prolog

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- Juniper -

Schnee.

Es ist wieder diese seltsame Jahreszeit, in welcher große und dicke Schneeflocken zu Boden fallen und als weiße Decke über Häusern, Tälern und Feldern liegen bleiben. Die Kälte wirkt viel angenehmer, der Anblick hat etwas Beruhigendes.

Schweigend betrachte ich die Gegend außerhalb des Buntglases, das die Szene dort draußen in seiner Farbe vollkommen verfälscht. Ich verschränke meine Hände hinter meinem Rücken und schließe die Augen. Mich beschleicht das dumpfe Gefühl, dass meine Ruhe gleich gestört wird. Und mein Gefühl trügt mich nicht. Es klopft.

»Tretet ein.«, herrsche ich an, höre kurz darauf das laute Knarren der schweren, hölzernen Tür.

»Juniper.«

Ich drehe mich zum Besitzer der Stimme und mein strenger Gesichtsausdruck wird augenblicklich weicher.

»Zion. Seit wann seid ihr zurück?«, entgegne ich und gehe auf den Schwarzhaarigen zu.

»Wir sind gerade angekommen.«

»Und wo hast du Yasha gelassen?«

Ich kann noch nicht einmal die Antwort abwarten. Irgendjemand hechtet geradewegs zur Tür herein, legt sich der Länge nach auf den Boden. Meine Hand liegt locker am Griff meines Schwertes, während ich erleichtert die Luft aus den Lungen lasse.

»Beantwortet das deine Frage?«, höre ich Zions Stimme, während ich auf den gelockten Kopf auf dem Boden blicke.

»Nein. Yasha, was tust du da unten?«

»Carla hat mich eben abgefangen. Dein Vater will dich sehen, es sei ziemlich dringend.«

»Du lässt dir Befehle von einem Dienstmädchen erteilen?«, fragt Zion und ich sehe auf. 

Leicht umständlich gehe ich über Yasha, der sich keineswegs die Mühe macht, wieder aufzustehen und bewege mich auf die hölzerne Tür zu.

»In den momentanen Umständen schon, ja! Das könntest du auch mal machen, Zion.«

»Ich heiße nicht Yasha und lasse mich garantiert nicht auf dieses Niveau herunter! Außer-«

»Ein Herz und eine Seele. Wie ich diese Sticheleien vermisst habe.«, unterbreche ich die beiden,  »Könnten wir jetzt vielleicht, falls es den Herren genehm wäre?«

Ohne einen weiteren Mucks folgen mir die beiden. Der Weg führt einen breiten Gang entlang, eine steinerne Wendeltreppe hinauf und weiter durch den nächsten Gang. Ich weiß, wohin mein Weg mich führt und ich weiß auch, dass Zion und Yasha von ihrem Ausritt mehr als nur müde sein müssen. Womöglich sind sie beide völlig durchgefroren und bekommen dennoch nicht die Zeit, sich erst einmal aufzuwärmen.

Als ich an der richtigen Tür angekommen bin, öffne ich diese, ohne großartig darüber nachzudenken, ob sich ein solches Verhalten ziemen würde oder nicht.

»Juniper... bist du das?«, höre ich die kränkliche Stimme meines Vaters und erblicke meine Mutter auf dem kleinen Stuhl neben dem Bett.

»Ihr habt nach mir verlangt.«, erwidere ich.

Auch Zion und Yasha stehen mit in dem großen Schlafsaal, die Blicke gesenkt und ihre rechten Hände auf der Stelle ihrer Herzen liegend. Ich weiß, dass sie erst reden dürfen, wenn sie dazu aufgefordert werden. Ich habe nie verstanden, warum. Ich sehe meine Mutter an, in Schwarz gekleidet, ein quälender Anblick, der mir Schmerzen in der Brust bereitet.

»Tritt näher, mein Sohn.«

Meine Mutter nickt mir traurig zu und nur widerwillig folge ich dem Befehl meines Vaters. Wir hatten noch nie das beste Verhältnis. Ich war der Jüngste von neun Söhnen, der Letzte der Thronfolge. Der Einzige, der ihn noch besteigen kann. Alle meine acht älteren Brüder waren dahin gerafft, einer nach dem anderen. Von einer unbekannten Krankheit, langsam, qualvoll. Und nun ist mein Vater an der Reihe. Er liegt im Sterben, das weiß ich. Aber ich verspüre keine Trauer. Ich darf keine Trauer verspüren. Neben dem Bett meines Vaters bleibe ich stehen. Zion und Yasha bleiben an der Tür stehen und rühren sich nicht. In solchen Momenten wirken sie selbst für mich wie Statuen. Selbstverständlich sind noch mehr Bedienstete im Schlafsaal, sowas wie Privatsphäre gibt es hier schließlich nicht. Als mein Vater nach meinem Handgelenk greift, gefriert mir das Blut in den Adern.

forgotten kingsWhere stories live. Discover now