Kapitel 13

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"Wo gehen wir hin?", fragte ich, als ich an der Hand des Wassermädchen's durch den Sand stolperte. "Keine Angst." Sie bleckte die Zähne, die im Mondschein aufblitzten wie polierte Rasierklingen. "Ich habe keine Angst, ich will nur wissen, wo wir hingehen!", sagte ich verärgert. "Scht", zischte sie. Ich blieb stehen und stemmte mich in die entgegengesetzte Richtung ihres ziehenden Armes. "Sag mir jetzt sofort, wo wir hingehen!" Meine Stimme überschlug sich. "Das siehst du doch gleich." Sie rollte die Augen, dann kicherte sie plötzlich. "Du stampfst also immer noch mit dem Fuß auf, wenn du wütend bist, he? Sehr amüsant." Das Wassermädchen schüttelte den Kopf, während sie mich weiterzog. "Was heißt hier immer noch ?", fragte ich atemlos. Sie knuffte mir in die Seite. "Ich kenne dich doch." Ich überging diese Bemerkung, da ich gerade ganz andere Probleme hatte: Wir näherten uns dem Wasser. Ich hörte das Rauschen, sah den weißen Schaum der Wellen im Mondlicht aufleuchten. Das Wassermädchen zog mich so weit, dass unsere Fußknöchel vom seichten, kalten Wasser umspielt wurden. Ich schnappte nach Luft. Was würde das werden? Wollte sie mich ertränken?! Das Wassermädchen lockerte ihren Griff, sodass ich die Chance packte, und einen Satz zurück machte. Völlig fertig mit den Nerven ließ ich mich in den Sand fallen. Doch er war nicht mehr weich, er war hart. Erst jetzt bemerkte ich, wie müde ich war. "Ich will nach Hause", japste ich kraftlos, doch das Wassermädchen sah anscheinend keinen Grund zur Gnade. Sie riss mich rücksichtslos auf die Beine zurück. "Hab ich dir erlaubt, zurückzuspringen?", herrschte sie mich an. In meinem Kopf begann alles sich zu drehen. "Wann bist du so ein Feigling geworden?", schrie sie. Sie schrie es direkt in mein Ohr. Ich zuckte zusammen. "Warum gehst du einfach zurück?", brüllte sie weiter und da reichte es mir. "Jetzt nimm dich mal zusammen, ja!? Du kannst mich schließlich nicht zwingen, da stehen zu bleiben! Ich hab 'ne Scheißangst vor dem Meer, weil meine Schwester hier ertrunken ist. Nachts!" Ich funkelte sie teils wütend, teils ängstlich an. Würde sie mich nun schlagen? Das Gesicht des Wassermädchen's blieb ausdruckslos, während sie den Arm hob. Ich schloss die Augen und bereitete mich auf den Schmerz vor, der jeden Moment durch meinen Körper jagen würde. Aber er blieb aus. Stattdessen zog sie mich in eine Umarmung, sodass meine Nase in ihren Locken vergraben war, die diesen unglaublich metallischen Geruch versprühten. "Gut gemacht", flüsterte sie mir ins Ohr. Gut gemacht? Spinnte die, oder was? Im nächsten Moment verpasste sie mir einen Kinnhaken, bei dem mein Kopf zur Seite flog. Die Tränen schossen mir in die Augen, als der wilde Schmerz mein Bewusstsein erreichte. "Bist du -" Ich konnte den Satz nicht zuende sprechen, da sie mir im nächsten Augenblick in die Rippen trat. Ich stöhnte auf, ehe ich zu Boden sank. "Steh auf!", brüllte sie, doch ich war zu benommen, bekam kaum noch Luft. Aufstehen? "Auf mit dir, verdammt noch mal!" Das Wassermädchen verpasste mir einen weiteren Tritt in die Rippen. Ein Schrei verließ meine Kehle, hoch und schrill. Er hörte sich nicht nach mir an. Aber ich fühlte mich auf nicht wie ich selbst, sondern wie ein wund geprügelter Hund. Ich hätte es wissen müssen, dass das Wassermädchen mich umbringen wollte, schließlich hätte ich es von Anfang an ahnen können. Sie hielt mir ihre Hand hin und obwohl ich wusste, dass es nur eine weitere Falle war, griff ich danach. Mit einem Ruck zog sie mich hoch und schleuderte mich durch die Luft. Ich sah die Wolken an mir vorbeifliegen, ehe ich mit einem dumpfen Aufprall im Sand landete, der mir alle Luft aus den Lungen presste. "Stop!", japste ich und verzog das Gesicht. Die Schmerzen waren absurd, sie machten mich verrückt. Warum folterte sie mich? Warum biss sie mir nicht einfach mit ihren Zehnen in die Kehle? Hatte sie Spaß daran, erst meinen Körper zu verunstalten? Plötzlich spürte ich zwei neue Gefühle: Wut und Enttäuschung. Ich durfte mir das nicht gefallen lassen! Ich sah ihren Fuß auf mich herabsausen, drehte mich blitzschnell zur Seite und sprang auf. Von hinten sprang ich ihr auf den Rücken und zog an ihren Haaren. Das Wassermädchen lachte auf, schüttelte mich ab, als wäre ich nichts weiter als ein Parasit, dann schlug sie mir auf die Nase. Ich biss mir auf die Zunge, um den Schrei zu ersticken. Blut tropfte von meinem Kinn. Was wurde das hier? Bevor sie ein weiteres Mal zuschlagen konnte, hob ich meine Fäuste schützend vors Gesicht und duckte mich unter ihrem Arm hindurch. Dann schlug ich ihr, so fest ich konnte, in den Magen. Das Wassermädchen hielt kurz inne, um sich die Hand vor den Bauch zu pressen. Ich schluckte das "Alles in Ordnung?", das mir auf der Zunge lag, gewaltsam runter, spuckte ihr mein Blut ins Gesicht, bevor ich ihr eine Ohrfeige verpasste. Als ich den Fingerabdruck sah, den ich dabei hinterließ, durchflutete mich ein Gefühl der Genugtuung.  Das Wassermädchen grinste höhnisch, während sie ihre langen Finger in meinen Nacken krallte, um mich ins Wasser zu ziehen. Ehe ich mich versah, hatte sie meinen Kopf runtergedrückt. Ich bekam Salzwasser in die Nase, es brannte höllisch. Ich musste das Husten unterdrücken. Ich dachte nicht daran, dass ich sterben konnte, ich dachte bloß an die Panik, die mich ausfüllte. Im Grunde war es dasselbe. Ich wandt mich unter ihrem Griff, schlug um mich, bis ich ihr Bein ertastete und gegen ihr Schienbein trat. Dann endlich lockerte sich ihr Griff und ich konnte auftauchen. Ich hustete, holte Luft, weinte. Ich wusste, dass ich am Ende war. Jetzt war es vorbei. Während ich mich kaum noch bewegen konnte, sah das Wassermädchen noch immer aus wie aus dem Ei gepellt. Sie war mir haushoch überlegen. "Mach schnell, ja?", krächzte ich flehend. Blut und Tränen flossen über mein Gesicht. Mit einem Schlag gegen den Kehlkopf brachte sie mich äußerst wirkungsvoll zum Schweigen. Schwarze Flecken jagten über mein Blickfeld. "Gut", sagte sie schroff und zog mich aus dem Wasser. "Genug für heute." Genug für heute? Die tickte doch nicht ganz sauber! "Du bist sehr schwach", sagte sie, während sie mich sanft in den Sand drückte. "Und du gibst schnell auf, beziehungsweise, du siehst in dir selbst die Nachgebende, die Unterlegene." Mit zittrigen Finger tastete ich nach meiner Nase. Sie war nicht gebrochen, aber doch ziemlich dick. "Ich bin dir ja auch unterlegen", sagte ich heiser. Ich wusste nicht, in welche Richtung sich dieses Gespräch entwickelte. "Das darfst du aber nicht denken, Holly!", zischte das Wassermädchen. "Du lebst gefährlich." "Ich lebe gefährlich?" Meine Stimme war um eine Oktave nach oben geschossen. Sie nickte. "Du... siehst in allen Menschen nur das Gute. Du vertraust zu viel. Es ist ein Kinderspiel, jemanden wie dich zu entführen. Ich hab's auch geschafft." Sie ließ ihre Finger knacken. "Ich wollte von Anfang an nicht mitkommen", verteidigte ich mich. Das Wassermädchen lachte auf. "Du hast dich aber auch nicht genug gewehrt. Du erwachst erst zum Leben, wenn man dich direkt angreift. Das hab ich ja in meinem Test gesehen." "Das war ein Test?" Ich sprang auf die Beine. Zornig. Tausende Gedanken schossen mir durch den Kopf. "Das heißt, du wolltest mich gar nicht umbringen?", rief ich fassungslos. "Natürlich nicht." Sie schüttelte den Kopf. "Ich wollte sehen, wie lange du brauchst, um den Ernst der Lage zu verstehen. Du hast lange gebraucht. Ich konnte drei, vier mal auf dich niederdonnern, bevor du erst mal geschnallt hast, dass ich eine Gefahr für dich darstelle. Zwei weitere Male, bis dir klar wurde, dass du handeln musst. Du hättest dich von Anfang an wehren müssen, verstehst du? Du hast sogar nach meiner Hand gegriffen!" Sie unterbrach mit einem Lachen. "Das war... das war ein fataler Fehler. Als du dann endlich gekämpft hast, warst du ziemlich zurückhaltend." "Ich hatte Schmerzen", fiel ich ihr ins Wort. Sie hob ich Hand. "Ich weiß, dass du Schmerzen hattest. Trotzdem - deine Fäuste und Beine waren unversehrt. Wobei man in deinem Fall wohl besser die Ellbogen einsetzt... Verstehst du? Selbst jetzt sitzt du hier wieder mit mir. Ich  hatte das Spiel in der Hand, nicht du. Aber im Ernstfall musst du immer darum kämpfen, dass es umgekehrt ist. Du musst den Kampf führen. Und du musst stärker werden. Weißt du, deine Vorteile liegen darin, dass du clever bist. Als du dann endlich drin warst, hast du ziemlich schlau gehandelt. Außerdem bist du klein, schnell und hast viel Kondition. Wenn du schnell genug bist, musst du dich nicht erst demolieren lassen. Ich war dir überlegen, ja, aber du hättest mich schneller ausschalten können." Ich sah sie verständnislos an, während ich vehement den Kopf schüttelte. "Das ist doch... krank! Was soll das werden? Was bezweckst du hiermit?", fragte ich. Das Wassermädchen vergrub ihre Zehen im Sand. "Ich bezwecke deinen Schutz, Kleines." Ich ignorierte ihren lächerlichen Kosenamen für mich. "Schutz?" Ich lachte resigniert. "Ja. Das, was ich heute mit dir gemacht habe, passiert auch im echten Leben. Und du bist ein leichtes Opfer. Ich werde dir helfen, Holly, ich werde dich trainieren. Nicht alle sind so friedlich wie Matthew Smitherson." Mir klappte die Kinnlade runter. "Du kennst Matthew?" "Ich beobachte dich, Schwesterchen."

