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Wie sich herausstellte, bestand Silas Weg nach draußen daraus, sie mitsamt einiger Bauteile für den Generator in den achten Ring zu befördern. Kadir wusste, wie und wo die Teile zu verbauen waren und der Rest ihrer Truppe tat so, als wüssten sie genau, was sie taten, was dank des Gewichts der Teile nicht schwer vorzutäuschen war. Kadir war das Hirn und sie die Muskeln. Von den Generatoren nach draußen war es ein Katzensprung, der Dank der niedrigen Sicherheitsvorkehrungen in den äußeren Ringen keine Kontrollen mit sich zog.

Fay atmete tief durch, als sie zum ersten Mal seit Wochen wieder Pflasterstein unter ihren Füßen und eine kühle Brise um die Nase hatte. Die Sonne zeichnete lange Schatten der Gruppe und tauchte die Welt in ein Blutbad aus Farben, in dem die Menschen brummten wie ein aufgewühlter Bienenstock. Irgendwo in dieser Stadt, in dieser Masse an Menschen mussten Ivy und Scott sein.

Zielstrebig setzte sie einen Schritt auf die Masse zu, doch eine Hand um ihren Unterarm hielt sie zurück. „Zwei Minuten musst du mir noch zuhören", sagte Kadir mit einem Augenzwinkern. Fay und die anderen scharten sich um ihn. „Also, kurze Erinnerung. Die Schilde zwischen den Ringen werden um 22 Uhr aktiviert. Ab dann sind es noch zwei Stunden bis zur Ausgangssperre. Wir treffen uns deshalb spätestens um 23 Uhr an der Turmuhr im zweiten Ring. Die könnt ihr nicht verfehlen. Denkt daran, das unsere Chips nicht sicher sind, lasst euch deshalb unter keinen Umständen mit den Wachen ein. Bleibt einfach vom Radar weg und macht keinen Ärger."

Und sagt kein Wort, wie ihr hierher gekommen seid. Fay nickte. Damit hatte sie drei Stunden um eine Möglichkeit zu finden, ihre Familie zu kontaktieren. Die Krankenhäuser abzuklappern stand außer Frage, denn dafür würde sie sich identifizieren müssen, zumal sie nicht einmal wusste, in welchem Ring das Krankenhaus war.

In die Slums zu gehen stand auch nicht zur Debatte. Dazu müsste sie durch die Kontrollen oder die geheimen Wege kennen und beides befand sich nicht in ihrer Trickkiste. Sie schnaubte. Sie könnte die Stadt nach den Symbolen der Bringer absuchen, aber ihre Eintrittskarte hatte sie Ivy gegeben. Wer hätte auch in den Steppen daran gedacht, dass sie in Heiwa auf sich gestellt sein würde. Blieb also nur das systematische Durchkämmen der Straßen – und das könnte Jahre dauern, selbst wenn sie eine Karte oder das Krankenhaus als Ausgangspunkt hätte.

Großartig. Einfach nur großartig. Fay verabschiedete sich von den anderen, die ihr neugierige Blicke zuwarfen, doch sie hatte keine Lust auf Erklärungen oder eine Minute länger in Nigels Gegenwart zu verbringen, der seit dem Vorfall bei den Generatoren keinen Mucks mehr von sich gegeben hatte.

Die Menschen zogen an ihr vorüber, drängten sich laut und hektisch an ihr vorbei oder schlenderten einfach in den Feierabend. Sie wirkten so sorglos. Die Gesichter der Menschen waren nicht zu vergleichen mit jenen, die außerhalb der Mauern der Stadt wohnten. Selbst wenn die Menschen hier bedeutend ärmer waren als in den inneren Ringen, genossen sie dennoch die Sicherheit der Schilde und konnten ihrem Leben nachgehen ohne sich um Spirits oder die sich ständig verändernde Welt zu kümmern. Das Klima änderte sich hier mit den Jahreszeiten und nicht nach einem Wink der Natur.

Mit einem Mal schien die Überwachung und die strengen Gesetze, die die Stadtwache geltend machte, ein geringer Preis für Sorglosigkeit und die Abwesenheit des Schmerzes. Und dennoch fehlte Fay die Herzlichkeit des Lochs. Ihre Heimat mochte für Außenstehende raue Sitten haben, aber man wusste immer woran man war. Ein Handschlag war ein bindender Vertrag, während sie hier Händler dabei beobachtete, wie sie billige Stoffe als kostbare Seide anpriesen. Ihrer Gespräche mit den zwielichtigeren Gestalten brachten sie ebenfalls nicht weiter. Sie lernte nur, dass manche Kunden in die Läden lockten und beschäftigten, während hinten rum Diebe ihnen das Geld aus der Tasche zogen und dann mit den Besitzern des Ladens teilten.

Fay wünschte sich einmal mehr, dass ihre Beobachtungen eine schöne Allegorie bildeten, und verfluchte gleichzeitig die Offensichtlichkeit, mit der Halunken hier agierten. Zwielichtig hatte für sie immer Geheimnisse bedeutet und nicht direkt kriminell.

Spirits - Stadt im UntergrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt