5 / Eine alte Tradition

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Spät abends machen wir uns auf den Weg in die Gemeinschaftsräume und ich merke, wie erschöpft ich von der Anreise bin. Selbst der Beginn des sechsten Schuljahres ist noch immer aufregend für mich. Ich bin schon gespannt die neuen Slytherins kennenzulernen und kann die alljährliche Begrüßungsrunde kaum erwarten.

    Beim Betreten der Kerker entdecke ich stolze und staunende Blicke der Erstklässler, aber auch einige ängstliche. Als wir unseren Gemeinschaftsraum erreichen, ist bereits eine große Fläche in der Mitte freigeräumt, auf die wir die Neulinge schicken. Von uns älteren weiß jeder was zu tun ist. Rasch bilden wir einen großen Kreis und zücken unsere Zauberstäbe. Es ist ein großartiges Gefühl nach Wochen wieder meinen Zauberstab in den Händen halten zu können und als ich ihn in die Mitte richte, spüre ich die hauchdünne Einkerbung am unteren Rande des Weißdornholzes, die mir ein Gefühl von Geborgenheit gibt.

    Gespannt blicke ich in die Runde und warte auf das entscheidende Zeichen von Emerald, unserem Vertrauensschüler. Und noch ehe die Erstklässler wissen wie ihnen geschieht, ertönt auch schon von allen Seiten: „Aguamenti!" Dutzende Wassersträhle schießen wie kleine Schlangen aus unseren Zauberstäben hervor und vereinigen sich in der Mitte zu einem riesigen Wasserwirbel, der sich in Sekundenschnelle über die verdutzten Neulinge ergießt und die gut getarnten „Wasserfeurigen Wunderknaller" entzündet.

Die erschrockenen Blicke und Aufschreie der Erstklässler gehen in Lachen und Jubel über, als ein buntes Feuerwerk über unseren Köpfen losgeht und das sonst so düstere Kerkergewölbe in ein helles, knalliges Licht versetzt. Es fühlt sich überwältigend an, die strahlenden und aufgeregten Gesichter der neuen Schüler zu sehen, die jetzt vollkommen in unserer Gemeinschaft aufgenommen sind.

    Als auch der letzte verpuffte Wunderknaller zu Boden fällt, sieht unser Gemeinschaftsraum vollkommen verwüstet aus. Überall liegen rauchende Knallkörper herum, die Möbel sind noch immer unordentlich an den Rand geschoben und der Boden ist komplett mit Wasser überschwemmt. Doch keiner scheint sich darüber zu ärgern. Gemeinsam machen wir uns an die Arbeit und beginnen das Chaos zu beseitigen. Mit Sam und Kuri mache ich mich daran die Möbel zu trocknen, die bei der Begrüßungsrunde nass geworden sind. Während ich gerade dabei bin, einen der schwarzen Lehnstühle trocken zu wischen, entdecke ich Kuris kleine Schwester auf uns zulaufen.

    „Hey Cleo!", begrüße ich sie und reiche ihr grinsend ein Tuch rüber, mit dem sie sich ihre klitschnassen Haare trocken ruffelt. Ihre goldigen Locken schimmern im grünlichen Licht des Kerkergewölbes und ihr Gesicht ist, wie auch das ihres Bruders, mit kleinen Sommersprossen übersät.

    „Ihr müsst Alasca und Samantha sein, oder?", fragt sie beiläufig und wendet sich dann mit zornigem Blick ihrem Bruder zu: „Warum hast du mir nicht erzählt, dass ihr uns gleich am ersten Tag mit einem riesigen Wasserschwall begrüßt? Ich bin komplett durchnässt!"

    „Genau das ist doch der Sinn, Cleo. Ich hatte damals auch keinen blassen Schimmer, dass mich so etwas erwarten würde. Aber nun hilf uns lieber den großen Tisch zurück an seinen Platz zu stellen!", antwortet Kuri barsch.

    „Wie denn?", fragend blickt Cleo ihren Bruder an. „Ich kann doch noch nicht so gut zaubern wie ihr"

    „Das ist nicht schlimm! Schau, wir benutzten alle noch keine Magie", erkläre ich ihr geduldig. „Seit zwanzig Jahren werden die Neulinge in Slytherin schon mit dieser kleinen Zeremonie begrüßt. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Tag in Hogwarts. Meine Mutter ist eine Squib, mein Vater ein Muggel. Und da meine Großeltern und Urgroßeltern die Zauberschule Castelobruxo besucht haben, bin ich seit Jahren die erste, die wieder nach Hogwarts geht. Die Begrüßungszeremonie finde ich wirklich großartig. Am ersten Abend nehmen wir die neuen Erstklässler mit einer Wasserdusche bei uns in der Gemeinschaft auf. Schließlich ist Wasser das Element Slytherins. Und danach räumen wir alle zusammen unseren Gemeinschaftsraum auf; ganz ohne Magie"

    „Dabei haben sich auch Sca und ich kennengelernt!", wirft Sam ein und zwinkert mir verschmitzt zu. Diesen Moment werde ich niemals vergessen.

    „Am letzten Abend des Schuljahres machen wir dann immer eine kleine Abschlussparty", fährt Sam fort. „Danach sieht unser Gemeinschaftsraum meist so verwüstet aus, dass man ihn kaum noch wiedererkennt. Das ist immer ein prima Anlass, um ihn neu einzurichten. Dabei können wir dann alle die neuen Zaubersprüche ausprobieren, die wir das Schuljahr über gelernt haben"

Nach einer halben Stunde sieht alles wieder ordentlich aus und ich merke wie ich langsam müde werde. Cleo hat sich inzwischen zu einer Gruppe anderer Erstklässler gesellt, die sich neugierig über die verschiedenen Häuser austauschen. Sam und ich beschließen schon in den Schlafsaal zu gehen und unsere Betten einzurichten. Nachdem wir auf dem Boden eine große Runde Zauberschach gespielt haben, fallen wir beide müde ins Bett und es dauert nicht lange, bis ich eingeschlummert bin.

    Plötzlich werde ich aus dem Schlaf gerissen. Ich schrecke hoch und blicke mich im Raum um. Es ist dunkel und die anderen scheinen noch zu schlafen. Vorsichtig taste ich nach meinem Zauberstab und flüstere: „Lumos Minima!" Ein zartes Licht erscheint aus der Spitze meines Zauberstabes und ich schaue mich vor meinem Bett um und suche etwas, das mich geweckt haben könnte. Im Schlaf habe ich deutlich gespürt, wie mich etwas am Arm angestupst hat, doch nun kann ich nichts Auffälliges entdecken. Schließlich kuschele ich mich zurück in meine Decke und versuche wieder einzuschlafen. Das Wasser des Großen Sees plätschert beruhigend an die Fenster des Schlafsaals und vermischt sich schon bald mit den Klängen meiner Träume.

ALASCA PRINCE und der letzte TodesserWhere stories live. Discover now