11 / Im Verbotenen Wald

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Sanft kitzeln die Gräser mit jedem Windzug meine Knöchel. Die Luft ist inzwischen in eine eisige Brise übergegangen und ich verspüre wie sich eine Gänsehaut entlang meiner Arme breitmacht. Ob vor Kühle oder in Anbetracht der vergangenen Ereignisse vermag ich kaum zu sagen. Die dämmrige Ruhe des Verbotenen Waldes lässt mich das erste Mal seit Wochen wieder frei aufatmen. Noch nie zuvor war mir der silbrige Glanz aufgefallen, der sich im Schein des zunehmenden, fast kugelrunden Mondes ergab.

    Seit nun schon knapp einem Monat mühe ich mich damit ab, Tag für Tag den Gedankenstrudel in meinem Kopf zurückzudrängen. Nicht zuzulassen, dass die eiserne Fassade des Erduldens in sich zusammenfällt. Doch hier, inmitten des Einklangs aus Bäumen und Gräsern und Käfern, kann ich mich dem einengenden Druck nicht länger entgegenstemmen. Die Gedanken schwappen über mich wie eine sich seit Wochen aufbauende Welle.

Mit einem schiefen Grinsen zwinkert Toivo Yukina zu. Ruth ruft ihrem Bruder erbost etwas hinterher. „Ich habe gehört, dass einige Lehrer im Laufe des Schuljahres Hogwarts verlassen haben sollen..." Ich blättere in ein altes, ledergebundenes Buch hinein, dessen Seiten teilweise bereits eingerissen und vergilbt sind. „Ich bitte dich, Alasca, vertrau mir!" Dort schwebt ein sich kreisender Körper, dessen Brust sich gleichmäßig auf und absenkt, wohingegen der Blick leer und starr erscheint...

Ein Rascheln lässt mich aufschrecken. Wachsam beobachte ich, dass ein älterer Junge aus dem Dickicht der Bäume heraus auf die Lichtung tritt. Gebannt starre ich in seine gelblich-grünen Augen, die aus seinem olivfarbenen Gesicht hervorstechen wie die Grindelohs aus dem Algengeflecht des Großen Sees. Erst auf den zweiten Blick fällt mir auf, welch kränklichen Eindruck er macht. Seine Arme sind schwulstig verschorft und seine Wangen glühen fiebrig.

    „Alasca Prince", raunt er mir plötzlich über die Leere der Lichtung hinweg zu.

    Ich schrecke zusammen, bleibe aber verunsichert von der direkten Ansprache schweigend sitzen. Er tritt weiter auf die Lichtung und schlagartig fangen die Erinnerungen sich in mir zu regen an.

    „Du bist Carlin, aus Ravenclaw, habe ich Recht?", frage ich leiser als ich eigentlich klingen wollte. „Muss aber schon eine ganze Weil her sein, dass ich dich zuletzt hier in Hogwarts gesehen habe"

    „Das ist es auch", erwidert Carlin. Seine Stimme ist ruhig und beständig. „Vor eineinhalb Jahren bin ich zuletzt hier gewesen. Das vergangene Jahr wäre mein Abschlussjahr gewesen - hätte ich nicht wegen gewisser Umstände im Winter die Schule verlassen müssen"

Wegen gewisser Umstände. Die Aussage ist so gezielt distanziert, dass ich es nicht wage, tiefer nachzuhaken. Stattdessen rate ich: „Und nun bist du hier, um die verpassten Abschlussprüfungen nachzuholen"

    „Nein, Alasca, ich bin hier, weil ich noch etwas erledigen muss, bevor ich Hogwarts endgültig verlasse"

Ich will etwas erwidern, doch Carlin lässt mich verdutzt stehen und verschwindet, ohne sich noch einmal umzublicken, in das Dickicht der Bäume hinein. Erst jetzt bemerke ich, wie zusammengesunken ich im klammen Gras sitze. Bemüht mich aufzurichten, nehme ich einen tiefen Atemzug und straffe meine Schultern. So sehr ich mich in Hogwarts auch geborgen fühle, so sehr erdrückt mich dieser Ort so manches Mal mit einer ungeahnten Seltsamkeit.

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⏰ Last updated: Mar 03, 2022 ⏰

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ALASCA PRINCE und der letzte TodesserWhere stories live. Discover now