6. Kapitel: WOLKEN AM HORIZONT

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Als sich Flaviminius Blick langsam wieder klärte, erblickte er einen der uniformierten Bediensteten.

»Was gibt es, dass Ihr meine wohlverdiente Ruhe stören müsst?« Seine Stimme wurde dabei lauter als beabsichtigt. »Es ist mitten in der Nacht. Also, was ist, hat es Euch die Sprache verschlagen. Nun sagt schon und wenn es nicht etwas ganz dringendes ist, dann lasst mich gefälligst in Ruhe.«

Es folgte ein Augenblick der Stille. Der Bedienstete war zu überrascht vom Auftritt des jungen Adeligen und musste erst einmal die Fassung zurückgewinnen. Er war innerhalb kürzester Zeit innerlich geschrumpft. Schließlich brachte er untergeben etwas hervor. Seine Stimme zitterte merklich. »Verzeiht mir die Störung, aber der Turniermarschall ließ euch rufen. Er sagte es sei dringend und Ihr sollt sofort erscheinen. Jede Verzögerung kann Schlimmes bedeuten.«

Das rüttelte Flaviminius wach und er bemerkte, wie er sich seinem gegenüber benommen hatte. Aber um sich zu entschuldigen war jetzt keine Zeit und jemand seiner Stellung hatte das auch gar nicht nötig.

»Richtet dem Herrn Turniermarschall, seiner Exzellenz von Kolburg aus, dass ich ihn in wenigen Minuten in seiner Schreibstube aufsuchen werde.«

»Sehr wohl«, der Bedienstete, nur ein oder zwei Jahre jünger als Flaviminius, verbeugte sich noch einmal und beeilte sich dann die Botschaft zu überbringen. Flaviminius wollte gerade die Tür schließen, als er im Augenwinkel eine Bewegung an einer der gegenüberliegenden Zimmertüren ausmachte. Es war ziemlich dunkel im Gang, weshalb er nicht viel erkennen konnte. Er meinte jedoch, es sei Beorn, der dort hinter der Tür verschwand. Zumindest die Statur der Person sprach dafür. Kurz überlegte Flaviminius an die Tür zu klopfen, aber dann erinnerte sich wieder, dass ja Eile geboten war. Also warf er sich schnell eine weite Robe über, nahm seinen Magierstab zur Hand und verließ seine Gemächer.

Dabei schritt er an der Tür entlang, welche aller Wahrscheinlichkeit nach zu Beorns Räumlichkeiten führte. Einen anderen Grund gab es wohl nicht, dass er dort hineinging. Oder doch? Flaviminius beschloss, das bei nächster Gelegenheit zu klären. Trotzdem fragte er sich, was der Thorwaler des Nachts in der Burg trieb und weshalb er seine eigenen Gemächer verließ.

Schließlich gelangte er in den Burghof. Die Nachtluft war angenehm kühl. Von dem Unwetter am Abend war nichts zurückgeblieben, nur einige wenige Wolken, hinter denen die Sterne hervorblinzelten. Er verdrängte die Gedanken an Beorn und schritt zügig auf das Nebengebäude zu, in welchem die Verwaltung organisiert war. Davor standen zwei schwer gerüstete Wachen und auch auf den Gängen sah er mehr Wachen mit Fackeln als normalerweise patrouillieren. Er zählte fast zwei Dutzend allein auf den Mauern, mehr als zwei Lanzen. Dazu kamen noch mehrere Gardisten, welche über den Hof eilten. Sie alle wirkten hektisch und es wurden Befehle gebrüllt. Gerade rückte eine weitere Lanze durch das große Tor in die Stadt aus. Es musste irgendetwas geschehen sein. Etwas, das solche Waffengewalt rechtfertigte. Wurde die Stadt etwa angegriffen? Ihm schossen die Gedanken an die angeblichen Orkübergriffe durch den Kopf. Aber dann hätte man sicherlich auch im Rest der Stadt laut Alarm gegeben. Und man hätte nicht nur Gardisten sondern auch Bürger erblickt. Danach sah es aber nicht aus. Was also konnte sonst geschehen sein? Seine zweite Idee war der Stein. Aber warum deswegen so viele Gardisten? Er war doch wohl nicht etwa gestohlen worden? Aber aus der Schatzkammer des Königs, bei sowieso schon verstärkter Bewachung. Das erschien ihm unmöglich. Es sei denn natürlich, der König hatte den Stein nicht zurück in die Schatzkammer bringen lassen oder anderweitig bewachen lassen. Aber auch das war ausgeschlossen. Efferdan war bei weitem nicht so ein Dummkopf wie viele andere Andergaster. Eigentlich war er ja auch Horasier, aber das tat hier wenig zur Sache. Vielleicht hatte es auch eine magische Entladung des Steines gegeben oder es war ein Attentäter in der Stadt. Es gab wieder einmal zu viele Möglichkeiten. Ihm blieb also nichts anderes übrig als mit Wolorion zu sprechen.

Die Legenden von Ni'Uan - Die Rückkehr der DruidenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt