Drei

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Die Tür wurde geöffnet und die Thomsons betraten den Raum. Ich verstand jedoch nicht, was genau sie dem Arzt sagten, da ich immer noch versuchte mit dieser neuen Information klar zu kommen.

"Amnesie"

Dieses Wort spukte in meinem Kopf herum und ich hatte langsam das Gefühl, dass es mir den letzten Teil meines früheren Ichs raubte, so komisch es auch klingen mag.

"Hallo Liebes", Mrs. Thomson legte vorsichtig ihre Hand auf meinen Arm und ich drehte meinen Kopf in ihre Richtung.
Sie wischte mir mit ihrer Hand die Tränen aus dem Gesicht und nahm mich plötzlich in den Arm.
Etwas überrumpelt von ihrer Aktion dauerte es einige Sekunden, bis ich mich dann doch in ihren Armen entspannte und nur noch mehr weinen musste. Beruhigend streichelte sie meinen Rücken und durch diese Geste merkte ich, wie ich mich langsam beruhigte.
Die Art wie sie liebevoll versuchte eine ihr fremde Person zu trösten ließ mein Herz erwärmen.

Als sie sich dann langsam von mir löste, bemerkte ich die Tränen an ihren Wangen, die sie sich jedoch schnell mit ihrer Hand wegwischte.

"Danke", sagte ich und sie lächelte mich an.

Der Arzt und Mr. Thomson betraten den Raum und ich fragte mich, wann sie ihn verlassen hatten.

"Miss, wir wollten Sie eigentlich morgen entlassen, aber da Sie ihr Gedächtnis verloren haben und wir somit keine Ihrer Angehörigen benachrichtigen können, wird es problematisch. Wir können Sie ja nicht einfach auf die Straße setzen.", Dr. Greyson kratzte sich nervös an seinem Nacken.

"Wir können sie aufnehmen, Dr. Greyson."

Meine Augen weiteten sich und mein Blick schnellte zu dem Ehepaar, genauso wie der des Arztes.
Dr. Greyson schaute erstaunt das Paar an und wusste anscheinend nicht, was er darauf erwidern sollte, denn er öffnete seinen Mund und schloss ihn daraufhin wieder.

"Mein Mann und ich haben uns gestern darüber unterhalten und haben uns nach ihrer gestrigen Reaktion auf die Frage von Ms. Hale schon gedacht, dass da etwas nicht stimmt. Jedenfalls kamen wir zu dem Schluss, dass wenn sie sich wirklich an nichts erinnern sollte, wir sie gerne aufnehmen würden, wenn das ginge.", erklärte sie uns und schaute mich kurz lächelnd an.

"Darf ich fragen, ob das einen bestimmten Grund hat?",  fragte der Arzt.

"Nun ja, meine Frau ist leider unfruchtbar und wir haben schon lange mit dem Gedanken gespielt ein Kind zu adoptieren. Ich finde, das wäre eine gute Gelegenheit, auch wenn sie kein Kind mehr ist.", sprach nun Mr. Thomson und lachte gegen Ende. Ich konnte immer noch kein Wort sagen, da diese ganze Situation so surreal auf mich wirkte.

"Außerdem würde ein Waisenhaus sie nicht aufnehmen, da sie wahrscheinlich über 18, oder schon 18 ist und ich bezweifle, dass sie von heute auf morgen einen anderen Ort zum wohnen finden wird.", fügte er hinzu.

"Nun ja gut, dann werden wir Ihre Kontaktdaten auf den nötigen Formularen notieren.", sagte der Arzt nachdenklich. Er nahm sich die Unterlagen zur Hand und begann die Adresse, sowie die Telefonnummer der beiden aufzuschreiben.

"Das heißt, ich... ich gehe mit zu Ihnen?", ich klang etwas zweifelnd und wurde daraufhin von allen angeschaut.

"Ja, also natürlich nur wenn das für dich in Ordnung ist, Liebes.", Mrs. Thomson sah mich mit einem hoffnungsvollen Blick an und ich selbst fand keinen Grund, nicht mitzugehen, also nickte ich nur und ihre blauen Augen strahlten vor Freude. Daraufhin kam sie glücklich auf mich zu und zerquetschte mich beinahe mit ihren dünnen Armen.
Die Frau hatte aber wirklich ordentlich viel Kraft, was man bei ihrem schlanken Körper gar nicht glauben mag.

"Danke, danke, danke, danke!", wiederholte sie immer wieder, während sie mich drückte. Ich konnte daraufhin, wie die anderen Anwesenden im Raum nur lachen.
Sie war solch eine liebe Person, es war wirklich traurig, dass sie keine Kinder gebären konnte. Sie wäre sicherlich eine tolle Mutter.

"Ella, du brichst ihr gleich alle Knochen mit deiner Umarmung.", lachte ihr Mann und sie ließ mich langsam los, während ihre Wangen einen leicht rötlichen Ton annahmen.

Diese Frau war wirklich purer Zucker.
Ihre blonden Haare waren hochgesteckt, ihre Haut schien makellos und ihre blauen Augen ließen sie wie einen Engel aussehen. Sie sah sehr jung aus, vielleicht so um die 30, aber nicht älter.

"Also, der Rest wäre ausgefüllt und jetzt fehlen noch Ihre Daten, Miss", der Arzt blickte von den Papieren auf und sah mich an.

"Wie möchten Sie heißen?", fragte er mich und lächelte. Die Situation war fast schon zum kaputt lachen, aber es war wahrscheinlich besser, wenn ich wenigstens versuchte mich damit abzufinden.

"Wie wärs mit Dhalia?", fragte ich dann anschließend in die Runde und bekam als Antwort ein Nicken von allen.

"Okay, dann zu Ihrem Alter. Ich würde vorschlagen, dass wir 18 angeben, da Sie körperlich schon diesem Alter gerecht ausgeprägt sind, wie die Untersuchungen ergeben haben."

"Untersuchungen?", fragte ich verwirrt.

"Ja, Sie waren bewusstlos als Sie hier eintrafen und wurden sofort in die Intensivstation gebracht. Ihre Lungen waren mit Wasser gefüllt, weshalb das Risiko eines Lungenödems sehr hoch war. Wir haben Sie daraufhin auf weitere Schäden im Körper untersucht, unter anderem mit einem EKG und einem Ultraschall am Herzen, damit wir sehen, ob weitere Erkrankungen an Ihrem Herzen vorzufinden sind.
Aber ich kann Sie beruhigen, es ist alles gut. Dennoch müssen Sie auf Grund des Risikos eines Lungenödems zu weiteren Kontrollen in regelmäßigen Abständen herkommen, darüber sprechen wir dann bei Ihrer Entlassung.
Und um nochmal zum eigentlich Thema zu kommen, ihr Körper ist, wie bereits erwähnt, biologisch so ausgeprägt, wie der einer 18 oder 19 Jährigen.", berichtete der Arzt.

Ich nickte nur und der Arzt überreichte mir die Unterlagen, die ich unterschreiben sollte. Daraufhin verabschiedete er sich und verließ den Raum.

Das fühlte sich alles einfach so komisch an, als würde das alles nicht echt sein. Als wäre ich in einer Art Spiel, indem man sich selbst Name und Alter aussuchen konnte. Aber das hier war kein Spiel, bei dem man nach einigen Level gewinnen oder verlieren konnte. Das war hier leider das reale Leben, mit dem jeder einzelne Mensch auf irgendeiner Art und Weise klarkommen musste.

"Also Dhalia, erstmal willkommen in der Familie", sagte Mrs. Thomson und sorgte dafür, dass ich mich wieder auf die Gegenwart konzentrierte.

"Ich bin Ella Thomson und das ist James, mein Mann, wie du bereits weißt.", sprach sie weiter und lächelte.

"Freut mich Sie-"

"Bitte duze uns. Sonst ist das alles so unpersönlich und immerhin wohnst du ab morgen bei uns.", Mrs. Thomson nickte ihrem Mann bestätigend zu, nachdem er fertig gesprochen hatte.

"Okay. Freut mich euch beide kennenzulernen und danke, dass ihr mich bei euch wohnen lässt."

"Ach Schätzchen, das ist doch kein Problem. Unser Haus ist eh zu groß für nur zwei Personen. Naja, wir gehen dann auch mal. Bis morgen!", beide verabschiedeten sich von mir und Mrs. Thomson, ich meine Ella, umarmte mich nochmal zum Abschied.

"Bis morgen", erwiderte ich lächelnd und dann waren beide auch schon weg.

AmnesiaOù les histoires vivent. Découvrez maintenant