#2.1

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Der Gong riss Fay aus dem Schlaf.

Sie blinzelte durch das spärliche Licht. Die Umrisse des Zimmers wurden klarer, neben ihr hatte sich Ivy ausgestreckt und schlief seelenruhig. Das Zimmer war ein Luxus, den sie sich nach Tagen in der Wildnis geleistet hatten. Am anderen Ende des Raumes konnte sie die Silhouette ihres Vaters ausmachen, der ebenfalls kerzengerade im Bett saß. Sie tauschten einen Blick in der Dunkelheit.

Die Nackenhaare standen Fay zu Berge, als ein urtümlicher Instinkt von ihr Besitz ergriff. Gefahr. Sie mussten weg. Sofort.

Von draußen drangen Schreie herein, das Licht war hell und flackernd und der Gong, der bis in die letzte Faser ihres Körpers vibrierte, durchdrang erneut den Lärm der Nacht.

Fay warf die Beine aus dem Bett, zog sich hastig ihre zerschlissene Lederjacke über und band ihre Haare zu einem widerspenstigem Etwas zusammen, während sie den Rest ihrer wenigen Habseligkeiten in ihren Rucksack stopfte.

„Ivy, aufwachen!", donnerte die Stimme ihres Vaters. Er hatte seine Tasche über die Schultern geschwungen und eine kurze, gebogene Klinge in der Hand.

Ivy rieb sich die Augen. Verdammt, sie hatten keine Zeit. Fay warf ihr ihre Jacke zu und befestigte den letzten Gurt ihres Rucksacks.

Draußen schallte ein weiterer Gong und es war ein Durcheinander aus Stimmen losgebrochen.

Fay wechselte einen Blick mit ihrem Vater und riss die Zimmertür auf. Weiteres Stimmengewirr schlug ihr entgegen. Sie hustete. Die Luft war dick und rauchverhangen. Menschen rannten hektisch durcheinander, Familien wurden von der Menge getrennt und schreienden Kindern das Wort aus dem Mund gerissen.

Sie hatten keine Zeit dafür.

Fay stürzte sich mit einem Dolch in der Hand ins Getümmel, ihr Vater und Ivy direkt hinter ihr bahnte sie sich einen Weg nach draußen.

„Sie kommen! ... Aus dem Weg! ... Mama!" Die Gesprächsfetzen peitschten an Fays Ohren vorüber. Kinder schrien nach ihren Eltern. Manche versuchten ihre Habseligkeiten zu schützen und jeder wusste, dass ein falscher Schritt sein Todesurteil war. Die Panik machte die Leute wild.

Sie mussten hier raus.

Die Luft in den Straßen war kaum besser, übersättigt mit Stimmen und zum Schneiden dick. Im Westen erhellte ein warmes Licht die Stadt, doch der Sonnenaufgang würde noch ein paar Stunden auf sich warten lassen.

Feuer! Die Holzhütten von Lonan brannten lichterloh.

Verdammt, verdammt, verdammt. Das wäre ihre Richtung gewesen. Fay sah sich nach ihrem Vater um. „Nach rechts!", brüllte er nur, während er Ivy hinter sich her zerrte. Sie wirkte schlaftrunken und verwirrt.

Der Gong dröhnte erneut.

Jeder wusste, was er zu bedeuten hatte. Spirits waren in der Nähe des Dorfes aufgetaucht.

Die rauchverhangene Luft wiegte Fay in seltsamer Sicherheit. Den beißenden Geruch dieser Biester würde sie überall erkennen und aktuell konnte sie nicht die geringste Spur davon in der Luft ausmachen.

Sie preschte in Richtung der Stallungen. Mit dem Gepäck würden sie den Spirits niemals entkommen. Ihre Magen rebellierte beim Geruch nach Pferdemist und feuchtem Heu. Ihr Blick huschte über die Tiere hinweg, bis ihr Blick an ihrem Esel Tries hängen blieb. Sie hielt inne und blickte zu den Pferden auf der anderen Seite.

„Was wird das, Fay?", hämmerte die Stimme ihres Vaters. Ivy kam hinter ihm in den Stall getorkelt. Sie hatte zu lang gezögert.

„Helft mir", schrie Fay, während sie sich an den Halftern der Pferde zu schaffen machte. Die Tiere scheuten und waren knapp am Durchdrehen. Natürlich. Der Rauch reizte ihre Nüstern und versetze sie ebenfalls in Panik.

Sie hatte das erste Pferd losgeschnitten, als ein lautes Donnern und Krachen sie unterbrach. Das Pferd bäumte sich auf. Fay warf sich zur Seite und das weiße Ungetüm donnerte über sie hinweg.

„Wir haben keine Zeit dafür, komm." Scott hatte sie hochgerissen. Fay taumelte. Wohin jetzt? Die Pferde wären ihre beste Chance gewesen. Zwei Hände rissen sie weiter.

Richtig. Das Dorf brannte, die Spirits waren nah.

Ivy und Scott hatten jeweils einen ihrer Arme gepackt und stürmten voran. Tries galoppierte panisch neben ihnen her, seine Zügel in Ivys anderer Hand.

Fay atmete stoßartig. Ihre Lungen brannten. Der Rauch kratzte. Sie mussten weiter und es wurde schwieriger den umstehenden Menschen auszuweichen. Es herrschte Panik. Immer weiter einen Fuß vor den anderen setzen. Was wenn sie hier nicht lebend raus kommen würde? Fay verstärkte den Griff um ihr Messer. Nein, das durfte sie nicht denken. Sie würde das Dorf verlassen und Terbil erreichen. Alle gemeinsam, wenn sie nur weiter rannten.

Es wurde düsterer um sie herum, die Menschen standen weniger dicht. Sie entfernten sich von den Flammen und die Menschen verstreuten sich allmählich.

Ob es Geheimwege gab, von denen sie nichts wussten? Fay vertrieb den Gedanken. Es war egal, solang sie raus kamen. Von den Wegen würde man nur erfahren, wenn man mit den richtigen Leuten sprach. Mit Bringern wollte niemand reden.

Ivy war stehen geblieben und schnappte nach Luft. „Ich- kann- nicht- mehr", presste sie hervor. Auch Fay war außer Atem, doch sie war das Rennen gewohnt. Ivy war dieses zierliche, zerbrechliche Mädchen. Sie wusste wo das kleinste mechanische Teil einer Schusswaffe hingehörte, aber sie lief nicht davon. Musste sie auch nicht, denn das engelsgleiche Gesicht wollte einem kein Leid antun.

„Weiter, Mädchen. Wir müssen zusammenbleiben." Auch ihr Vater atmete schwer. Die Lederplatten auf seiner Brust hoben und senkten sich stoßartig. Schnellen Schrittes ging er auf Ivy zu, jeder Schritt dem Donnern einer Naturgewalt gleich.

Fay wappnete sich und ließ den Blick schweifen. Hinter ihnen erhellte immer noch ein feuriges Licht die Nacht, während der Rauch das Licht von Mond und Sternen verschlang. Um sie waren Menschen, die den staubigen Pfad entlang stürmten und den Sand aufwirbelten, der bald alles sein würde, was sie sahen. Verzweifelte Stimmen flehten um Hilfe und wer genauer hinsah, entdeckte regungslose Körper am Boden, über die hinweg getrampelt wurde. Die Luft war gesättigt mit Rauch, Schweiß und dem leichten, süßlichen Geruch von Zedernholz.

Hey ihr Lieben :)

Da ich heute einen wahren Wortrausch hatte und 2315 Worte über mein eigentliches Ziel hinausgeschossen bin, kommt hier doch früher Nachschub. Das nächste Update kommt dann wie geplant freitags. Was haltet ihr bis jetzt davon? Ist die Länge so in Ordnung oder sollte ich das hier doch eher aufspalten? Schreibt's mir gerne in die Kommentare :)

Spirits - Stadt im UntergrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt