Kapitel 61

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»Ich kann das alles nicht so richtig glauben«, gestand ich lachend und spürte Jeremias Brust an meiner Wange vibrieren. Ich hätte niemals geglaubt, dass es sich einmal so gut anfühlen würde, jemanden lachen zu hören. Ich schluckte die Sentimentalität, die mich bei diesem Gedanken überkam, eilig herunter und konzentrierte mich auf Jeremias schöne Stimme, die mir gerade einen sehr wichtigen Teil seiner Vergangenheit anvertraute. Ein Vertrauensbeweis. Selig, dachte ich. Selig ist ein Wort, mit dem mein jetziger Zustand am besten beschrieben werden konnte.

Ein frischer Wind zog auf und brachte die Blätter des über uns thronenden Ahorns zum Rascheln. Eine zarte Gänsehaut überzog meine nackten Arme und ließ mich frösteln. Jeremias Umarmung wurde etwas fester.

»Das konnte ich auch nicht«, gestand er und hörte sich an, als wäre er in Gedanken weit weg. »Ich stand bloß wie versteinert da und habe dieses mir bis dahin fremde Mädchen angestarrt. Sie war so-« Er seufzte. »Umwerfend

Ich ignorierte den lächerlichen Anflug von Eifersucht, der seine Worte begleitete und versuchte, mir die Situation bildlich vorzustellen. Wie Jeremia vor nur wenigen Jahren in den Ballsaal kam, um Connor zum Geburtstag zu gratulieren und stattdessen Margaret fand und sich in sie verliebte. Es hörte sich wie ein Märchen an. Nur hatte dieses Märchen kein gutes Ende genommen.

»Connor stellte uns einander vor. Ich habe gestammelt wie ein kleiner Junge als ich ihre Hand ergriffen habe. Es war wirklich sehr, sehr peinlich. Und dann zog ihre Mutter sie auch schon von mir weg und flüsterte ihr etwas ins Ohr, das sie zum Lachen brachte. Dann stand sie inmitten adliger junger Männer, die sie mit ihren Augen verschlangen und sich förmlich darum rissen, sie zu einem Tanz aufzufordern. Ich habe zwar von Geburt an in eben jenen Kreisen verkehrt und kannte so gut wie jeden dieser feinen Lords, doch wirklich dazugehört habe ich nie. Und bis dahin hatte es mich nie gestört, dass ich nur Connor meinen Freund nennen konnte. Aber nun, da Margaret von diesen Männern umgeben war und ich nicht den geringsten Hauch einer Chance hatte, sie zu erobern...da wünschte ich mir, es wäre anders. Ich wäre anders.«

Der Schrei eines Käuzchens durchschnitt die Stille. Wir zuckten beide zusammen.

»Ich muss ehrlich sagen, dass ich mir keine Hoffnungen darauf gemacht habe, von Margaret beachtet zu werden. Connor erklärte mir bereitweillig, die Gouvernante hätte ihre Tochter, die eigentlich in einem der Außenbezirke lebte, nach Ashbrook ins Schloss geholt, damit diese sich nach einem adligen Mann umsehen könne. Und das tat sie auch. Zumindest dachte ich das anfangs. Ständig schlich ich ihr hinterher und beobachtete sie dabei, wie sie mit unzähligen Edelmännern durch den Garten spazierte oder zu Abend aß. Immer in Begleitung einer Anstandsdame aber die Blicke ihrer Gefährten waren recht eindeutig. Es machte mich wütend. Sehr sogar. Und obwohl ich nach Wiesenthal reisen sollte, um das Gestüt meines Vaters zu übernehmen, weil er schwerkrank war, weigerte ich mich. Stattdessen blieb ich in Ashbrook. Nicht, weil ich damit irgendetwas zu erreichen glaubte, sondern weil ich sie im Auge behalten wollte. Ich kannte die Männer, die sie um ihre Hand baten, als wäre sie eine Prinzessin, nicht Tochter einer Gouvernante, und wusste, dass ein so sanftes Geschöpf wie Margaret nicht in Gesellschaft solcher Tiere sein sollte. Deshalb beschützte ich sie. Aus der Ferne zwar, aber ich tat es.

Eines Abends war sie wieder einmal unterwegs gewesen, am Arm eines Mannes, den ich nicht kannte. Er war gut zwanzig Jahre älter als sie und hatte immer wieder gierige Blicke auf ihr Dekolleté geworfen und mir ist der Kragen geplatzt. Zum ersten Mal konnte ich mich nicht länger zurückhalten, kam aus meinem Versteck geschlendert und blieb vor dem Paar stehen. Ich erinnere mich noch daran, dass Margarets Pupillen sich geweitet hatten, als sie mich erkannte. Der Lord an ihrer Seite dagegen war etwas ungehalten und befahl mir, mich zu entfernen - nicht in diesem Wortlaut, glaub mir - und wollte das Mädchen von mir wegziehen. Aber ich blieb standhaft und vertrat ihnen erneut den Weg. Dann sagte ich ihm, Connor hätte nach Margaret geschickt, was er mir erst glaubte, als ich ihm damit drohte, ihn auspeitschen zu lassen. Er war bloß ein dicker Dummkopf gewesen und da Connor mich ohnehin gedeckt hätte, konnte ich es wagen, Margaret mitzunehmen und ihn stehen zu lassen. Schnellen Schrittes schob ich die junge Frau, die nicht wusste, was vor sich ging, vor mir her, bis wir in den Fluren des Schlosses waren. Dann ließ ich sie los und trat von ihr zurück. Ich wollte ihr nicht das Gefühl geben, sie in irgendeiner Form zu bedrängen, obwohl sie mich ohnehin für einen Narr gehalten haben musste. Aber sie beschimpfte mich nicht, weil ich ihre Verabredung vereitelt hatte, sie wirkte nicht im Geringsten wütend. Stattdessen sah sie mir in die Augen und sagte mit ihrer lieblichen Stimme, die ich beinahe schon vergessen hatte, dass sie mich nicht vergessen hatte. Dann ging sie davon. Ich klammerte mich an diese Worte wie an eine Rettungsleine, so wichtig waren sie mir, und als ich am nächsten Morgen die Bibliothek betrat, wo ich für gewöhnlich mit Connor studierte, saß sie an einem der Lesetische. Ich weiß noch ganz genau, wie Connor, der neben ihr saß, mir über ihre Schulter hinweg zuzwinkerte und ihr Haar wie flüssig gewordenes Kupfer in dem durch die Fenster hereinfallenden Sonnenschein glänzte. Dann hob sie den Blick von ihrem aufgeschlagenen Buch und lächelte mich so strahlend an, dass mir die Knie weich wurden. Und so begann unsere Geschichte.«

BORN TO BURN (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt