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Fay blinzelte. Um sie herum war alles weiß und hell erleuchtet, jedoch war der Boden unter ihr hart wie Stein – und kalt und rau. Es war Stein, worauf sie lag.

Sie öffnete die Augen und fühlte ihren Kopf. Über ihr kniete eine junge Frau, die ihr etwas gegen die Stirn presste. Fays Fingerspitzen waren feucht, als sie sie von ihrer Stirn hob. Eine Platzwunde. Richtig. Es hatte eine Detonation gegeben und einer der fliegenden Gesteinsbrocken hatte sie kalt erwischt.

Sie waren offensichtlich wieder in den unterirdischen Tunneln und um sie herum, waren einige der Leute, die draußen wirr hin und hergelaufen waren – erkennbar an ihren roten Binden. Kadir und Kellan standen etwas abseits und tuschelten leise miteinander. Ihre Gesichter waren kalkweiß und sie stahlen heimliche Blicke zu Fay.

„Wer seid ihr?", fragte Fay mit klarem Argwohn in der Stimme und machte Anstalten aufzustehen. Ihre Stimme kam in einem undeutlichen Krächzen hervor. „Was habt ihr da draußen gemacht? Ist euch überhaupt bewusst, in wie viel Gefahr ihr die ganze Stadt mit euren dämlichen Explosionen gebracht hat?" Wut überschwemmte Fay. Sie wusste nicht, was an der Oberfläche war, aber die ausgefallenen Generatoren alleine, waren schon Gefahr genug gewesen, wären da nicht auch noch Silas Warnung über das Institut gewesen.

„Jetzt beruhige dich mal, du hast eine ernste Kopfverletzung. Ich bin mir sicher, dir fällt alles gleich wieder ein", sagte die junge Frau beschwichtigend und tupfte mit dem Tuch weiter auf Fays Stirn herum. „Ich bin übrigens Kylie."

Fay schob ihre Hand beiseite. Jetzt erst fiel ihr das Symbol an den roten Binden wieder ins Auge. Es war ein feingliedriger Baum und das gleiche, filigrane Muster, wie er an der Holzscheibe an ihrem Handgelenk. Sie klappte den Mund auf und schloss ihn gleich wieder. In was hatte Wren sie da reingeritten? Er hatte offensichtlich mit den Leuten hier zu tun, wie kam sonst das gemeinsame Symbol dieser Leute an ihr Handgelenk? Aber Wren würde niemanden schaden, oder? Er hatte ihr geholfen – ihr, einer Bringerin, einer Ausgegrenzten.

„Du hast Glück, dass Mo dein Armband gesehen hat, sonst hätten wir dich da draußen liegen gelassen. Deine zwei Freunde hier haben übrigens darauf bestanden, mitzukommen", plapperte Kylie munter. „Was habt ihr euch auch dabei gedacht, da frei rumzulaufen? Das war viel zu gefährlich."

Fay schüttelte den Kopf und murmelte etwas von Unfall. Ihr Kopf dröhnte immer noch und ihr Magen grummelte vor sich hin. Sie hatte den Spirit noch nicht vergessen und auch ihr schmerzender Kopf machte ihr das Denken schwer. Wenn Spirits wirklich verwundet oder korrumpiert waren, könnte man die Sache bestimmt rückgängig machen, wenn man die Ursache kennen würde. Aber wenn sie das hier laut aussprach, würden sie alle für verrückt erklären. Und es kam dazu, dass sie nicht wusste, wie vertrauenswürdig diese Leute waren. Sie hatten immerhin vor einiger Zeit noch dafür gesorgt, dass die Stadt einer möglichen Spiritattacke ausgesetzt würde.

Die Schilde! Mist, verdammter! Sie hatten keine Ahnung ob sie mittlerweile wieder oben waren. „Was ist mit den Schilden? Sind sie wieder oben?"

„Du hast dir den Kopf wohl doch etwas stärker geschlagen, als ich dachte", sagte Kylie mit einem freundlichen Lächeln. „Hast du es vergessen? Die Schilde sind nur ein weiteres Instrument der Regierung, um diese Stadt zu kontrollieren. Die kleinen Dörfer da draußen beweisen es doch Tag täglich, dass es auch ohne geht. Also warum sollten wir uns weiterhin von den Schilden unterdrücken lassen?"

Die wenige Farbe, die in Fays Gesicht zurückgekehrt war, wich augenblicklich aus ihrem Gesicht. „Aber das ist doch nur durch den Verzicht auf Technik möglich", murmelte sie mehr zu sich selbst, als zu jemand bestimmten. Sie warf einen Blick auf Kadir und Kellan, die sie nun unverhohlen anstarrten, aber auf genug Abstand waren, als dass sie Kylies Worte nicht verstanden hätten. Sie mussten zurück in die Stadt, sonst würde es eine riesige Katastrophe geben, die diese Stadt nicht überstehen würde und alles in Schutt und Asche legen würde.

Asche... Sodass der Phönix aus der Asche aufersteht. Das konnte nicht wahr sein. Nein, nein, nein. Diese Leute wollten die Zerstörung der Stadt. Wrens Hilfsbereitschaft hatte plötzlich einen faden Beigeschmack. Er hatte sie manipuliert und benützt, um noch mehr Pulver für seine Zwecke aus ihr herauszuquetschen. Sie hatte für jemanden spioniert, der nur Chaos im Sinn hatte. Verdammter Mist noch mal, sie hatte ihm Regierungsgeheimnisse verraten – und er hatte sie verraten.

Galle bildete sich in ihrem Mund und Wut strömte in ihre Finger. Wie konnte er? Wenn sie ihn in die Finger bekam, dann würde sie... Im Augenwinkel sah sie ihren Tracker aufblitzen, dessen Werte augenblicklich in die Höhe schossen. Diese Wahnsinnigen würden sie kennen lernen. Sie drückte sich hoch. „Wir gehen zurück in die Stadt. Wir überlassen die Stadt nicht einfach so ihrem Schicksal!", bellte Fay laut genug, damit sie auch Kellan und Kadir hören konnten.

Kylie taumelte einen Schritt zurück und sah sie aus geweiteten Augen an. „Bist du wahnsinnig? Ihr geht da draußen nur drauf. Die Spirits kommen nicht hier runter, aber dort oben seid ihr freies Futter für die Monster."

„Ach ja? Und so etwas lasst ihr auf die Stadt los?", gab Fay zurück.

„Die Leute sind alle in Sicherheit, es sind alle in den Bunkern, außer wir hier und wir sind in einem sicheren Bereich", antwortete einer der Umstehenden in bewusst ruhigen Tonfall. „Du hast eine Kopfwunde, bitte beruhige dich."

„Ach ihr könnt mich doch alle mal! Denkt hier irgendwer auch nur an die Leute in der Schlucht oder an die armen Seelen, die es nicht in Sicherheit geschafft haben. Städter." Sie spuckte aus. Wren und seine Hilfe konnten sie mal kreuzweise. Sie wollte nichts weiter mit den Leuten hier zu tun haben, die so einfach Menschenleben aufs Spiel setzten. Ihr Tracker leuchtete mittlerweile stetig auf 634 und das kleine Armband baumelte von ihrem Handgelenk.

„Fay, komm mit, wir gehen zurückt!" Kadir hatte sich von seiner Position am Rande der Gruppe gelöst. Er warf einen warnenden Blick auf den Tracker.

„Einen verdammten Scheiß werdet ihr", fuhr ein andere dazwischen. „Ihr seid hier unten sicher. Dort oben sind die Spirits am Laufen. Ihr werdet da oben draufgehen."

„Das geht dann wohl auf eure Kappe, genauso wie die Leben in den äußeren Ringen und der Schlucht auf eure Kappe gehen", antwortete Fay. „Sagt uns, wie es hier raus geht. Wir werden die Stadt nicht einfach so sterben lassen!"

Die Umstehenden tauschten undeutsame Blicke, irgendwo zwischen Zweifel, Unverstehen und Angst. Wildes Getuschel brach los. Wie viel Wren ihnen wohl weitergegeben hatte? Sie konnten nicht alle über die Mutation Bescheid wissen, oder sie würden anders reagieren.

„Lasst mich das nicht noch ein Mal wiederholen: Wir gehen da raus – und ihr sagt uns gefälligst, wo der nächste Ausgang ist!", sagte Fay, an niemanden bestimmten gerichtet. Sie konnte in dem Aufruhr keinen Anführer ausmachen.

„Mo, du kannst sie nicht gehen lassen. Sie hat eine Kopfwunde", flehte Kylie leise an einen hoch gewachsenen Mann mit blonden Haaren gerichtet. „Sie wird sterben."

Mo schüttelte den Kopf. „Wir können sie hier nicht festhalten, Kylie. Wenn sie es so will, werden wir sie gehen lassen müssen. Zwang ist keines unserer Mittel." Er sah hoch, sein Gesicht plötzlich um Jahre gealtert. „Aber eines seid euch bewusst, wenn ihr da draußen gefangen genommen werdet, können wir euch nicht mehr helfen. Und ihr haltet den Mund über die Operation – vergesst den Code nicht!"

Welchen Code? Für einen Moment wollte Fay nachhaken, wollte mehr wissen, über diese Leute und die Organisation, die hinter den Bomben steckte. Doch sie hielt den Mund. Ihr Ziel war gesetzt. Sie würde diese Stadt nicht untergehen lassen. Nicht ohne Kampf und nicht ohne Widerstand gegen die Spirits. Fay nickte stumm.

„Also gut, geht den Tunnel runter rechts und nehmt dann die zweite Tür links, dort kommt ihr nach oben", sagte Mo ruhig.

So weiter geht's. Fay kann mal wieder den Mund nicht halten, sorry x

Spirits - Stadt im UntergrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt