Sieben

6.8K 210 29
                                    

Damiens Sicht || 29.11.17《 ||

Der restliche Abend verlief ohne weitere Konflikte und ich wurde glücklicherweise in Ruhe gelassen.
Nach dem Streit mit Kieran bemerkten nämlich auch die anderen die Spannung, die nun in der Luft lag und so deutlich zu spüren war, dass man sie mit einer Schere hätte zerschneiden können.

Spät am Abend gingen alle in ihre Zimmer und somit hatte ich genügend Zeit, das Buch weiter zu inspizieren.
Ich schlug das Buch auf und fing an zu lesen.

30.06.17: Wie kann eine Maske so aufrecht sitzen, dass die Außenwelt nichts von dem inneren Chaos mitbekommt?
Dass nicht einmal die engsten Freunde etwas davon mitbekommen.
Vielleicht ist es ja auch meine Schuld. Womöglich sollte ich denen etwas davon erzählen.
Vielleicht sollte ich denen erzählen, wie kaputt ich bin, wie sehr man mich zerstört hat.
Aber dann kommt mir der Gedanke in den Sinn, ob ich meinen Freunden wirklich vertrauen kann, wenn es darum geht. Ob es sie nicht verschrecken würde.
Ob es überhaupt etwas bringt, wenn sie davon wüssten...
Gegen meine Familie können die ja nichts machen.
Niemand wird dafür sorgen können, dass ich von meinen "Eltern" nicht beleidigt werde.
Dass sie mich so akzeptieren wie ich bin.
Dass sie mich nicht mehr schlagen und das auch noch ohne Grund...
Ich kann es niemandem erzählen, zu groß ist die Angst allein gelassen zu werden.
Ich hätte keinen Grund mehr hier zu bleiben.
Meine Freunde sind die einzigen Menschen, mit denen ich das beschissene Leben noch genießen kann.
Sie verleihen mir die Hoffnung, die ich zum überleben brauche und solange diese Hoffnung noch vorhanden ist, werde ich kämpfen.《

"Krass...", das war das einzige Wort, was mir zu diesem Text einfiel.
Ich bin kein Mensch, den man leicht entsetzen kann, oder der Mitleid mit anderen hat.
Bei Aufträgen beispielsweise habe ich keine Probleme damit jemanden umzulegen, egal wie sehr mich meine 'Opfer' anflehen und anbetteln.
Doch dieser Text erweckte eine Art Beschützerinstinkt in mir. Es entsetzte mich, wie man anscheinend mit ihr umging und die Erkenntnis, dass es ihre Familie war, machte mich wütend.

Ich beruhigte mich wieder etwas und blätterte dann weiter.

03.07.17: Manchmal frage ich mich echt, warum ich überhaupt geboren bin. Was ist das überhaupt für ein Leben, wenn man jeden Tag gesagt bekommt, dass man ungewollt ist und man einfach sterben sollte?
Habe ich es nicht verdient, einfach mal glücklich zu sein?
Habe ich es nicht verdient, von meinen Eltern geliebt zu werden?
Andere würden bestimmt sagen 'ich bin mir sicher, dass sie dich lieben', aber ich bin mir sicher, dass sie es nicht tun.
Ich bin mir nicht nur sicher, ich weiß es. Ich bekomme es oft genug gesagt.
Ich weiß nicht einmal, warum es mich überhaupt noch trifft, wenn ich eine Beleidigung an den Kopf geschmissen bekomme.
Immer noch ist da dieses komische verkrampfen meines Herzens, wenn sie mir sagen, dass ich es nicht Wert bin gut behandelt zu werden.
Immer noch fixiere ich einen Punkt an der Wand, um keine Tränen zu verlieren.
Immer noch schlucke ich jedes Mal den Kloß in meinem Hals runter und versuche normal zu atmen.
Sie bemerken es nicht.
Warum auch? In den Augen meiner Eltern bin ich nur ein Stück Dreck.
Eine kleine Schlampe, wie sie es so oft ausdrücken.

