umarmung, um ihm ins Gesicht sehen zu können. »Ist etwas passiert?«

Er schüttelte bloß müde den Kopf.
»Entschuldige.«

»Entschuldige?« Ich verstand nicht, was in ihm vorging, wollte es aber, weshalb ich ihn um eine Erklärung bat. Er gewährte mir diese nur widerwillig.

»Auf dich ist ein gewaltiges Kopfgeld ausgesetzt, Alexandra«, sagte er heiser.
»Der König hat verlautbart, dass er dich haben will, tot oder lebendig, und um jeden Preis.«

»Was?« Kaum mehr als ein Hauchen. Der König hatte mich lebend gewollt, immer, und jetzt... Er musste über alle Maßen verzweifelt sein. War das nun gut oder schlecht? Mir schwirrte der Kopf.

BORN TO BURN (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt