Kapitel 22

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Keine P.O.V.

Nur zögernd kann er sich überwinden sie anzuschauen. Nur mit Mühe kann er die Tränen verdrängen. Nur mit viel Kraft konnte er heute kommen. Kraft, von der nicht mehr viel übrig geblieben ist. Seine Schritte sind nur langsam, sein Körper verspannt, sein Blick getrübt und auf den Boden gesenkt. Er geht vorne drauß, hinter ihm kommt niemand. Niemand der ihm folgt oder ihm jetzt beisteht. Seine Freunde sitzen in den Bänken, alle zusammen, und starren ihm nach, beobachten ihn genau. Er ist schon fast bei ihrem Sarg angekommen. Obwohl sie noch so jung war, so unschuldig, ist sie gegangen. Die Liebe seines Lebens hat ihn verlassen. Zögernd und stark zitternd wirft er einen Blick in den Holzsarg, und wendet ihn nicht ab. Seine Tränen kann er spätestens jetzt nicht mehr zurückhalten. Er weint los, still und leise. Lange hält er es nicht aus, denn schon nach kurzem erfüllen seine kläglichen Hilferufe die Kirche. Den Anderen gehen seine Schreie bis unter die Haut, so arg schockieren sie. Seine Tränen tropfen lautlos auf ihre bleiche, kalte Haut und weilen dort. Sein Blick hat sich auf ihr regloses Gesicht gerichtet, er saugt ihr Aussehen ein letztes Mal ein und wendet sich ab, ohne es zu wollen. Seine Hände lässt er schlapp hinunterhängen, leblos am Körper. Er schaut in Richtung der Leute, die dort sitzen und ihn anstarren. Sein Blick schweift einmal über die Leute, schnell und flüchtig. Dann geht er zögernd zur Kanzel. Er stellt sich hin und wartet einen kurzen Moment. Er versucht seine Stimme so fest wie möglich klingen zu lassen, doch trotzdem hört man den Schmerz dahinter, der seinen Körper überfallen hat. Er schluckt einmal in das Mikrofon und richtet es sich hin, um hinein sprechen zu können. Dann beginnt er, zaghaft und leise.

"Ich weiß nicht wie das passieren konnte", fängt er an. "Ich weiß nicht, warum sie sich das angetan hat, warum sie es gemacht hat, aber ich kann es nicht rückgängig machen. Ich würde es machen, keine Frage. Nach mir würde sie sofort wieder hier sein. Ich wünsche mir nichts sehnlicher als sie in meinem Arm zu halten, sie zu küssen und ihre Anwesenheit zu spüren. Obwohl es erst ein paar wenige Wochen sind, in denen ich sie kenne, kommt es mir so vor als wären es Jahre. Ich vermisse sie so sehr."

Sein Gesicht verzieht sich und wird er wird von seinen Schluchzern unterbrochen. Er stützt den Kopf in seine Hand, ehe er sich fasst und fortfährt.

"Ich bin ihr so dankbar, für alles was sie für mich getan hat. Für all die Kraft, die sie mir gegeben hat. Es tut mir nur leid, dass ich ihr nicht helfen konnte. Eigentlich sollten wir hier nicht wegen diesem Anlass dasein, eigentlich müsste sie jetzt in einem weißen Kleid neben mir stehen und strahlen. Aber sie ist weg."

Er stoppt.

"Ich weiß aber auch, dass es ihr dort oben gut geht. Sie ist nicht allein. Sie hat ihre Schwester. Ich kann meine Trauer nicht in Worte fassen. Ich kann sie nicht einmal annähernd beschreiben auch wenn ich wollte. Es fühlt sich alles so leer an, als hätte sie einen Teil von mir mitgerissen. Obwohl es mich tröstet, dass ich zum Teil bei ihr bin, und sie zum Teil bei mir, aber es tröstet mich nicht wirklich. Es tut mir leid, dass ich sie nicht retten konnte. Es hätte mich treffen sollen, nicht sie."

Er verlässt die Kanzel und geht mit gesenktem Blick davon, zu seinem Platz in einer der hintersten Bankreihen. Einer seiner Freunde klopt ihm kurz schlicht auf die Schulter und blickt ihn mitleidig an. Auch er kannte sie, nicht so gut wie er, aber er kannte sie.

Nachdem auch noch ein paar ihrer Freunde geredet haben, und ihrer Trauer in irgendeiner Weise versucht hatten zu deuten, stehen alle draußen und reden in kleinen Gruppen. Er steht in einem Kreis mit seinen Freunden und blickt auf den asphaltierten Boden. Es kommt ihm so vor, als hätte er schon Literweise geweint, wegen ihr. Seinem Mädchen, dass ihn ohne Abschied verlassen hat. Er weiß nun, was echter Schmerz ist.

NIALL P.O.V.

"Ich glaube nicht das es was bringt", quengele ich lustlos. Finn sticht mir grob eine Nadel in meinen Arm. Ich schaue ihr nur zu, wie sie sich in mein Fleisch bohrt, aber ich spüre nichts. Seit gestern liege ich hier, im Krankenhaus und starre vor mich hin. Ich habe hohes Fieber bekommen. Die Jungs haben mich dann panisch sofort ins Krankenhaus gebracht, ohne mir auch die Chance zu geben mich zu wehren. Meine Arme fühlen sich lästig an, unbrauchbar und schwer. Ich halte nur mit Mühe meine Augen auf. Alles schmerzt und tut es irgendwie doch nicht. Das einzige das ich fühle ist dieses Stechen in meinem Herzen und die Gewissheit, dass sie weg ist. Ich kann es nicht einmal richtig begreifen. Immer wieder sehe ich mir unsere gemeinsamen Bilder an, von denen es viel zu wenig gibt. Immer wieder denke ich an unsere gemeinsamen Tage, die man nur zu gut zählen kann. Ich wünschte sie wären unzählbar. Ich wünschte ich hätte sie retten können, aber das konnte ich nicht. Und wenn ich sie nicht retten kann, dann kann ich mich selbst auch nicht retten. Jegliche Lust, die ich nur vor kurzer Zeit verspürt habe, zu kämpfen ist verschwunden. Stattdessen bin ich froh darüber hier zu liegen und zu wissen, dass ich sie bald wieder bei mir habe. Ich freue mich zu sterben, auch wenn das bedeutet, dass ich das alles hier zurücklassen muss. Meine Familie, meine Fans, meine Freunde und meine Band. Aber das ist ok. Das Schicksal hat mir diese Krankheit gegeben, und ich muss es akzeptieren. Und das werde ich, ich habe es sogar schon. Finn ist gegangen, ich habe es aber nicht bemerkt. Ich liege in einem Einzelzimmer, dass ziemlich abseits von den anderen liegt. Warum weiß ich nicht. Ich hätte kein Problem damit ein Zimmer mit jemandem zu teilen. Neben dem Bett steht ein Kasten und ein Monitor der meinen Herzschlag und Puls anzeigt. Ich wünschte die Linie würde in einen piepsigen Strich über gehen und meinen Tod anzeigen. Ein Fenster ist in der Wand und ich kann in die Lobby rausschauen. Der Anblick langweilt mich eigentlich total: die herumhetzenden Schwestern, die alle total übermüdet sind. Genauso wie die, in weiße Kittel gesteckte Ärzte. Nicht zu vergessen die Patienten die teilweise schon mit dem Tod ringen. Diese Welt ist langweilig und falsch. Obwohl ich versuche nicht an sie zu denken, schweifen meine Gedanken trotzdem zu ihr ab. Ihr wundervolles Lachen nistet sich in mein Gehirn und ich sehe sie vor mir. Ich denke es zumindest. Die Türe wird aufgerissen und Harry und Louis kommen nicht gerade leise hereingeplatzt.

Let him go (1D Niall)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt