Kapitel 5

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Ava zog mich durch die verschachtelten Gänge und ich musste aufpassen, um weder über meine Füße, noch über das lange Kleid zu stolpern.
Schließlich hielten wir vor einer Tür an.
Die Tür war, ähnlich wie meine, mit Schnitzereien verziert.
Neugierig studierte ich die liebevollen Details. Im Gegensatz zu dem Eingang in "meine" Räumlichkeiten, war diese Tür zweiflügelig und bot so Platz für unzählige geschnitzte Figuren.
Direkt vor mir trank ein Einhorn aus einem See.

Ava legte eine Hand auf meinen Arm.
Ich zuckte zusammen.
"Also, das einzige was du tun musst, ist dein Kinn oben zu halten und nach vorne zu kommen, wenn du gerufen wirst."
Das sagte sich so einfach. Wieder nagte ich an meiner Lippe, was mir einen tadelnden Blick von der Heilerin einbrachte.
"Was, wenn man etwas zu mir sagt, was ich nicht verstehe? Oder wenn man mich nicht akzeptiert? Oder wenn man herausfindet, dass ich ein..."
Weiter kam ich nicht.
Ava legte sanft einen Finger auf meine Lippen. Ich konnte das Prickeln ihrer heilenden Kräfte spüren.
"Nicht hier", murmelte sie und sah sich um.
"Aber außer dir versteht mich doch sowieso keiner."

Ich wollte Antworten, bevor ich da rein ging.
Sie schüttelte den Kopf.
"Das stimmt so nicht. Lord Lorcans oberster Kriegsherr versteht Englisch. Er ist nur wenig jünger als ich und hat damals zusammen mit meinem Gefährten zuerst gegen die Menschen und dann gegen die anderen Fae gekämpft. Sie waren gute Freunde.
Er spricht ebenso gut wie ich."
Ich starrte sie an. Es gab also wirklich noch mehr Leute, die mich verstehen konnten.
Dann kam mir ein anderer Gedanke.
"Wie erklären wir ihnen eigentlich, warum ich kein Gälisch spreche?
Oder wie ich überhaupt hier herkomme?"
Ein Lächeln breite sich auf ihrem Gesicht aus und brachte ihre Augen zum Funkeln.

"Überlasse das nur mir. Wir werden ihnen sagen, dass du nicht genau weißt, wie du hierher gekommen bist. Allerdings vermute ich, dass du eine der wenigen bist, die es aus den Winterländern über die Grenze geschafft haben. Was auch immer du vorhattest, wer auch immer du warst, was du in den Bergen erlebt hast, hat dich tief traumatisiert und du willst oder kannst nicht darüber sprechen. Auch dein Name ist dir nicht bewusst, also hast du der Patrouille, die dich aufgegriffen hat, den erstbesten Namen genannt, der dir eingefallen ist.
Und was die Sprache angeht, so hat seit Jahrhunderten niemand mehr einen Fuß in die Winterländer gesetzt."
Sie stockte.
"Nun ja, zumindest ist niemand mehr zurückgekehrt, der zuverlässige Informationen über die Winterländer hätte überbringen können. Wir wissen also genauso wenig wie du."
Die Heilerin zwinkerte mir zu.
Wow, das hatte sie sich alles eben ausgedacht?
Sie bemerkte meinen erstaunten Blick und erwiderte:
"Ich habe die Zeit genutzt, in der du dich gewaschen hast."

Dankbar nickte ich.
"Warum tust du das alles für mich? Ich meine, glaub nicht, dass ich nicht dankbar wäre, aber... Warum?"
In ihren Augen schimmerte eine unglaubliche Wärme.
"Du erinnerst mich an jemanden."
Mehr sagte sie dazu nicht.
Eine Sache fiel mir noch ein:
"Ich dachte immer, Faeries können nicht lügen?"
Die Heilerin hob eine Augenbraue.

"Zuerst einmal, Faeries können durchaus lügen. Glaube niemals einer Fee. Die süßen, kleinen Dinger haben es in sich. Und ein Leprechaun bringt dich ohne zu Zögern um all dein Gold.
Aber Fae, also die Bewohner der Länder, na ja, uns sollte man erst recht nicht trauen."

Sie grinste. Dabei fiel mir auf, dass ihre Zähne ziemlich scharf aussahen. Mir schauderte es.

"Wir", fügte sie hinzu, "können zwar nicht direkt lügen, aber wir verdrehen so ziemlich alles, was wir können zu unserem Vorteil."
Sie klang beinahe bitter.

"Aber der Mann, der mich her gebracht hat, nannte mich eine Lügnerin. Nur weil ihm mein Name nicht gefiel. Was habt ihr eigentlich mit Namen?"
Ava lachte.

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