#2.2

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Fay drehte es den Magen um. Panisch sah sie zu ihrem Vater, dessen Augen schreckensgeweitet zu ihr zurück starrten. Die Menschen um sie herum wurden stiller, langsamer, bis der reißende Strom zum Erliegen kam. Jedem Kind war dieser Geruch bekannt. Sich davor zu fürchten, war das Erste, das sie lernten.

Hastig stolperte sie die paar Schritte zu ihrer Familie. Sie langte nach Ivys Hand und zog sich den letzen Meter durch die umstehenden Leute. Sie wollte sich nicht umdrehen, wollte nicht sehen, wonach die anderen Ausschau hielten.

Der süße Geruch wurde intensiver und bäumte sich gegen den Rest auf. Menschen kreischten. Der Geruch war drückend schwer und kesselte sie ein, wie eine unüberwindbarer Wall aus Tod. Hier und da hörte man verzweifeltes Schluchzen. Es war erneut Bewegung in die Leute gekommen, die jetzt ins Dorf zurückdrängten. Zurück zu den Flammen, um einen anderen Weg aus dem Unglück zu finden.

Die Spirits waren nicht mehr weit.

Fay sah in Ivys Gesicht, doch in den braunen Iriden spiegelte sich nur ihr eigenes Entsetzen. Sie schüttelte sich und drückte die Hände ihrer kleinen Schwester. Nein, sie würden nicht aufgeben ohne zu kämpfen. Entschlossen nahm sie erneut ihr Messer in die Hand und sah ihren Vater an, der den Griff um seinen Säbel ebenfalls verstärkte.

„Was auch immer passiert, bleibt zusammen. Habt ihr mich gehört?" Die Stimme ihres Vaters war ruhig und bestimmt. Die Mädchen nickten, während sie sich langsam mit den Massen bewegten. „Wir nehmen den Ostausgang und den Umweg über den Kieselwald. Diese Monster werden uns nicht erwischen."

Die Worte trafen Fay wie ein Schlag in den Magen. Es war eine Sache, den Geruch in der Nase zu haben. Es war etwas anderes, wenn ihr Vater, dieser ruhige, beherrschte Mann, Worte so hasserfüllt und ehrfurchtsvoll aussprach.

Die Monster waren mit der neuen Energie ins Land gekommen und fielen seitdem über die Menschen her. Niemand wusste, was sie wollten oder was ihr Ziel war. Sie waren weit von dem entfernt, was man als Mensch oder Tier kannte, und jene, die ihnen Auge um Auge ins Gesicht gesehen hatten, waren nicht mehr am Leben. Manche behaupteten die Spirits wären Dämonen, eine von Gott gesandte Strafe um den überheblichen Menschen Furcht zu lehren. Andere behaupteten es wären Götter, die sich die Welt, die der Mensch ihnen gestohlen hatte, wiederholen wollten und diese Götter waren zornig.

Fay war das egal. Spirits waren der Grund für den Tag Null gewesen. Sie waren hier und sie waren gefährlich. Fay kannte den einlullenden Geruch, sie kannte die Geschichten, die man ihr als Kind immer erzählt hatte, und sie war ihnen immer entkommen. Wenn es nach ihr ging, würde es auch dieses Mal nicht anders sein; am liebsten ohne eine dieser Fratzen zu Gesicht zu bekommen.

Ihre Rippen schmerzten. Fremde zerrten an ihrer Kleidung, doch zu ihrem Messer hielt man Abstand. Sie mussten weg von der Hauptstraße und raus aus dem Malstrom. Niemand würde ihnen helfen, wenn einer von ihnen verletzt werden würde. Fay bahnte sich ihren Weg durch die Massen, vorbei an den niedergetrampelten Leuten. Sie mussten dieses Chaos hinter sich lassen.

In einer Seitengasse wurden die Menschen wieder weniger, doch der süßliche Geruch verfolgte sie weiter. Sie verfiel in einen stetigen Trab, Ivy nun wach und dicht neben ihr, ihr Vater hinter ihnen.

Stumm liefen sie nebeneinander her, den Lärm vergessend, nur noch ein Ziel vor Augen. Fays Atem verwandelte sich in ein gleichmäßiges Schnaufen, ihre Muskeln brannten fiebrig vom stetigen Trott. Das Messer in ihrer Hand ließ Menschen weichen. Die einzigen Hindernisse, über die es galt nicht zu stolpern, lagen auf dem Boden.

Ein markerschütternder Schrei zerriss die Luft.

Fay hielt inne, den Geruch nach Zedernholz penetrant intensiv in der Nase. Scott und Ivy taten es ihr gleich, andere kamen ihnen wieder entgegen. Der Schrei war aus der Richtung gekommen, in die sie liefen.

Spirits - Stadt im UntergrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt