Kapitel 1

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Das flackernden Kerzenlicht warf verzerrte Schatten an die Wände. Der vor mir sah aus, wie ein dickes Känguru. Ich kicherte. Das brachte mir einen scharfen Blick von der Studentin neben mir ein. Dann kniff sie die rot geschminkten Lippen zusammen und zupfte den Ärmel ihrer albernen Robe zurecht. Allerdings sollte ich vielleicht nicht so gemein sein - schließlich trug ich die gleiche Mischung aus Nachthemd und Bademantel. Und mit meiner bleichen Haut sah ich wahrscheinlich noch toter aus als Vampirella neben mir. Denn obwohl die selbsternannte Anführerin der "Schwestern" (die Oberschwester?) uns die Kleider vorhin mit den Worten "fühlt euch geehrt" in die Hand gedrückt hatte, fühlte ich mich eher albern. Wenigstens war ich nicht die einzige, die aus der Menge hervorstach. Von meiner Position neben der Tür aus konnte ich den ganzen Raum beobachten. Und Sarah sah genauso verloren aus, wie ich mich fühlte. In ihre viel zu weite Robe gehüllt, sah sie sich mit großen Augen um. Aber anders als ich schien sie die verhängten Fenster des eigentlich hellen und freundlichen Aufenthaltsraumes der Universität nicht beunruhigend oder seltsam zu finden. Nein, die Röte in ihren Wangen war von hier aus noch zu sehen. Sie war aufgeregt. Oder vielleicht war es ihr auch einfach zu warm hier, so wie mir. Die Mischung aus den vielen brennenden Kerzen und den Räucherstäbchen machte die Luft dick und erschwerte mir das Atmen. Viel lieber würde ich jetzt in meinem Wohnheim sitzen und meinen Shakespeare Aufsatz überarbeiten. Aber ich hatte es Sarah versprochen!

Unsere Blicke trafen sich und sie lächelte über das ganze Gesicht. Ihre strahlend grünen Augen leuchteten. Und in dem Moment sah Sarah aus, als würde sie hier hin gehören. In eine Welt von Kerzenlicht, fantastischen Ritualen und Fairies. Selbst der leichte Geruch von Putzmittel, der sich mit den Räucherstäbchen mischte, machte die Illusion nicht kaputt. Die anderen "Schwestern" verblassten vor meinen Augen und auch der Raum schien sich zu verändern. Statt der bunten Tücher, die jetzt an den Wänden hingen, sah ich Steinmauern und Fackeln. Und dazwischen Sarah. Ihre blonden Locken glänzten im Feuerschein wie Gold. Sie sah aus wie eine Elfe. Nur ihr Gesicht glühte immer noch rot vor Aufregung. Das brachte mich zurück in die Realität. Ich schüttelte den Kopf. Was zur Hölle taten die hier in ihre Räucherstäbchen? 

Eine kühle Hand auf meinem Arm ließ mich zusammenzucken. Sarah hatte die Stirn gerunzelt und sah ein wenig besorgt aus, aber bevor sie etwas sagen konnte, erklang das durchdringendes Klingeln einer Glocke.
Als sie sicher war, dass sie unsere gesamte Aufmerksamkeit hatte, räusperte sich die Oberschwester.

Ich starrte auf ihre blutroten Lippen. Trotz der Kutte und des gälischen Schnickschnacks schien sie recht modebewusst zu sein. Irgendwie hatte ich mir den Irish Mythology Club, dem Sarah unbedingt beitreten wollte, etwas weniger wie einen Grusel-Kult vorgestellt.
Ein Schauder jagte mir über den Rücken. Mit einer hohen, klaren Stimme begann sie zu sprechen, und im gleichen Moment begann leise Harfenmusik aus einem versteckten Lautsprecher zu klingen. Wie lange hatten die das wohl geprobt? Die Worte der Oberschwester rissen mich aus meinen Gedanken.
"Liebe Schwestern, ein weiteres Jahr ist vergangen und es ist wieder Bealtaine!"
Hier machte sie eine Pause und die anderen "Schwestern" lauschten erwartungsvoll.
"Der Sommer beginnt bald und wir wollen danken. Danken für das Feuer, das uns wärmt und für den Schutz und das Wohlwollen, das uns die "Alten Wesen" jedes Jahr aufs neue schenken. Und auch dieses Jahr bitten wir wieder um Schutz."
Sie begann, eine lange Liste von Namen aufzuzählen und nach jedem Namen antworten die anderen etwas, dass ich nicht verstand. Es erinnerte mich auf seltsame Art und Weise an einen Gottesdienst. 

Es war auch schon eine Weile her, dass ich dass letzte Mal in der Kirche war. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass das Gesprochene kein Latein war, sondern... Gälisch? Weil ich erst im zweiten Highschool Jahr nach Irland gezogen war, hatte ich die Landessprache nie wirklich gelernt. Versucht, ja, aber ohne viel Erfolg. Ich war Sarah deshalb unglaublich dankbar, als sie sich vorbeugte und mir ins Ohr flüsterte:
"Sie danken dem "Seelie Court", dass die sie uns vor den "Unseelie" beschützen." Ich erinnerte mich dunkel, dass Sarah, die Englisch und Mythologie studierte, mal etwas davon erzählt hatte.
"Außerdem", fuhr Sarah flüsternd fort, "bitten sie die Königin der Sommerländer und die Herzogin der Frühlingsländer um..."
Sie brach ab und hörte angespannt zu.
"Um Schutz und Fruchtbarkeit."
Ich konnte das Kichern nicht zurückhalten, aber die anderen ignorierten mich einfach. Vielleicht waren sie zu vertieft in ihr Ritual? Oder vielleicht war es ihnen zu wichtig, um jetzt einen Streit anzufangen. Schnell riss ich mich zusammen. Sarah betrachtete mich und ich fragte mich plötzlich, ob sie Mitleid mit mir hatte, weil ich so offensichtlich fehl am Platz war. Scheinbar, denn sie stellte sich wieder auf Zehenspitzen und flüsterte in mein Ohr:
"Sie sagen: "Go raibh maith agat. Das heißt danke."
Die Aufforderung war klar. Und ich wollte kein Spielverderber sein. Also gab ich mir Mühe, etwa so wie die anderen zu klingen.
"Go räf machagut"
Oder so ähnlich. Aber unter den vielen Stimmen fiel ich nicht auf. Sarah lächelte mir aufmunternd zu.

Gewünscht-Band 1-Herbst #TeaAward2018 #magicheartawards2018 #dreamaward2018Where stories live. Discover now