Heute morgen dachte ich, dass der Tag vielleicht gar nicht so schlimm wird, doch als ich die Haustür verlassen wollte, war meine 'Mutter' der Meinung noch mit mir reden zu müssen.
'Wann kommst du wieder', hat sie gefragt und ich dachte mir vorerst nichts dabei. Unfassbar wie naiv ich immer noch in ihrer Gegenwart bin. Ich empfinde keine Liebe gegenüber den beiden, aber trotzdem hofft anscheinend noch ein kleiner Teil von mir, dass alles wieder gut wird.
'Um zwei', antwortete ich ihr monoton und sah sie nicht an.
'Mach dir selbst was zu essen, ich werde nicht da sein.', hat sie daraufhin geantwortet und Erleichterung durchströmte mich. Immerhin muss ich mir dann für die paar Stunden keine ihrer Worte anhören. Ich drehte ihr nach einem Nicken meinerseits den Rücken zu und wollte die Treppen runtergehen.
'Obwohl, mach dir lieber nichts zu essen. Es würde dir auf jeden Fall nicht schaden abzunehmen, so fett wie du bist.', fügte sie noch hinzu und ich blieb stehen. Ich ballte meine Hand zu einer Faust und drückte meine Nägel in meine Handfläche.
Das war nicht das erste Mal, dass ich sowas hörte und trotzdem traf es mich.
Ich war zwar nicht dünn, aber mir gefiel meine etwas kurvigere Figur. Immerhin hatte ich was an meinem Körper und war kein Brett.
'Kannst du mir nicht antworten, du Schlampe? Hast du deine Zunge verschluckt oder was?!', sprach meine Mutter nun lauter und ich antwortete immer noch nicht. Das war wieder ein Moment, in dem ich einfach geradeaus starrte um nicht heulen zu müssen.
Ich biss meine Zähne zusammen, schloss dann die Augen und versuchte gleichmäßig zu atmen.
Ich würde es ihr nicht gönnen, mich zum weinen zu bringen.
'Weißt du was, du Mistgeburt, geh einfach verrecken. Selbst wenn du dich von einer beschissenen Brücke runterwerfen würdest, wäre es mir scheiß egal! Ich weiß nicht einmal, warum ich überhaupt meine wertvolle Zeit mit dir verschwende!', schrie sie mich dann an, schubste mich die Treppen runter und knallte die Haustür zu.
Ich hatte nicht einmal etwas gemacht und trotzdem musste ich sowas über mich ergehen lassen.
Meine jetzt schon schmerzende Brust, verkrampfte sich nur noch mehr, als ich in der Schule angekommen bin und meine beste Freundin mich umarmte.
'Unser Sonnenschein ist da', rief sie unserer Gruppe mit einem breiten Lächeln zu, was ich erwiderte, auch wenn ich mich am liebsten irgendwo alleine verkriechen würde.
Was man nicht alles tut, um die glückliche Fassade aufrecht zu erhalten, nicht?《

Ich legte das Buch weg und stand auf.
Mit meiner Zigarettenpackung und einem Feuerzeug ging ich auf mein Balkon und zündete eine Zigarette an.

Meine Wut war kaum zu beschreiben und ich versprach mir selbst, das Mädchen auf jeden Fall zu finden.
Sie kann nicht tot sein, sonst hätte man etwas in den Nachrichten davon gesagt.
Sie ist irgendwo da draußen.
Wahrscheinlich nicht mehr hier in der Stadt, aber sie lebt noch und da bin ich mir sicher.

Ich werde sie finden und dann ihre verdammte Familie abschlachten. Sie haben es nicht verdient in Frieden zu Leben, während sie so sehr leiden musste.

______________

Hallüleee,
jetzt mal nur ein Kapitel aus Damiens Sicht.
Schreibt mal in den Kommentaren, wie ihr die Tagebucheinträge findet bzw. wie ihr zu ihren Gedanken steht.
Ist Damiens Emtscheidung richtig, die Familie von Dhalia umzubringen, wenn er sie gefunden hat?
-Sami💕

AmnesiaWhere stories live. Discover now