Ich ging nicht weiter darauf ein. "Ich habe dir vertraut", presste ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor, ehe mir bewusst war, was ich da von mir gab. Aber ja, so war es ja auch. Insgeheim hatte ich dem Wassermädchen die ganze Zeit über vertraut. Sie sah zum Mond auf. Ihr Profil sah aus wie die Zeichnung eines gekonnten Künstlers, nichts wie das eines Menschen. "Das war ein Fehler", sagte sie leise. "Ich bin keine Person, der du vertrauen solltest, Holly." Warum auch immer, diese Worte trafen mich wie ein Schlag. Mit dem Handrücken wischte ich mir das Blut von den Lippen. "Ist angekommen", schnaubte ich. Ich fühlte mich verletzt und hintergangen, aber im Moment wollte ich nur noch nach Hause, um zu schlafen. Mein rationales Denken war am Ende, das Limit für diese Nacht erreicht. Ihre fieberheiße Hand berührte meine Schulter. "He, Kleines, sieh mich an", zischte sie. Betont widerwillig drehte ich meinen Kopf in ihre Richtung. Sie sprach leise und ruhig, aber dennoch waren ihre Worte bestimmt. "Mein Angriff war nicht fai. Aber das Leben ist nicht fair. Und du solltest auf mich hören, wenn ich dir sage, dass du einen trainierten Körper und geschärfte Sinne in nächster Zeit gebrauchen wirst. Du musst kämpfen können. Auf deinen Instinkt für Gefahren ist ja anscheinend keinen Verlass", fügte sie unverschämterweise hinzu. Ich musterte sie missbilligend, auch wenn mich ihre Worte einschüchterten. "Was für Gefahren? Wovon redest du? Und warum sollte ich dir glauben, wenn ich dir nicht vertrauen darf?" Das Wassermädchen biss sich auf die Lippe. Hatte ich sie aus der Reserve gelockt. "Du musst mir glauben, Holly. Es kommt eine harte Zeit auf dich zu und ich weiß, wovon ich rede. Mein  Instinkt für Gefahren ist nämlich weit zuverlässiger als deiner. Du kannst mir nicht vertrauen, aber du solltest auf mich hören." Sie wirkte plötzlich unruhig, sprach die Worte schnell und zischend. "Aber... warum darf ich dir nicht trauen?", fragte ich ebenso leise. "Ich bin nicht... ich bin nicht wie du." Ich starrte sie verständnislos an. Aus dem Meer ertönte ein keckernder Ruf, sie presste die Kiefer aufeinander. "Ich muss los." Ich verstand nicht. "Los? Wohin los?", flüsterte ich, doch sie tat, als würde sie mich nicht hören. Vielleicht tat sie das auch nicht, denn ihre Augen flitzten unruhig über die Wasseroberfläche. Dann, ganz plötzlich, bohrte sich ihr grüner Blick wie ein Speer in meine Augen. "Morgen Nacht, dieselbe Zeit. Ich hol dich ab." Ich nickte perplex, ehe sie sich vorbeugte und mir einen salzigen Kuss auf den Mund hauchte. Ich versteifte. Schließlich stand sie auf, streifte sich im Rennen die Klamotten vom Leib und ließ sie achtlos am Strand liegen. Dann sprang sie in die tosenden Wellen und war verschwunden. Das konnte doch alles nicht sein! Ich kniff die Augen zusammen, wartete, dass ich aus dem Traum erwachte. Aber mein pochender, prickelnder Körper bewies das Gegenteil. Das hier war die Wirklichkeit, und falls ich tatsächlich geglaubt hatte, alle Menschen seien gut, war das der Traum gewesen. Und ich wusste nicht, ob ich es gut fand oder schlecht, dass er nun vorbei war.

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Hi! ♥ Heute ist der letzte Ferientag :'( Ich hoffe, ihr seid mindestens so traurig wie ich. Na ja, wie war das Kapitel? ♥ Schreibt es in die Kommis! :)

Königin des MeeresWhere stories live. Discover now